Mit Klötzen die Welt begreifen
Von Barbara Eder
Ein Klump – das ist ein unförmiges Ding. Etwas, das zu nichts nutze, zu schwer, zu schief, zu sperrig geraten ist. Dass aus diesem Wort ein Stück Moderne wurde, war kein Wink der Ironie: »Klump«, so nannten der Architekt Herbert Eichholzer, der Bildhauer Walter Ritter und die Künstlerin Anna Neumann ihr 1935 auf den Markt gebrachtes Holzspielzeug. Es bestand aus Tieren, Bäumen und Häusern, geschnitzt aus Buchenholz, bemalt in Rot, Gelb und Blau. Etwa vierzig Figuren umfasste die komplette Serie – Körper mit klaren Linien, inspiriert vom Witz der Reduktion. Keine Detailversessenheit, nur Form und Fläche. Die Kinder, für die »Klump« gedacht war, sollten mit diesen Klötzen die Welt begreifen.
In der Papierfabrik Feuerlöscher bei Graz, wo die Freundesrunde die ersten Tiere aussägte, herrschte eine Aufbruchsstimmung, wie sie im autoritären Österreich jener Jahre selten war. In Prenning, einem kleinen Ortsteil von Übelbach nördlich von Graz, trafen sich Künstlerinnen, Intellektuelle und Antifaschisten – später »die Prenninger« genannt –, um über Kunst, Architektur und Politik zu diskutieren und zugleich praktisch zu arbeiten. Demnach war es auch eine andere Vorstellung von Kindheit, die hier Gestalt annahm: nicht brav und bieder, sondern neugierig, forsch und tastend. In einem Spielzeug, das das Denken lehrt, nahm sie Gestalt an. Die Erfinder von »Klump« wandten sich ab von den Steckenpferden der bürgerlichen Spielzeugindustrie mit ihren Puppenstuben und Miniaturküchen. Ihr Reformspielzeug sollte die Sinne schulen und taktil den Blick befreien.
»Klump« stand in der Linie jener von Koloman Moser im Jahr 1905 für die Wiener Werkstätte entworfenen Baukästen. Wo Moser und Josef Hoffmann noch vom Fortschritt in der Gestalt urbaner Ordnung und kubischer Klarheit träumten, entwarfen Eichholzer, Neumann und Ritter eine Umgebung aus Kühen und Giraffen, in der sich Moderne und Volkskunst begegnen sollten. Das Zebra neben der Kirche, das Nilpferd neben dem Bauernhaus; ein Tableau scheinbarer Gegensätze, die doch vereinbar wurden. Figuren wie diese verkörpern die Sehnsucht nach Vereinfachung, ihre Geschichte hingegen erzählt von einer Welt, die aus den Fugen geriet.
Zu den »Prenningern« gehörten der Architekt Herbert Eichholzer, einer der konsequentesten Vertreter der österreichischen Moderne, später im Widerstand gegen den Faschismus hingerichtet; Walter Ritter, Bildhauer, Mitbegründer der Grazer Sezession und später Professor an der Kunstschule Linz, sowie Anna Neumann, Künstlerin und enge Mitarbeiterin Eichholzers, im Widerstand zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt; Neumanns Eltern Herbert und Lily Feuerlöscher, Besitzer der Papier- und Pappendeckelfabrik in Prenning, deren Haus zum geistigen Zentrum der Gruppe wurde; Axl Leskoschek, Grafiker, später Exilant in Brasilien; Anna-Lülja Simidoff, Bildhauerin und Malerin mit engen Verbindungen zur Wiener Werkstätte, sowie Kurt Neumann, Journalist und Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung Arbeiterwille. Gemeinsam bildeten sie ein Netzwerk künstlerischer Moderne und politischer Courage – ein österreichisches Labor des Widerstands in Miniaturform.
Wenn man heute den hölzernen Löwen der »Prenninger« mit seiner Mähne aus Wolle betrachtet, erkennt man darin auch ein Symbol für den Versuch, Würde und Stolz in Zeiten zu retten, in welchen der Mensch kein Mensch mehr sein sollte. Spielen wird so zur Gedenkarbeit. Erneut aufleben ließ das Holzspielzeug erstmals das Projekt »Chance B« im Jahr 2003 – gefertigt von Menschen mit Behinderung, die sägten, schliffen und bemalten. Das sozialökonomische Unternehmen mit Sitz in Gleisdorf in der Oststeiermark hat damit Arbeits- und Lebensperspektiven für Menschen geschaffen, die nicht der ableistischen Norm entsprechen. In der dortigen Holzwerkstatt entstanden die ersten neuen »Klump«-Figuren nach Kriegsende – in Verbindung von sozialer Teilhabe, Handwerk und Erinnerungskultur. Am 6. Oktober informierte der Grazer Historiker Heimo Halbrainer zur Ausstellungseröffnung im Café Lebenswert im oberösterreichischen Alkoven über die Geschichte eines aus dem Widerstand geborenen Spielzeugs, das in diesem Jahr sein 90jähriges Jubiläum feiert.
Die Präsentation fand im Erdgeschoss des integrativen Treffpunkts in Schloss Hartheim statt, wo einst rund 18.000 Menschen im Rahmen der »Euthanasie«-Aktion T4 ermordet wurden. Mitarbeiter des Cafés, viele von ihnen mit Behinderung, haben gemeinsam mit Schülern des Wiener Sacré-Cœur-Gymnasiums die alten Figuren nachgebaut. Gemeinsam ist ein Ort entstanden, an dem das Leben weitergeht – tastend und unvollkommen vielleicht, aber lebendig. Das Holzspielzeug, das in den 1930er Jahren als Experiment begann, ist zu einem Mahnmal in Bewegung geworden. Die Tiere und Häuser aus Buchenholz sind das, was sie immer waren: kleine, unzerstörbare Zeugnisse der Hoffnung – und damit ein Stück Moderne en miniature.
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