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Aus: Ausgabe vom 24.10.2025, Seite 14 / Medien
Mediale Manipulation

British Bullshit Club

Wie die BBC Nordkorea zur Horrorkulisse stilisiert – und dabei Fakten ignoriert
Von Martin Weiser
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Staatlicher Meinungsmacher, der es mit der Wahrheit nicht sonderlich ernst meint (London, 15.4.2013)

Als BBC-Auslandskorrespondentin für ganz Korea hat man es nicht leicht. Man wird einfach in der südkoreanischen Hauptstadt ausgesetzt, spricht die Sprache nicht, und im Zweifelsfall mal bei der nur wenige Kilometer entfernten Demokratischen Volksrepublik im Norden einfach nachzufragen, ist auch schwierig. Dass die BBC jetzt einen Text von Jean Mackenzie über den offiziellen UN-Bericht zur Menschenrechtslage in Nordkorea korrigieren musste, lässt sich aber auf keines dieser Probleme zurückführen.

Am 12. September hatte die BBC noch stolz verkündet, laut UN hätten in Nordkorea Hinrichtungen für das bloße Ansehen ausländischer Filme zugenommen. Seit geraumer Zeit schon verbreiten Mackenzie, die seit drei Jahren im Land ist, und davor ihre Vorgängerin diese Behauptung, und man war bei der BBC wohl überglücklich, dass nun endlich auch die UN dafür einen Persilschein ausstellt. Aber nicht nur, dass der in bestem Englisch verfasste UN-Bericht erschreckend allgemein blieb – Exekutionen für irgendeinen Medienkonsum wurden nicht einmal erwähnt. Laut Bericht habe eine nicht benannte Zahl von Flüchtlingen lediglich angegeben, dass seit 2020 die Verhängung der Todesstrafe für eine ganze Reihe von Verbrechen zugenommen habe – darunter auch Mord, Menschenhandel und »Drogendelikte«, aber auch das Verteilen verbotener Medien. Ob diese Flüchtlinge denn diese Hinrichtungen selbst gesehen hatten oder nur meinten, es müsse so sein, weil etwa die Gesetze verschärft wurden, lässt der Bericht offen.

Auch als die weltweit zitierte Nachrichtenagentur Reuters denselben inhaltlichen Fehler nur Stunden später korrigierte, reagierte die BBC nicht. Eine kurze Notiz ganz unten am Artikel erinnert dort noch an diese Falschnachricht. Im letzten Satz wurde sogar erwähnt, dass der UN-Bericht auch Verbesserungen der Menschenrechtslage aufführt. Bei der BBC war dieses Detail natürlich nicht zu finden – ebenso wenig wie die äußerst absurden Anschuldigungen der UN. Etwa dass alle Medien von der Regierung kontrolliert seien und dass jeder unabhängige Nachrichtenbericht oder -kommentar, den es ja eigentlich nicht geben soll, als konterrevolutionär gebrandmarkt und als Verbrechen verurteilt werde, wenn er der offiziellen staatlichen Position entgegenläuft. Nicht nur die UN, sondern auch ernsthafte Wissenschaftler haben keinerlei Zugang zu der Vielfalt der Presse- und Printpublikationen der DVRK oder gar den internen Auseinandersetzungen über die Politik – was für ein solch gravierendes Urteil durch die UN eigentlich notwendig wäre.

Die große BBC-Ente durfte trotz allem anscheinend ganze zwei Wochen frei herumwatscheln, und erst meine Beschwerde am 2. Oktober führte wiederum zwei Wochen später dazu, dass die BBC den Fehler eingestand. Nicht überraschend flüchtete man sich – wie Reuters – in die Behauptung, der UN-Bericht würde doch klar belegen, dass mehr Leute für das Verteilen von Videos hingerichtet werden. Alles aber wieder, ohne konkrete Zahlen nennen zu können. Bemerkenswerterweise kam die BBC sogar zu einer weiteren gravierenden Schlussfolgerung: Die von der BBC seit Jahren aufrechterhaltene Behauptung, dass ein Gesetz gegen reaktionäre Kultur von 2020 die Todesstrafe für bloßen Medienkonsum erlaube, stimme so auch nicht. Dass man sich von dieser Lüge verabschiedete, ließ man dann doch lieber unerwähnt. Diverse Übersetzungen, die die BBC von der Ente ins Netz gestellt hat, vergaß man dann aber geflissentlich zu korrigieren.

Für den deutschen Botschafter kam die Einsicht der BBC aber zu spät. Einen Tag zuvor bettelte er noch in einem Interview mit der südkoreanischen Joongang Daily, die beiden koreanischen Staaten sollten doch netter zueinander sein – ironischerweise nur, um dann die Lügenpropaganda zu wiederholen, in der DVRK werde man schon hingerichtet, wenn man nur südkoreanische Musik höre oder Videos schaue. Dabei hatte sogar irgend jemand Anfang 2025 ein Dokument aus dem Innersten der Arbeiterpartei an die Nachrichtenseite Daily NK durchgestochen, in dem genau diese Anschuldigung als Lüge verurteilt wurde. Nur verstanden hatten diese Offenbarung weder Daily NK noch das deutsche Außenministerium.

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