Entgleist auf halber Strecke
Von Oliver Rast
Ein internes Gutachten einer sogenannten Strategieberatung bringt Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende von DB Cargo, in akute Bedrängnis. Das Papier, das der dpa am Dienstag vorlag und aus dem der Spiegel zuvor zitiert hatte, kommt zum vernichtenden Urteil: Nikuttas Sanierungskonzept sei »nicht objektiv geeignet, eine nachhaltige Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit der DB Cargo AG mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sicherzustellen«. Damit steht nicht nur ihre »unternehmerische Strategie« in Frage – sondern auch ihre Führungsrolle.
Die Kritik trifft einen ohnehin angeschlagenen Konzern. DB Cargo, die Güterverkehrstochter der Deutschen Bahn, gilt seit Jahren als »maroder Schadensfall«: ineffiziente Netzplanung, veraltete IT-Systeme, hoher Anteil am unwirtschaftlichen Einzelwagenverkehr. Nikutta trat 2020 mit dem Anspruch an, diese Defizite zu beheben. Ihre Vision: ein digitalisierter, »grüner« Güterverkehr, der die Verkehrswende vorantreibt. Doch die Umsetzung stockt seither. Die versprochenen Innovationen – etwa automatisierte Rangierprozesse, moderne Logistikplattformen – kamen nur schleppend voran.
Kräftig Gegenwind kommt ferner von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Die DGB-Einzelgewerkschaft hatte jüngst Nikuttas Abberufung gefordert. In einem Brief an die neue Bahnchefin Evelyn Palla und den DB-Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Gatzer spricht EVG-Vize Cosima Ingenschay von einer »verheerenden Bilanz«: mehr als 3,1 Milliarden Euro Verlust seit Amtsantritt, sinkende Qualität, demotivierte Belegschaft. Die Gewerkschaft wirft Nikutta vor, unter dem Deckmantel der Effizienz Personal wegzukürzen und Leistungen an Dritte auszulagern – mit fatalen Folgen für Pünktlichkeit und Kundenbindung.
Nikutta verteidigt hingegen ihren Kurs als notwendig, um DB Cargo »langfristig wettbewerbsfähig« zu machen. Sie verweist auf die Komplexität des europäischen Güterverkehrsmarktes und die mangelnde Digitalisierung. Aussagen wie Ausflüchte. Und: Selbst innerhalb des Bahn-Vorstands soll ihre Doppelrolle als Cargo-Chefin und Bahn-Vorständin zunehmend kritisch gesehen werden.
Nun, die drohende Eskalation ist das Ergebnis einer längeren Entwicklung. Schon bei ihrem Amtsantritt galt Nikutta unter einigen Branchenkennern als Fehlbesetzung. Weil: Als ehemalige Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) hatte sie zwar Erfahrung im öffentlichen Nahverkehr, aber keine direkte Expertise im Gütersegment. Ihre ambitionierte Agenda stieß dennoch zunächst auf Wohlwollen und Zustimmung – jedenfalls im Bundesverkehrsministerium. Doch Resultate blieben aus. Die Marktanteile schrumpfen, die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich weiter – und die politische Geduld scheint am Ende.
Denn der Bund als Eigentümer der Bahn steht unter Zugzwang. Die Ampelkoalition hatte sich die Stärkung des Schienengüterverkehrs auf die Fahnen geschrieben – doch Zustand und Ausblick bei DB Cargo konterkarieren jene ambitionierten Planspiele. Sollte Nikutta tatsächlich gehen müssen, wäre das nicht nur ein persönliches Scheitern, sondern auch ein Rückschlag für die projektierte Verkehrswende.
Fest steht: Für Nikutta wird der Dunst dichter, die Luft dünner. Und für DB Cargo steht mehr auf dem Spiel als nur ein Wechsel an der Führungsspitze: Es geht um einen sprichwörtlich verkehrstüchtigen Transport- und Logistiksektor des Staatskonzerns – den es internen Gutachtern zufolge aktuell nicht wirklich gibt.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Carsten G. aus Leipzig (23. Oktober 2025 um 18:25 Uhr)Da steht: »ihre Doppelrolle als Cargo-Chefin und Bahn-Vorständin zunehmend kritisch gesehen werden«. Was genau soll eine »Vorständin« sein? Ein Vorstand ist keine Person, die irgendein Geschlecht haben könnte, sondern eine (gewählte) Gruppe von Menschen. Davon ist eine Person Vorstandsvorsitzende – und die anderen sind Vorstandsmitglieder. Eigentlich ganz einfach.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (22. Oktober 2025 um 07:27 Uhr)Der Zustand der De-facto-Staatsbahn ist spiegelbildlich der Gesamtsituation in der BRD. Dysfunktional, unterfinanziert, hochgradig unprofessionell, zukunftsfrei und damit ohne jede Perspektive. Historisch gesehen ist ein Eisenbahnsystem für den Güterverkehr entstanden, und dieser hat immer die wirtschaftliche Grundlage gelegt – ob bei Staats- oder Privatbahnen (mit ganz wenigen Ausnahmen). Und es gab immer technisch und ökonomisch versierte Fachleute in den Chefetagen und eine Struktur, die sich immer eng am Tagesbetrieb orientierte. Der Personenverkehr war bis in die 90er Jahre nie Hauptinhalt einer Bahngesellschaft. Der Güterverkehr sollte es wieder werden. Nebenbei: Die DR der DDR war im Güterverkehr profitabel – trotz hohen Aufwands – und konnte so den Personenverkehr günstig halten und umfangreiche Preisnachlässe für viele Nutzer anbieten. Und pünktlicher war sie auch noch bei erheblich dichterem Fahrplan und diversen technischen Schwierigkeiten. Es waren aber immer gut ausgebildete Eisenbahner da, wenn Probleme auftauchten (das war die Regel), und es gab Rückfallebenen. Die gibt es heute nicht mehr. Ebenso wenig wie eine starke Eisenbahnsektion (mit all ihren Teilbereichen) an einer Verkehrshochschule, die auch noch mit den anderen Bereichen korrespondierte.
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