»Das höhnische Lachen der Islamisten«
Von Susann Witt-Stahl
Die Netanjahu-Lobby schlägt Alarm. »Die links-islamistische Allianz will alles vernichten«, vermeldete jüngst Apollo News. »Seit dem 7. Oktober suchen immer mehr linke Antiimperialist*innen den Schulterschluss mit terroraffinen Islamisten«, hatte die Amadeu-Antonio-Stiftung bereits 2024 das Verbot des von der »Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost« mitorganisierten Palästina-Kongresses in Berlin befürwortet. Die Konrad-Adenauer-Stiftung wollte kurz darauf sogar den »Antiimperialismus der politischen Linken« im »ideologischen und propagandistischen Unterbau« für die Vertreibung von Juden aus arabischen Ländern vorgefunden haben.
Bei solcher Hysterie über »Pro-Hamas-« oder »Dschihad-Linke«, auch »Islamo-Gauchisme«, muss freilich auf die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus verzichtet werden. Letzterer wird als schwammiger Kampfbegriff selektiv gegen Akteure in Stellung gebracht, die den Interessen des imperialen Westens im Wege stehen: der gesamte palästinensische Widerstand und seine Verbündeten, von der marxistisch geprägten PFLP bis Ansarollah – also nicht etwa die wahhabitischen Regimes in Saudi-Arabien, Katar etc., die mit den USA verbündet sind und zum Teil den »Islamischen Staat« finanziert haben. Allemal werden muslimische Migranten mit dem Etikett »Islamist« versehen, sobald sie sich gegen das Schlachten in Gaza engagieren.
Mittlerweile agiert auch der Deutsche-Staatsräson-»Antifaschismus« im Konzert mit den Sicherheitsbehörden gegen migrantische Antiimperialisten. Zum Beispiel rückte »Hamburg vernetzt gegen rechts« den internationalistischen Zusammenschluss »Thawra« willkürlich in die Nähe von Gruppen wie Hizb ut-Tahrir. Das autonome Kulturzentrum »Rote Flora« befeuerte die Hetze mit dem Triggerwort »Hamas« und bewährten rassistischen Gerüchten über Muslime – »antisemitisch«, »gewaltverherrlichend«, »autoritär« etc. Der Landesinlandgeheimdienst Hamburg stufte »Thawra« schließlich im »Verfassungsschutzbericht« 2024 als »extremistisch« ein und sprach eine öffentliche Warnung mit dem Hinweis aus, die Organisation unterstelle Israel, einen Genozid zu begehen. Verbindungen zu islamistischen Gruppen machte er keine aus.
Jüdische Erbe
Bis hinein in »progressive« Milieus werden lieber »links-islamistische« Machenschaften gewittert als der neuen, noch sehr jungen Palästina-Bewegung beizustehen: Qualifizierte und solidarische Kritik an den innerhalb der Bewegung verbreiteten postmodernen Theorien (wie den »Critical Whiteness Studies«), die in jedes muslimische »Other« alle emanzipatorischen Hoffnungen legen, Klassenbewusstsein durch Fetischisierung von Identität ersetzen und nicht zuletzt deshalb in der »gauche caviar« Anklang finden, gibt es selten. Das linksdeutsche Establishment ist weit hinter die Errungenschaften der universalistischen Religionskritik von Karl Marx zurückgefallen. Es will den Islam nicht (mehr) als eine von vielen Formen der allgemeinen Theorie einer »verkehrten Welt« begreifen, nicht als »Ausdruck des wirklichen Elends«, nicht als »Protestation« unterm Joch kolonialer Unterdrückung – und damit auch nicht als politische Schnittstelle für den proletarischen Internationalismus.
Wächter der undialektischen Rezeption der bürgerlichen Aufklärung, die neben den Menschenrechten auch einen rücksichtslosen Menschenrechtsimperialismus hervorgebracht hat, erschlagen das Wissen um die Bedeutung nationaler Befreiungskämpfe in Palästina und generell für die internationale Arbeiterbewegung mit der Beschwörung der »jüdisch-christlichen Tradition« als Bollwerk gegen Barbarei. Dieser Akt verheißt zugleich die Wonnen der historischen Entlastung und »woker« Fremdenfeindlichkeit gegen Muslime, die in den Metropolen einen stattlichen Teil der Arbeiterklasse bilden. Die Rintfleisch-Pogrome und Auschwitz können als Betriebsunfälle des »Landes der Dichter und Denker« abgehakt und das »jüdische Erbe« gegen Eindringlinge aus der arabischen Welt »verteidigt« werden. Und mit der Erzählung vom »importierten« und von Antiimperialisten potenzierten »neuen Antisemitismus«, wie nahezu jede Kritik an israelischen Regierungen diskreditiert wird, können die historischen Nachkommen der mittelalterlichen »Judenschläger« und modernen »Sonderbehandler« – rechte Christen wie Faschisten – endlich Muslime und Sozialisten als im »Judenhass vereint« verächtlich machen.
Leuchtturm der Freiheit
Zur Strafexpedition gegen islamistisch-bolschewistische Verschwörer versammeln sich Kommunistenfresser aller Couleur unter der Fahne der »westlichen Zivilisation«. Sie fluten die sozialen Medien mit Fotos von DDR-Besuchen des Vorsitzenden der säkular ausgerichteten PLO, Jassir Arafat, in den 1970er und 80er Jahren – für sie der ultimative Beweis, dass »das, was wir erleben, eine Attacke auf unsere Welt ist«, wie es im Eintrag einer rechten Zionistin heißt. »Im antiwestlichen Reflex gleichen sich Linke und Islamisten: Beide erkennen im Westen keinen Leuchtturm der Freiheit, sondern einen imperialistischen Unterdrücker«, verkündete Nius im März 2025, das wie Apollo News Scharnierfunktion für transatlantische und deutschnationalistische Rechte hat. Kein Wunder: Beim Pöbelportal von Julian Reichelt haben neben AfDlern »Antideutsche« eine neue Heimat gefunden, die als »Freunde des amerikanischen Krieges« einst gegen den »mörderischen Pazifismus« und heute für die Kriegstüchtigmachung Deutschlands streiten.
Da der Todfeind des Westens die »Achse der Autoritäten« ist, die BRICS-Staaten, zu deren Vasallen die Hamas und der »Umma-Sozialismus« des Islams gezählt werden, firmieren sie konsequenterweise häufig unter dem Namen »Antiautoritäre«. Kürzlich enthüllte ein Redakteur ihres Organs Bahamas in Berufung auf den Linkspartei-Chef Jan van Aken, der die Hamas als »faschistische Organisation« bezeichnet, Skandalöses: In der Partei wüte der »Ungeist« des »Islamo-Gauchisme«, der »zum Charakteristikum der globalen Linken geworden« sei, sich als »Schutzmacht und Erfüllungsgehilfe« verstehe, und »ähnlich der Religion des Friedens nicht müde wird, sich als Partei des ewigen Friedens zu inszenieren«, erklärte er, warum Die Linke »nicht mehr zu retten ist« und »man sie bekämpfen muss«.
»Unheilige Dreieinigkeit«
Dass die Geschichte vom Gespenst der »links-islamistischen Allianz« vor allem Kriegsideologie ist, gilt spätestens seit Georg W. Bushs »War on Terror«. Da die Reaktion nach 1945 einen strategische »Flaggentausch« vornehmen musste – vom (National-)»Sozialismus« zum (liberalen) »Antifaschismus«, wie der Faschismusforscher Reinhard Opitz konstatierte –, klingt sie nur plausibel, wenn noch ein drittes Übel hinzugesellt wird: »Islamismus, Kommunismus, Faschismus«, nannte Springer-Konzernchef Mathias Döpfner 2010 die Achse des Bösen beim Namen, die durch einen repressiven »Kollektivismus« zusammengehalten werde und der freien westlichen Gesellschaft unversöhnlich gegenüberstehe: »Hier die autoritäre, dort die antiautoritäre. Hier die vormoderne, dort die moderne. Hier die religiöse, dort die säkulare«, heißt es in seinem Essay »Der Westen und das höhnische Lachen der Islamisten«, der als programmatisch für den deutschen Neokonservatismus gelesen werden kann, dessen Vorhut seit den 1990er Jahren in der deutschen Linken wie die Axt im Wald wütete. »Wenn Israel fällt, fällt langfristig auch der Westen, Europa, Deutschland«, blies Döpfner zum Armageddon – auch gegen den Iran, der angeblich bereits »zum finalen atomaren Endschlag« ausholte.
Heute werden der palästinensische Widerstand und internationalistische Linke nazifiziert. Selbst die aberwitzige Phantasmagorie, eine »unheilige Dreieinigkeit des Antizionismus« aus Nazis, »faschistischen Kommunisten« und »rassistischen Islamisten« bilde einen »Palästinensismus«, findet ihr Publikum (häufig in Verbindung mit dem von Historikern längst zerlegten Mythos, der Großmufti Al-Husseini habe Hitler zum Judenmord angestiftet). Neocons und ihre Gesinnungsverwandten vollbringen das Kunststück, fanatische Nationalreligiöse im Großisrael-Wahn und mit exorbitanter Freude am Foltern und Massakrieren als Statthalter der »Demokratie« erscheinen zu lassen. Die Seufzer der Verdammten in Gaza werden mit den Mantren derselben »westlichen Moderne« niedergebrüllt, die einst die nun wieder fröhlich Urständ feiernde Idee vom »Untermenschen« geboren hat.
Die Propagandamär von der »links-islamistischen Allianz« tauchte erstmals Ende der 1970er Jahre auf. Das Schah-Regime im Iran ächtete damals oppositionelle Studenten als »Islamo-Marxisten«. Während des »War on Terror« etablierte der französische Politikwissenschaftler Pierre-André Taguieff mit seinem 2002 erschienenen Buch »La Nouvelle judéophobie« den Begriff »Islamo-Gauchisme«. Neokonservative wie Bernard-Henri Lévy, der die »Islamo-Linke« zur »antiamerikanischen Religions«-Bewegung, geführt von Intellektuellen wie Noam Chomsky zählt, verbreiteten ihn, und Marine Le Pen und andere Ultrarechte übernahmen ihn. 2015 beschrieb Michel Houellebecq die Linke in seinem Roman »Die Unterwerfung« als Wegbereiter der Islamisierung Europas.
In den USA analysierten neokonservative und andere prozionistische Rechte, etwa Robert Wistrich, Gabriel Schoenfeld und Leon Wieseltier, ab den 1990er Jahren einen von Linken unterstützten »neuen Antisemitismus« der PLO und anderer Araber; einige Autoren behaupteten, dieser sei bedrohlicher als der nazistische. In der Bush-Ära bauten Neocon-Stiftungen und -Medien solche Thesen zur Ideologie aus.
Idealtypisch dafür ist die 2005 vom American Enterprise Institute veröffentlichte Abhandlung »The New Bolsheviks« von Frederick W. Kagan, Bruder des ehemaligen Beraters von Ronald Reagan, Robert Kagan. »Bestimmte Stränge der islamistischen Ideologie sind in der Struktur so ähnlich wie fundamentale Grundsätze des Marxismus-Leninismus«, heißt es darin. Verschwistert seien die beiden Weltanschauungen auch durch »revolutionäre Visionen«, daher könnten die Methoden, die zum Zusammenbruch der Sowjetunion geführt hätten, erfolgreich gegen den Islamismus angewendet werden: die Errichtung »stabiler Demokratien« als attraktive Alternative für die Bevölkerungen. Insofern sei der Angriff auf den Irak 2003 »die wichtigste Schlacht« des weltweiten »Kriegs gegen den Terror«.
Seit Beginn der Militäroperationen der IDF im Gazastreifen 2008, vor allem im »Iron Swords War« nach dem 7. Oktober 2023, finden solche Vorstellungen Niederschlag in Erzählungen über die »Pro-Hamas-Linke« und prominente Multiplikatoren wie den Historiker Jeffrey Herf (er verortet das Zentrum des globalen Antisemitismus seit der Gründung Israels in der arabischen Welt und im Iran). Mittlerweile zirkulieren sie in vulgärer Form in Islamhasser- und Neonaziszenen.
Gegenwärtig klärt der britische Faschist »Tommy Robinson« auf einer PR-Reise die israelische Öffentlichkeit, unter großem Jubel der nationalreligiösen Rechten, über die Gefahren des »Appeasements« gegenüber der »links-islamistischen Allianz« auf. (sws)
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Ebrahim Hajjaj/REUTERS15.10.2025
Teile und herrsche in Gaza
- Hendrik Schmidt/dpa21.10.2024
Linke-Parteitag für »Deeskalation und Abrüstung in Nahost«
- Maurizio Gambarini/Funke Foto Services/imago05.03.2024
Ein Reimport, kein Erbe