Vorbereitung zum Putsch
Von Volker Hermsdorf
»Ein großes Unglück hat uns alle getroffen«, schrieb die DDR-Schriftstellerin Anna Seghers im September 1973 nach dem blutigen Militärputsch in Chile und dem Tod Salvador Allendes. Doch dieser Tag war nur der Endpunkt jahrelanger subversiver Aktivitäten, mit denen die USA und ihre Verbündeten eine ihnen unliebsame Regierung zu verhindern suchten. Bereits im September 1970 hatte sich der Marxist Allende bei den Präsidentschaftswahlen gegen den rechtskonservativen Unternehmer Jorge Alessandri und den Christdemokraten Radomiro Tomic durchgesetzt. Nach der Verfassung musste der Kongress das Ergebnis binnen fünfzig Tagen bestätigen – und tat dies am 24. Oktober mit 153 gegen 35 Stimmen. Dieser Ausgang war jedoch keineswegs sicher: Die unterlegenen Vertreter der Oligarchie, die militante Rechte und ihre Unterstützer in Washington setzten alles daran, die Proklamation Allendes zum Präsidenten noch zu verhindern.
Zwei Tage vor der Abstimmung im Parlament wurde der verfassungstreue Chef des Heeres, General René Schneider, von einem Killerkommando überfallen und bei einem gescheiterten Entführungsversuch schwer verletzt. Am 25. Oktober erlag er seinen Schusswunden. In Chile gilt seine Ermordung als historisches Pendant zum Attentat auf John F. Kennedy – eine Tat, die die ganze Nation erschütterte. Der Fall Schneider zählt zugleich zu den bekanntesten Beispielen geheimer CIA-Operationen, die darauf abzielten, Persönlichkeiten zu »neutralisieren«, die den Zielen der USA im Wege standen. Die tödliche Geheimoperation, die – wie CIA-Beamte es selbst formulierten – »die Entfernung Schneiders bewirken sollte«, wurde erst Jahrzehnte später in einem Bericht des US-Senats öffentlich bekannt.
Sturz um jeden Preis
Der General wurde zum Ziel, weil er die verfassungsmäßige Machtübergabe verteidigte. Bereits Monate vor der entscheidenden Wahl erklärte er am 8. Mai in einem Interview mit der Zeitung El Mercurio, die chilenischen Streitkräfte würden sich nicht in politische Prozesse einmischen – eine Haltung, die später als »Schneider-Doktrin« bekannt wurde. Damit stellte er sich offen gegen die massiven Anti-Allende-Kampagnen des rechten Unternehmers und Medienmoguls Agustín Edwards, Eigentümer der Mercurio-Gruppe. Edwards kontrollierte nicht nur die größte Tageszeitung des Landes, sondern auch bedeutende Industriebeteiligungen – darunter Kupferminen und die chilenische Abfülllizenz von Pepsi-Cola. Eine Woche nach Allendes Wahlsieg reiste Edwards nach Washington, wo er Henry Kissinger, den einflussreichen Sicherheitsberater von US-Präsident Richard Nixon, traf. Auf dessen Vermittlung besprach Edwards am 15. September mit CIA-Direktor Richard Helms Pläne für einen Militärputsch. Einen Tag später erklärte Nixon, die USA würden »alle notwendigen Mittel bereitstellen«, und beauftragte die CIA, Allende »um jeden Preis« an der Amtsübernahme zu hindern – oder ihn, falls nötig, nach seiner Bestätigung durch das Parlament wieder zu stürzen.
US-Botschafter Edward M. Korry, der die Operation in Chile gemeinsam mit dem CIA-Stationschef Henry Heckscher koordinierte, gab zu bedenken, die Putschpläne hätten keine Aussicht auf Erfolg, solange General Schneider Oberbefehlshaber der Armee bleibe. Der »Schlüssel zum Erfolg«, so Medienunternehmer Edwards, sei »die Ausschaltung Schneiders«, damit andere Offiziere handeln könnten. Nixon und Kissinger stimmten zu, ordneten jedoch an, sämtliche Maßnahmen verdeckt durchzuführen, um die Rolle der USA zu verschleiern. In einem Telegramm vom 21. September forderte auch Korry, Schneider müsse »neutralisiert werden«. Daraufhin begannen CIA-Agenten, ein Netzwerk aus Militärs und politischen Saboteuren aufzubauen, das darauf abzielte, die Loyalität der Streitkräfte systematisch zu untergraben. Bei Treffen mit chilenischen Militärs wurden erste Pläne für eine »False Flag«-Operation besprochen. Eine Aktion, die mit der Entführung Schneiders beginnen sollte, verfolgte mehrere Ziele: den wichtigsten Gegner eines Putsches auszuschalten; ihn durch einen Offizier zu ersetzen, der einem Staatsstreich wohlwollend gegenüberstand; die Entführung den Allende-Anhängern anzulasten; und ein von der CIA sogenanntes coup climate (Putschklima) zu schaffen, das Unruhen erzeugen und damit eine militärische Machtübernahme rechtfertigen sollte.
Zunächst konzentrierte sich die CIA auf den pensionierten General Roberto Viaux, der bereit war, gegen Schneider vorzugehen. Viaux jedoch war ein »General ohne Armee« – er verfügte über keine eigenen Truppen und konnte daher einen Putsch zwar anzetteln, aber nicht erfolgreich durchführen; deshalb wurden zusätzliche Akteure benötigt. Am 15. Oktober traf sich Thomas Karamessines, der ranghöchste für verdeckte Operationen zuständige CIA-Beamte, mit Henry Kissinger und dessen militärischem Assistenten Alexander Haig, um sie über den Stand der Planungen zu informieren. Den Protokollen zufolge wies Kissinger die Agentur an, »den Druck auf jede erkennbare Schwachstelle Allendes weiter aufrechtzuerhalten«.
»Rasch und blutig«
Am folgenden Tag übermittelte das CIA-Hauptquartier in Langley die Schlussfolgerungen dieses Treffens – »die euer operativer Leitfaden sein sollen« – an die Station in Santiago: Allende solle möglichst bevor der Kongress seinen Wahlsieg bestätigt, »durch einen Putsch gestürzt werden«. Langley wies Stationschef Heckscher an, Viaux solle sich mit anderen Akteuren zusammenschließen, »damit sie entweder vor oder nach dem 24. Oktober gemeinsam handeln können«. Seine Gruppe »Patria y Libertad« wurde mit Maschinenpistolen versorgt. Viaux vereinbarte daraufhin mit Brigadegeneral Camilo Valenzuela, Schneider am 19. Oktober zu entführen; nach Plan sollte Schneider heimlich nach Argentinien gebracht werden, das Militär würde sein Verschwinden bekanntgeben, Allende-Unterstützer würden verhaftet, der Kongress aufgelöst und eine Militärjunta an die Macht gebracht werden.Doch der erste Versuch, Schneider zu entführen, scheiterte – ebenso wie ein zweiter am folgenden Tag. Die CIA versicherte den Putschisten daraufhin, die Unterstützung der US-Regierung für Anti-Allende-Aktionen bestehe weiterhin. Am Morgen des 22. Oktober wurde Schneiders Wagen von einem Jeep gerammt. Die Angreifer umzingelten das Auto; als einer die Scheibe mit einem Hammer einschlug, griff Schneider nach seiner Pistole – und wurde aus nächster Nähe niedergeschossen. Drei Tage später erlag er seinen Verletzungen. In seinem ersten Bericht an Langley meldete Stationschef Heckscher, der Anschlag biete den Streitkräften nun »eine letzte Gelegenheit, Allendes Wahl noch zu verhindern«. CIA-Direktor Helms gratulierte der Station zu der »hervorragenden Arbeit, die Chilenen an den Punkt zu führen, an dem eine militärische Lösung für sie zumindest eine Option ist«. Nach dem Attentat boten US-Diplomaten den Tätern an, das auf Schneider ausgesetzte Kopfgeld von 50.000 US-Dollar auszuzahlen. In Washington hoffte man, der Putsch werde nun erfolgen – aus Furcht der Attentäter, nach einer Vereidigung Allendes strafrechtlich verfolgt zu werden.
Henry Kissinger, der die Aktionen überwacht hatte, behauptete später, er sei nie über Putschpläne informiert gewesen, die eine Entführung vorsahen. Als bislang unveröffentlichte Dokumente jedoch seine aktive Beteiligung belegten, reichten Schneiders Söhne im Jahr 2001 eine Zivilklage wegen Mordes gegen ihn ein. Das Verfahren wurde schließlich abgewiesen, da Kissinger nach Auffassung des Gerichts als ehemaliger Sicherheitsberater des Präsidenten politische Immunität genoss. Drei Jahre nach dem Mord an Schneider erzielten Kissingers Bemühungen dennoch das angestrebte Ergebnis: Am 11. September 1973 bombardierten rechte Militärs den Präsidentenpalast La Moneda. »Der Putsch verlief rasch und blutig«, berichtete die CIA-Zentrale. In den 17 Jahren der folgenden Diktatur wurden Tausende inhaftiert, gefoltert, hingerichtet oder verschwanden. »Sie haben dem Westen einen großen Dienst erwiesen«, dankte Kissinger dem Junta-Chef Augusto Pinochet 1976 – drei Jahre, nachdem er selbst den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Er wurde ihm einen Tag vor dem blutigen Putsch in Oslo in Abwesenheit verliehen.
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