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Aus: Ausgabe vom 22.10.2025, Seite 2 / Inland
Wohnraum für Bedürftige

»Sie rauszuwerfen schafft nur wieder Leerstand«

Berlin: Eigentümer lässt besetzte Wohnungen in der Habersaathstraße räumen. Geplanten Abriss kann er damit nicht forcieren. Gespräch mit Valentina Hauser
Interview: Marc Bebenroth
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Nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner des Gebäudekomplexes in der Habersaathstraße nehmen die Polizeipräsenz widerspruchslos hin (Berlin, 20.10.2025)

Die Berliner Polizei hat am Montag morgen mehrere Wohnungen in der Habersaathstraße geräumt. In dort lange leerstehende Räumlichkeiten waren vor einigen Jahren obdachlose Menschen und Aktivisten sowie Geflüchtete eingezogen, auch um gegen den Leerstand zu protestieren. Wie sind die Beamten vorgegangen?

Wir waren mit rund 100 Leuten um sechs Uhr vor Ort. Die Polizei war bereits da und hat uns etwa 100 Meter vor den Häusern aufgehalten. Während der folgenden zwei bis drei Stunden haben sich die Beamten Zugang zur Hausnummer 48 verschafft und sind durch alle Wohnungen gegangen, die für die Räumung bestimmt waren. Ursprünglich wollten sie zwölf Wohnungen räumen, für die hatten sie einen Räumungsbeschluss. Aber sie konnten eine darin aufgelistete Wohnung im Haus nicht ausfindig machen. Also räumten sie elf. Die meisten davon haben sie leer vorgefunden.

War die Räumung angekündigt?

Gegenüber den Menschen im Haus nicht. Wir haben davon zufällig drei Tage zuvor über einen Aushang im Gericht erfahren. Eine Bewohnerin und ihr Partner wussten nichts davon, die Polizei hat sie geweckt und beide aufgefordert, innerhalb von 15 Minuten ihre Sachen zu packen, und dann auf die Straße gesetzt.

Hat der Bezirk Ersatzwohnungen bereitgestellt?

Carsten Spallek (Vizebezirksbürgermeister von der CDU sowie Bezirksstadtrat für Soziales und Bürgerdienste, jW) war vor Ort und sagte, dass die Menschen untergebracht werden können. Er scherzte, dass es dann aber keine Zweizimmerwohnungen sein werden – was wiederum sein komplettes Unverständnis für die Situation in diesen Notunterkünften offenbart. Wir sind weiterhin mit der Betroffenen in Kontakt und suchen nach Lösungen.

Welche Rolle spielt der Bezirk in dem Fall?

Er hat Anfang 2021 bei der zweiten Besetzung – die erste ein Jahr zuvor war sofort geräumt worden – mit der Eigentümerfirma Arcadia Estates, einem mittelgroßen Immobilienunternehmen mit Fokus auf Berlin, und den Menschen der Habersaatstraße eine Vereinbarung getroffen. Die leerstehenden Wohnungen können demnach von den ehemals Wohnungslosen genutzt werden, bis alle Langzeitmieterinnen und -Mieter ausgezogen sind.

Liegt diese Vereinbarung schriftlich vor?

Zumindest handschriftlich. Als Investor Andreas Pichotta anfing, die ehemals Wohnungslosen rauszuklagen, scheiterte er, weil das Gericht mietähnliche Verhältnisse feststellte. In einem Vergleich hat er zugestimmt, dass bis zum Auszug der Bestandsmieter alle bleiben können. Trotzdem hat der Bezirk seitdem tatenlos zugeschaut, wie der Vermieter auf praktisch kriminelle Weise versucht, Bewohner aus ihren Wohnungen zu drängen.

Was beabsichtigt der Eigentümer?

Das Gebäude abzureißen und teurere Wohneinheiten zu errichten. Die Langzeitmieter wollen aber nicht ausziehen. Und einfach rauswerfen darf er sie nicht. Das wurde mehrfach vom Gericht entschieden, zuletzt im Juli. Die Begründung war klar: Eine Wohnung ist kein Aktienpaket, und es gibt kein Recht auf Gewinnmaximierung.

Zu welchen Methoden hat Arcadia bislang gegriffen?

Die Warmwasserversorgung wurde komplett eingestellt, auch der Strom in allen Wohnungen der neuen Bewohner, indem Stromkästen im Keller zerschlagen wurden. Nun hat das Energieversorgungsunternehmen BEW auch noch mitgeteilt, dass ab Ende Oktober keine Wärmeversorgung mehr geleistet werden wird – Ein weiterer klarer Verstoß gegen Paragraf 535 BGB, der den Vermieter verpflichtet, dem Mieter den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache zu ermöglichen.

Wie geht es für die Menschen jetzt weiter?

Als allererstes fordern wir eine sehr schnelle Lösung für diese ganze Heizungsfrage. Darüber hinaus fordern wir einen Prozess zur Rekommunalisierung des Gebäudekomplexes. Mit den unmittelbar von der Räumung Betroffenen sind wir in Kontakt und schauen, wie wir kurzfristig Lösungen finden. Eine Sprecherin des Landesgerichts hatte gegenüber der Taz bestätigt, dass es weitere laufende Räumungsverfahren gibt. Da versuchen wir jetzt, mit Anwältinnen mehr herauszufinden. Diese Menschen rauszuwerfen schafft nur wieder Leerstand. Solange die Langzeitmieterinnen nicht ausziehen wollen, wird der Abriss dadurch nicht beschleunigt. Es ist ein Skandal, dass der Bezirk das geschehen lässt.

Valentina Hauser spricht für die Berliner Initiative »Leerstand Hab-ich-saath«

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