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Aus: Ausgabe vom 24.10.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Argentinien

Opposition wittert Morgenluft

Midterm-Wahlen in Argentinien: Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Regierung und Peronisten erwartet. Turbulenzen von Finanzmärkte
Von Frederic Schnatterer, Buenos Aires
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»Milei raus!«: Kundgebung von Peronisten (Buenos Aires, 17.10.2025)

Auch wenn es nur die Midterm-Wahlen sind: Die Abstimmung am kommenden Sonntag in Argentinien ist bedeutend. Die Parlamentswahl, bei der die Hälfte der Mitglieder des Abgeordnetenhauses und ein Drittel der Senatoren neu bestimmt werden, dürfte die zwei verbleibenden Jahre des Mandats von Javier Milei erheblich konditionieren. Je nachdem, wie die Sitze im neuen Parlament verteilt sein werden, könnte es für den ultraliberalen Präsidenten schwer werden, den begonnenen radikalen Umbau von Staat und Gesellschaft fortzusetzen. Die Opposition wittert Morgenluft.

Umfragewerte sind in Argentinien mit Vorsicht zu genießen, eine Tendenz geben sie jedoch an. Die besagt, dass Mileis Wahlkoalition La Libertad Avanza (LLA) sich keineswegs sicher sein kann, am Sonntag als Siegerin vom Platz zu gehen. Der Präsident, der sich persönlich an die Spitze des Wahlkampfs gestellt hat, versuchte in den vergangenen Wochen, die Erwartungen herunterzuschrauben. Mittlerweile heißt es, Ziel sei mehr als ein Drittel der Sitze im Abgeordnetenhaus. So könnten die Präsidialvetos im Parlament aufrechterhalten werden. In den vergangenen Monaten waren solche mehrmals vom Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit rückgängig gemacht worden.

Bevor an diesem Freitag die sogenannte Wahlruhe jegliche kampagnenbezogene Aktivität bis zur Abstimmung verbietet, bereiste Milei verschiedene Provinzen des Landes. Dabei kam es wiederholt zu Protesten, so in Tucumán und Santiago del Estero. Getreu des an den Namen seiner Partei angelehnten Mottos »Die Freiheit schreitet voran oder Argentinien fällt zurück« verbreitet Milei die Erzählung, es sei noch »eine letzte große Anstrengung« der Bevölkerung notwendig. »Lasst nicht nach«, beschwor Milei in Tucumán, sonst kehre »die Barbarei der (sozialdemokratischen Expräsidentin, F. S.) Kirchner« zurück. »Darum bitte ich euch, unser Modell weiter zu unterstützen, damit wir Argentinien wieder groß machen können«, so der Appell des Präsidenten.

Mittlerweile deutet alles auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der LLA, zu der auch die rechtskonservative PRO von Expräsident Mauricio Macri gehört, und dem peronistischen Bündnis »Fuerza Patria« hin. Deren wichtigste Politiker versuchen die Abstimmung zu einer Art Stichwahl zu deklarieren. Expräsidentin Cristina Fernández de Kirchner, die derzeit eine Haftstrafe im Hausarrest absitzt, erklärte Ende der vergangenen Woche: »Am 26. Oktober heißt es: Milei oder Argentinien.« Das Wahlkampfmotto der Koalition lautet: »Fuerza Patria, um Milei einen Riegel vorzuschieben.«

Insgesamt schien Fuerza Patria während des Wahlkampfs allerdings darum bemüht, eigene Fehler zu vermeiden. Selbst auf einen zentralen Kampagnenabschluss verzichtete die Allianz, die trotz der gemeinsamen Kandidatur weiter von internen Machtkämpfen geprägt ist. Ihre Kandidaten konzentrierten sich auf kleinere Veranstaltungen in den Wahlkreisen. Auf einem Treffen in der Regionalzentrale des Gewerkschaftsverbands CGT in La Plata am Montag erklärte der Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Axel Kicillof, bei der Parlamentswahl stünden »Arbeitsplätze, Löhne, Gesundheit und öffentliche Bildung auf dem Spiel«. Und weiter: »Am 26. Oktober werden wir Javier Milei zeigen, dass er die Rechte der Arbeiter und des argentinischen Volkes nicht mit Füßen treten kann.«

Noch vor wenigen Monaten hatte es so ausgesehen, als sei die Unterstützung für Milei ungebrochen. Was folgte, waren Skandale und Wirtschaftsprobleme. Im August kam ans Licht, dass Karina Milei, seine Schwester und zudem Generalsekretärin des Präsidialamtes, mutmaßlich in einen Korruptionsskandal rund um die Behindertenagentur Andis verwickelt ist. Anfang September verlor LLA die Regionalwahl in der Provinz Buenos Aires, einer traditionellen Hochburg des Peronismus und Zuhause von mehr als einem Drittel der Wahlberechtigten des Landes, mit einem Abstand von fast 14 Prozentpunkten. Vor nicht einmal drei Wochen schließlich zog der LLA-Spitzenkandidat in derselben Provinz, der Milei-Vertraute Luis Espert, seine Kandidatur zurück. Zuvor war öffentlich geworden, dass er engen Kontakt zu einem mutmaßlichen Drogenhändler gepflegt hatte. Sein Foto wird am Sonntag trotzdem auf den Wahlzetteln abgedruckt sein.

Zu den Skandalen, die dem angeblichen Antikorruptionskämpfer Milei erheblich zugesetzt haben, kamen heftige Turbulenzen an den Finanzmärkten. Eine Zahlungsunfähigkeit Argentiniens konnte nur dank des Eingreifens der US-Regierung abgewendet werden. Die kaufte argentinische Pesos direkt an den Märkten, schnürte ein Paket von 20 Milliarden US-Dollar für Milei und brachte ein Abkommen zum Währungstausch zwischen den Zentralbanken beider Länder in Höhe von weiteren 20 Milliarden auf den Weg, eine sogenannte Swap-Linie. Dessen ungeachtet verlor der Argentinische Peso Anfang der Woche weiter an Wert.

Die Unterwerfung von Milei unter US-Präsident Donald Trump brachte der argentinischen Regierung am Montag von Gouverneur Kicillof den Vorwurf ein, »Marionette der USA« zu sein. Das Linksbündnis »Front der Linken und der Arbeiter« (FIT-U) ging so weit, seinen Wahlkampfabschluss am Mittwoch vor der US-Botschaft in Buenos Aires zu veranstalten. Das Motto: »Yankees und IWF raus aus Argentinien und Lateinamerika!« Derzeit verfügt das trotzkistische Bündnis, das als einzige Kraft im Parlament gegen alle Gesetzesvorhaben der Milei-Regierung gestimmt hat, über fünf Sitze im Abgeordnetenhaus.

Die Polarisierung zwischen Milei und Peronismus will auch die Wahlallianz »Provincias Unidas« aufbrechen. Ihr gehören die Gouverneure von Santa Cruz, Córdoba, Santa Fe, Jujuy und Salta an. Ziel sei es, »die von Buenos Aires ausgehende zentralistische Logik« herauszufordern. Kritiker werfen dem Bündnis, dem ein Ergebnis von rund fünf Prozent vorhergesagt wird, vor, als Mehrheitsbeschaffer für Milei zu dienen.

Dass der argentinische Präsident Javier Milei sein Kabinett nach der Parlamentswahl vom Sonntag umbauen wird, steht fest. Abgehen werden die derzeitige »Sicherheitsministerin« Patricia Bullrich, die für ihr brutales Durchgreifen gegen Demonstranten und Oppositionelle bekannt ist, Verteidigungsminister Luis Petri sowie der Sprecher des Präsidialamtes, Manuel Adorni. Bullrich und Petri werden als Spitzenkandidaten der Hauptstadt Buenos Aires beziehungsweise der Provinz Mendoza ins Abgeordnetenhaus einziehen. Adorni wurde im Mai in die Stadtverordnetenversammlung von Buenos Aires gewählt.

Auch der Außenminister Gerardo Werthein wird ersetzt werden müssen. Werthein reichte noch am Mittwoch – und damit nur vier Tage vor den Wahlen – seinen Rücktritt ein. Der Grund: Präsidentenberater Santiago Caputo war in der vergangenen Woche nach Washington gereist, wo er sich in inoffizieller Mission mit dem Chefstrategen von US-Präsident Donald Trump, Barry Bennett, traf. Während Werthein die Reise nicht zu Unrecht als Affront sah und bis zuletzt vergeblich auf öffentlich geäußerte Unterstützung von Milei wartete, forderte Bennett ganz offen, Caputo »sollte einen Regierungsposten bekleiden«.

Es ist wahrscheinlich, dass dem so sein wird. Caputos Macht ist in den vergangenen Monaten stetig gewachsen. Am Freitag der vergangenen Woche berichtete die konservative Tageszeitung Clarín, Milei wolle Caputo in sein künftiges Kabinett holen. Ein möglicher Posten wäre der des Kabinettschefs. Dieses hat bisher Guillermo Francos inne, der im Gegensatz zu Caputo als dialogorientiert gilt.

Das Ergebnis am Sonntag dürfte auch darüber entscheiden, wieviel Macht dem Ex-Präsidenten Mauricio Macri in Zukunft eingeräumt wird. Macri hat bereits angekündigt, seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit werde an Bedingungen geknüpft sein. Gut möglich also, dass der Expräsident künftig wieder eine größere Rolle in der argentinischen Regierung spielen wird. (fres)

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