»Am Ende entsteht ein Nullsummenspiel«
Von Max Ongsiek
Der Berliner Senat hat mittlerweile den Entwurf zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes, KitaFöG, beschlossen. Teil dessen ist eine schrittweise Verbesserung des Betreuungsschlüssels für Kinder unter drei Jahren als Reaktion auf den Rückgang der Geburtenrate. Worauf müssen sich die Träger einstellen?
Jede Änderung wirkt sich unmittelbar auf die Rahmenbedingungen für Träger, Fachkräfte und Familien aus. Die geplante Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation für Kinder unter drei Jahren ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Qualität. Positiv ist, dass die demographische Rendite nun genutzt wird. Entscheidend ist aber, dass diese Fortschritte auch dann Bestand haben, wenn die Kinderzahlen wieder steigen.
Mit welchen Punkten sind Sie unzufrieden?
Vor allem das Modell des Partizipationszuschlags überzeugt nicht. Am Ende führt es zu Kürzungen für alle Träger, und das in einer ohnehin angespannten finanziellen Lage. Zudem braucht es endlich eine praxistaugliche Digitalisierung der Betreuungsverträge, damit der enorme Verwaltungsaufwand für die Träger reduziert wird.
Besonders kritisch sieht der Deutsche Kitaverband das geplante Modell des Partizipationszuschlags. Warum?
Der Partizipationszuschlag soll zusätzliche Mittel für Kinder mit Förderbedarf bereitstellen, die über den Bildung-und-Teilhabe-Nachweis identifiziert werden. Gleichzeitig werden andere Zuschläge, etwa für nichtdeutsche Herkunftssprache, gestrichen. Die Gesamtmittel steigen nicht, sie werden lediglich umverteilt. Am Ende entsteht ein Nullsummenspiel, das die finanzielle Lage der Kitas verschärft.
Fachlich ist der Rückgriff allein auf den BuT-Nachweis nach Auffassung des Deutschen Kitaverbands unzureichend. Er bildet nur die sozioökonomische Lage ab, nicht aber den Sprachförderbedarf vieler Kinder. Aus der Praxis wissen wir, dass auch Kinder ohne Transferleistungsbezug Unterstützung beim Spracherwerb brauchen. Besonders kritisch ist das, weil das Landessprachförderprogramm ausgelaufen ist und keine ergänzenden Mittel mehr bereitstehen. Der Senat begründete dies zwar damit, dass Sprachförderung nun Teil des allgemeinen Bildungsauftrags der Kitas sei – faktisch wurden jedoch zweckgebundene Ressourcen gestrichen, ohne neue bereitzustellen. Das hat eine spürbare Lücke in der frühkindlichen Sprachbildung hinterlassen. Gerade vor diesem Hintergrund ist es um so problematischer, dass der Partizipationszuschlag mit erheblichem Verwaltungsaufwand für die Träger verbunden ist und zudem das Risiko birgt, Familien zu stigmatisieren.
Welche Möglichkeiten haben private Träger, um auf die demographische Entwicklung in Berlin zu reagieren?
Die Situation ist sehr unterschiedlich: In den Innenstadtlagen gibt es teils Überkapazitäten, in den Randbezirken dagegen weiterhin einen deutlichen Mangel. Dass das im SGB VIII verankerte Wunsch- und Wahlrecht der Eltern nun tatsächlich umsetzbar ist, ist grundsätzlich positiv. Es fehlt jedoch an einer strategischen, vorausschauenden Planung durch den Senat, damit die Vielfalt der Angebote auch tatsächlich zur Geltung kommt. Freie Träger reagieren flexibel – etwa mit modularen Bauten, temporären Einrichtungen oder digitalen Verwaltungsprozessen. Aber sie stoßen an Grenzen, wenn diese Innovationen nicht ausreichend unterstützt oder finanziert werden.
Inwieweit berücksichtigt der neue Betreuungsschlüssel nach KitaFöG Ausfälle von Erzieherinnen und Erziehern durch Überlastung und Krankheit?
Der im KitaFöG festgelegte Betreuungsschlüssel ist rein rechnerisch definiert. In der Praxis fallen Fachkräfte jedoch regelmäßig krankheits- oder belastungsbedingt aus. Diese Ausfälle sind im Schlüssel nicht berücksichtigt. Für die Träger bedeutet das, dass sie Betreuungslücken ausgleichen müssen, ohne dafür zusätzliche Ressourcen zu erhalten. Wir brauchen dringend verlässliche Ausfallreserven, flexible Vertretungsmodelle und eine nachhaltige Personalplanung, damit die Qualität auch dann gesichert bleibt, wenn Erzieherinnen und Erzieher krankheitsbedingt ausfallen.
Jeanett Tschiersky ist Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Kitaverbands und Bereichsleiterin beim Kitaträger Fröbel für Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein
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