Protest gegen Belgiens Regierung
Von Gerrit Hoekman
Es brodelt in Belgien, aber gewaltig. In der Bevölkerung herrscht Wut. Zumindest im eher politisch links stehenden Teil. Wie bemerkenswert groß der ist, zeigte am Dienstag der nächste »nationale Aktionstag« gegen die radikalen Kürzungen der Regierung von Bart De Wever, die vor allem den sozialen Bereich betreffen. Mehr als 100.000 Menschen kamen laut Veranstalter in die Hauptstadt Brüssel und machten ihrem Unmut lautstark Luft. Manche sprachen sogar davon, dass sie die Demokratie in Gefahr sehen.
Laut Thierry Bodson, dem Vorsitzenden der sozialistischen Gewerkschaft ABVV-FGTB, verteilt die Regierung Milliarden an Unternehmen und das Militär, während sie gleichzeitig Erwerbslose und Kranke ins Visier nimmt. »Die gesamte staatliche Unterstützung für private Unternehmen wurde im Jahr 2022 auf 51,9 Milliarden Euro geschätzt, das ist mehr als die gesamten Gesundheitsausgaben«, rechnete die Chefin der christlichen Gewerkschaft ACV dem Brüsseler Stadtmagazin Bruzz zufolge vor.
Der gleichzeitig stattfindende landesweite Generalstreik legte am Dienstag große Teile des öffentlichen Nahverkehrs lahm. In den belgischen Seehäfen war die Streikbeteiligung wie immer sehr hoch. Die Schiffszentrale in Antwerpen war dermaßen unterbesetzt, dass sie den Hafen schließen musste. Erst am Mittwoch morgen konnte der Schiffsverkehr wieder Fahrt aufnehmen.
Besonders kämpferisch sind aktuell die Lotsen. Sie verlangen die Rücknahme der sogenannten Rentenreform, die unter anderem das Rentenalter um ein Jahr auf 66 Jahre erhöht und bis 2030 um ein weiteres Jahr. Deshalb legen die Lotsen seit dem 5. Oktober immer wieder die Arbeit nieder. Kostspielig für die Reeder: Ein Containerschiff mit 20.000 Tonnen macht mit jedem Tag Verzögerung etwa 700.000 Euro Verlust. Im Laufe des Aktionstages lagen schon 129 Schiffe auf Reede.
Im Frühjahr droht eine der größten Kürzungswellen im sozialen Bereich in der belgischen Geschichte. Zehntausende verlieren zum 1. März ihre Erwerbslosenunterstützung, weil sie seit acht bis 20 Jahren ohne Job sind. Das Gesetz gilt rückwirkend. Das bedeutet: Ab dem Stichtag steht die eine oder der andere plötzlich ohne Einkommen da. Alleine in der Hauptstadt betrifft das rund 13.282 Menschen, berichtete das Brüsseler Stadtmagazin Bruzz vergangene Woche. Darunter befinden sich Bruzz zufolge auch 1.024 Personen, die ihre Eingliederungsbeihilfe nach dem Studium verlieren. Bislang lag die Höchstdauer bei drei Jahren Unterstützung, in Zukunft ist es nur noch ein Jahr.
Die Wallonie, in der Französisch gesprochen wird, wird von den Kürzungen am heftigsten getroffen werden. 19.600 Menschen bekommen dort in diesen Tagen Post vom Staat. In Flandern sind es nur 9.795. 167 leben in der deutschen Region um Eupen. Die Zahlen spiegeln den Niedergang der Wallonie als Industriestandort wider, der mit Zechenschließungen in den 1980ern begann.
Dass anstatt der Wohlhabenden wieder einmal die einfachen Leute finanziell bluten sollen, sorgt auf der Straße für enorme Wut. In unmittelbarer Nachbarschaft zur großen Demo in Brüssel lieferten sich den gesamten Tag über militante Demonstrierende Scharmützel mit der Polizei. Auf der einen Seite kamen Feuerwerk und Flaschen zum Einsatz, auf der anderen Seite Knüppel, Tränengas und Wasserwerfer. Die große Demo wurde daraufhin vorzeitig abgebrochen.
In der Parteizentrale der »Vooruit« schmissen Unbekannte die Fenster ein. Einige nehmen es den flämischen Sozialdemokraten offensichtlich sehr übel, dass sie als Koalitionspartei den sozialen Kahlschlag abgesegnet haben. Die Einwanderungsbehörde wurde durch Rauchbomben ebenfalls erheblich beschädigt. Hier dürften die Täter aber aus dem Lager der rechten Asylgegner kommen. Mit der Demo hatten sie nichts am Hut.
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