Labour gegen Arbeiter
Von Christian Bunke
Labour funktioniert »für arbeitende Menschen«, meinte die britische Finanzministerin Rachel Reeves bei einer Parteitagsrede Ende September. Allein, vielen fehlt der Glaube – zum Beispiel bei den Gewerkschaften: Der Ansatz der Regierung funktioniere eben nicht, sondern stärke im Gegenteil die Position der rechten Partei Reform UK, sagte zum Beispiel Dave Ward, der Generalsekretär der Kommunikationsgewerkschaft CWU. Im November wird der neue Haushaltsentwurf fällig, ein weiterer Test für die Starmer-Regierung, die in aktuellen Umfragen so schlecht dasteht wie kaum eine andere westliche Administration.
In der Tat bekommt die Labour-Regierung vor allem das Problem der Teuerung bei Gütern des täglichen Bedarfs nicht in den Griff. Das Problem wird zum Beispiel in einer neuen Broschüre der Gewerkschaft für Staatsangestellte PCS dargelegt. 4,5 Millionen, etwa ein Drittel, der Kinder in Großbritannien leben demnach in Armut. Eine Million Kinder werden als »mittellos« – so arm, dass Grundbedürfnisse von Bekleidung bis Nahrung nicht erfüllt werden können – eingestuft, ein Anstieg von 148 Prozent seit 2017. Besonders bitter: 70 Prozent der armen Kinder leben laut dem PCS-Schreiben in einem Haushalt, in dem wenigstens ein Familienmitglied einer Lohnarbeit nachgeht. Erwerbstätigkeit, lässt sich schlussfolgern, reicht nicht aus, um britischen Familien eine würdige Existenz zu ermöglichen.
Deshalb werden in Großbritannien neben Kämpfen um Lohnerhöhungen auch immer wieder solche für die Verteidigung staatlicher Transferleistungen, wie zum Beispiel der Kinderbeihilfen geführt. Vor dem Parteitag gab es starken Druck aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, eine Debatte über die Abschaffung der sogenannten »Zwei-Kinder-Obergrenze« zu erzwingen. Dem konnte sich die Parteitagsregie jedoch erfolgreich verweigern. Mit der »Obergrenze« gibt es staatliche Unterstützung für maximal zwei Kinder pro Familie, weiterer Nachwuchs geht leer aus. Man muss kein Ökonom sein, um den Zusammenhang der wirtschaftlichen Situation mit der seit zehn Jahren immer seltener werdenden Entscheidung der Briten für Kinder herzustellen. Rachel Reeves ging auf die Kritik in ihrer Parteitagsrede mit keinem Wort ein. Offen ist noch, ob derlei staatliche Leistungen eine Rolle im kommenden Haushaltsentwurf spielen werden.
Hinzu kommt der Umstand, dass die Inflation die britischen Einkünfte und Lohnsteigerungen immer weiter auffrisst. Das führt zu teils heftigen Lohnkämpfen, zuletzt bei Busfahrern städtisch beaufsichtigter, aber privat betriebener Buslinien in Manchester. Nach einem mehrtägigen Streik Ende September konnten die Fahrer Entgelterhöhungen von bis zu 20 Prozent erkämpfen. Der erkämpfte neue Tarifvertrag ist allerdings auf zwei Jahre ausgelegt. Die Inflation ist schneller: Während die Teuerungsrate in den vergangenen zwölf Monaten bis Ende August laut Angaben der britischen Statistikbehörde ONS bei 3,8 Prozent lag, wuchsen die Lebensmittelpreise im gleichen Zeitraum um 5,1 Prozent. Den Lohnabhängigen schmilzt sozusagen die Butter vom Brot.
Am 7. Oktober spekulierte das Wirtschaftsportal Bloomberg darüber, dass dieser Zustand der britischen Finanzministerin bei ihrem Haushaltsvorhaben sogar nützen könnte, da durch die steigende Inflation die britische Staatsverschuldung – zumindest geringfügig – abnehmen könne. Es wird erwartet, dass der britische Rechnungshof, das Office of Budget Responsibility, kurz vor der Verkündung des Haushaltsentwurfs ein staatliches Finanzloch von 20 bis 30 Milliarden Pfund konstatieren wird.
Reeves sagte hierzu in ihrer Parteitagsrede, sie werde mit ihrer Verantwortung für die staatlichen Finanzen »nicht spielen«. Das darf man wohl als indirekte Absage zur gewerkschaftlichen Forderung nach einer Reichensteuer zum Stopfen des Finanzlochs werten. Ob Großbritannien für Lohnabhängige so jemals »funktionieren« kann, sei dahingestellt.
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