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Aus: Ausgabe vom 30.10.2025, Seite 10 / Feuilleton
Pop

Schön war die Zeit

Kann man machen: Bellys zweites Album »King« von 1995 als Reissue
Von René Hamann
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Es waren aufregende Jahre gewesen, die Neunziger

Im Grunde war es da schon wieder vorbei. Belly, die Band, in die sich Tanya Donelly geflüchtet hatte, um nicht länger bei den Throwing Muses im Schatten ihrer älteren Halbschwester Kristin Hersh stehen zu müssen, hatte 1993 mit »Star« ein rundes, mehr als ordentliches Debüt hingelegt. »Feed the Tree« hieß der kleine Indie-Hit der Platte, ein hübsch sinistres Stück über den Tod, das ähnlich funktioniert wie die kurz darauf erschienene »Heart-Shaped Box« von Nirvana. 1995, Kurt Cobain war da bereits ein Jahr tot, die Pixies hatten sich auch schon länger aufgelöst, erschien dann »King«, die zweite Platte von Belly, die 2025 ihren 30. Geburtstag feiert und neu editiert auf den Markt geworfen wurde. Warum nicht?

Gleichwohl war es damals, 1995, bereits vorbei. Vorbei mit Boston, der Szene, aus der Donelly kommt. Vorbei mit den Muses, den Breeders, den Vorläufern von Grunge. Vorbei mit der Verquickung von Melodie und Krach, Folk und Hardcore. Es waren aufregende Jahre gewesen, Jahre voller wegweisender Platten, von »Surfer Rosa« über »Pod« bis »The Real Ramona« und eben »Star«, und alle sind sie auf 4AD erschienen, dem leicht gotisch wirkenden Label aus England, das sich vorher, währenddessen und danach um Gothic und Shoegaze gekümmert hat.

»King« ist ein Zeitdokument, das letzte Zucken der US-amerikanischen Bauchtanzkönigin, bevor die Lads aus Manchester, London, Sheffield endgültig die Macht übernahmen. Hört man es sich jetzt, 30 Jahre später, noch einmal an, ist man einerseits verblüfft: Es klingt immer noch frisch; in Sachen Sound hat sich im Indierock nicht viel getan. Das Songwriting ist komplex, um nicht kompliziert zu sagen, was damals kein Schimpfwort war, sondern die Boston-Szene auszeichnete. »Seal My Fate« oder »Silverfish« sind potentielle Hits, »Super-Connected« und »Now They’ll Sleep« immer noch gute Nummern. Es gibt Platten von R. E. M., die verstaubter klingen.

Man hört schönes Gitarrengedängel mit vielen Choruseffekten und nervöse Bassläufe. Man hört Gitarren, die vielleicht etwa zu gern ins Stadion wollen, und Tanya Donellys Sirenengesang (mit Overdubs), bisweilen zu süffisanten Refrains (»I’d like to see you naked«). Man hört sehr gutes Handwerk an den Drums. Kein schlechtes Album. Sechseinhalb von zehn Punkten.

Und doch: Vielleicht hat Donelly den falschen Schritt auf der Karriereleiter gemacht, als sie Hersh und die Muses verließ, um mit Belly eine Solokarriere zu starten. Ich meine, Donelly und Hersh in einer Band! Zwei patente Songwriterinnen mit mehr als bloß ein bisschen Ausstrahlung. Es nützte nix. Und ähnelt anderen Geschichten. Bei den Pixies klammerte sich Black Francis an den Chefposten, wollte partout nicht mit der mindestens ebenbürtigen Kim Deal teilen. Letztere gab Donelly bei den Breeders einen Platz, den sie aber nicht wollte. Zu viele Königinnen verderben den Honig, der aber doch so reichlich floss, zumindest ein paar goldene Jahre lang.

Und im Grunde ist es ja so: Die Platte, die wirklich eine Wiederveröffentlichung verdient hätte mit allem Zip und Zap, wäre eher »The Real Ramona«, die letzte der ­Throwing Muses mit Donelly. Darauf ist unter anderem »Not Too Soon« zu hören, Donellys bestes Stück.

Belly: »King« (4AD)

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