Gegründet 1947 Montag, 24. November 2025, Nr. 273
Die junge Welt wird von 3063 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 10.10.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Power to the Bauer

Agrarlobby schäumt vor Wut

EU-Parlament votiert für Vertragspflicht in Landwirtschaft. Verbände warnen vor Planwirtschaft
Von Oliver Rast
imago836650134.jpg
Politikum bei Erzeugern und Abnehmern: Preise, Liefermengen und -zeitpunkte bei agrarischen Produkten

Nein, mit Superlativen hat Jörg Migende nicht gespart: »Was für ein Irrsinn! Es gibt nur Verlierer!« meinte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV) am Mittwoch nachmittag nach der Abstimmung im Strasbourger EU-Parlament über zwei Novellen der Gemeinsamen Marktordnung (GMO), in der die Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse innerhalb des EU-Binnenmarkts geregelt wird. Besonders im Blick dabei: der GMO-Artikel 148 (Milch- und Molkereiprodukte) und der GMO-Artikel 168 (Obst, Gemüse, Getreide, Fleisch und Hopfen).

Worum geht es genau? Um die lange diskutierte Vertragspflicht zwischen Abnehmern und Erzeugern in der Agrarwirtschaft, um die obligatorische Verpflichtung zu schriftlichen Lieferverträgen, in denen Preise, Liefermengen und -zeitpunkte fixiert sind.

Der Vorschlag der EU-Kommission zur Novellierung der GMO-Artikel fand eine breite parlamentarische Mehrheit. 412 Abgeordnete votierten dafür, 197 dagegen, und 35 enthielten sich. Die deutschen EU-Parlamentarier stimmten hingegen mehrheitlich gegen eine künftige schriftliche Vertragsverpflichtung für Lieferbeziehungen, vor allem jene aus den Reihen von CDU/CSU, FDP und AfD.

Was bringt Migende so in Rage? Zunächst: Der DRV ist die Lobbyorganisation der genossenschaftlich orientierten Unternehmen der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft. Mit der novellierten GMO würde das sogenannte Genossenschaftsprivileg ausgehebelt. Jenes besagt, dass Mitglieder einer Genossenschaft keinen separaten schriftlichen Liefervertrag mit ihrer Genossenschaft abschließen müssen. Nun greife die EU »massiv in die Vertrags- und Satzungsautonomie der Unternehmen ein und will gesetzlich festgelegte Mindestpreise einführen«, wurde Migende am Mittwoch in einer Mitteilung zitiert. Die freie Marktwirtschaft würde schleichend von einer Planwirtschaft abgelöst.

Ähnlich alarmistisch äußerte sich am Donnerstag Björn Börgermann, Hauptgeschäftsführer des Milchindustrieverbands (MIV). Fixe Kontrakte bei Rohmilchlieferungen von Landwirten an milchverarbeitende Betriebe wären ein Angriff auf die Markt- und Vertragsfreiheit und kämen einem Ende privatwirtschaftlicher und genossenschaftlicher Autonomie gleich. »Schriftliche Lieferverträge werden aber nicht zu einem höheren Preis führen, der Markt lässt sich dadurch nicht ausschalten«, unkte der Repräsentant privater, genossenschaftlicher und multinationaler Konglomerate hiesiger Milch- und Molkereiwirtschaft. Statt dessen würden vertragliche Pflichten zeitraubenden, kostenintensiven Bürokratieaufwand bedeuten.

Weniger theatralisch reagierte der Landesbauernverband Brandenburg auf die Parlamentsentscheidung aus Strasbourg. Ein ausgehandelter Milchliefervertrag gemäß des novellierten Artikels 148 GMO würde Milcherzeugern zwar nicht die Milchvermarktung zu Spitzenpreisen garantieren, »schützt sie jedoch definitiv vor Preisabstürzen, von denen die Branche immer wieder heimgesucht wird«. Die Novelle biete Brandenburger Milchbauern daher ein Zusatzinstrument, auf dem ungleichen Markt bestehen zu können.

Darum geht es, um mehr Marktmacht etwa gegenüber dominanten privaten und genossenschaftlichen Großmolkereien. Ottmar Ilchmann, agrarpolitischer Sprecher der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), begrüßte deshalb in einer Stellungnahme am Mittwoch das Votum zur GMO-Novelle. »Dies ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt zur Stärkung der Verhandlungsposition von Bäuerinnen und Bauern auf den Agrarmärkten.« Zumal faire Erzeugerpreise eine zentrale Forderung der jüngsten europaweiten Bauernproteste waren.

Nur, final entschieden ist noch nichts. Das informelle sogenannte Trilogverfahren bleibt abzuwarten. EU-Parlament, EU-Rat (Ministerrat) und EU-Kommission dürften in Kürze zusammenkommen. Erst wenn Parlament und Rat sich auf einen gemeinsamen Gesetzestext zur GMO-Novelle geeinigt haben, wird diese rechtskräftig. Ilchmann: »Für den Trilog zählt es nun, die verbleibenden Schlupflöcher zu schließen – entgegen der Forderung der Agrar- und Ernährungsindustrie und ihrer Steigbügelhalter.« Kommt es so, hat Migende vom DRV einen weiteren großen Aufreger.

Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug

Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Moskau lenkt den Klimawandel und die Bauern. Einige protestierte...
    07.02.2024

    Hinterm Bauern – der Russe

    EU-Kommission: Moskau ist in Ukraine besiegt, schadet jetzt aber der Landwirtschaft. US-Hilfe für Kiew weiter blockiert
  • Schwerstarbeit für einen Hungerlohn: Umgerechnet 1,65 Euro pro T...
    05.05.2021

    Milliardenspiel

    Brüssel verteilt EU-Agrarsubventionen weiter ohne Rücksicht auf ökologische Verluste

Regio:

Mehr aus: Kapital & Arbeit