Hinterm Bauern – der Russe
Von Arnold SchölzelIrre Szenen im EU-Parlament bei seiner Sitzung am Dienstag in Strasbourg. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zieht in einer Rede im Plenum den Plan zur Halbierung des Pestizideinsatzes zurück. Der war im Herbst 2023 bereits vom EU-Parlament abgelehnt worden. Das Vorhaben, so von der Leyen, sei ein »Symbol der Polarisierung«, und: »Unsere Landwirte verdienen es, gehört zu werden.« Zumal sie Opfer des Klimawandels und Russlands seien: »Die Bauern sind die ersten, die die Auswirkungen des Klimawandels spüren. (…) Die Bauern spüren die Folgen des russischen Krieges. Inflation, steigende Kosten für Energie und Düngemittel.«
Gegen die primitiven Naturgewalten hält die CDU-Frau die Fahne der Zivilisation hoch. Noch vor acht Uhr am Morgen hatte von der Leyen auf X mitgeteilt, dass sich die Unterhändler von EU-Parlament und EU-Staaten auf die 50-Milliarden-Euro-Hilfe für Kiew geeinigt hätten, die am 1. Februar auf einem Sondergipfel von den EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen worden war. Deren Tagungsort Brüssel war an jenem Donnerstag von demonstrierenden Bauern faktisch lahmgelegt. Die Summe von 50 Milliarden Euro kommt bis 2027 zu den 88 Milliarden Euro hinzu, die in den vergangenen zwei Jahren aus der EU nach Kiew geflossen sind. 33 Milliarden Euro sollen Darlehen, der Rest Zuschüsse sein. Das holprige Zustandekommen der Entscheidung – Ungarn hatte sich monatelang quergestellt – wertete EU-Ratspräsident Charles Michel am Dienstag im EU-Parlament als »Zeichen der Einheit, der Geschlossenheit und der Führungsstärke«.
Von der Leyen machte in einer Ansprache zum zweiten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine deutlich, welch Triumph bevorsteht: Wer für etwas kämpfe, wie die Ukraine, habe die größere Stärke. Wer nur gegen etwas kämpfe, wie »der russische Soldat, den Putin in die Waagschale geworfen habe«, habe stets Angst, zu verlieren. Putins größte »Fehlkalkulation« im Februar 2022, als er einen »Blitzschlag« gegen Kiew plante, sei: »Die Sehnsucht nach Freiheit wird immer gewinnen.« Putin begreife Freiheit nicht: »Er kann nur zerstören, was er fürchtet.« Russland hat demnach bereits verloren. Der moralische Sieg allein reicht aber selbst der EU-Behördenchefin nicht. Stolz berichtet sie, die EU-Munitionsfabriken hätten ihre Produktionskapazitäten um 40 Prozent erhöht, die EU habe Militärhilfe im Umfang von 28 Milliarden Euro geleistet, und bis Ende 2024 erhalte Kiew auch die versprochene eine Million Artilleriegranaten. Wichtiger war aber: Die Rüstungsindustrie der Ukraine müsse »Teil der EU-Verteidigungsindustrie« werden. Im übrigen werde es noch viel »Schmerz und Leid« geben, nachdem vor zehn Jahren in Kiew eine »prorussische« Regierung beseitigt worden sei. Unerwähnt blieb: Die galt nach EU-Maßstäben als frei gewählt.
Die EU hat seit Februar 2022 mehr Geld nach Kiew gepumpt als die USA. Dort hielt die Blockade weiterer Überweisungen an. Expräsident Donald Trump forderte am Montag die Abgeordneten seiner republikanischen Partei auf seiner Onlineplattform Truth Social auf, im Kongress gegen den jüngsten Entwurf für Ukraine-Hilfe zu stimmen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hofft, wie er am Montag Abend sagte, noch auf ein Ja des US-Kongresses und anderer EU-Staaten, damit »die Rechnung des russischen Präsidenten nicht aufgeht, die Sache auszusitzen«. Scholz fliegt am Donnerstag nach Washington.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (7. Februar 2024 um 09:36 Uhr)In der EU treffen sich in zwei Räten Vertreter und Vertreterinnen der Regierungen der EU-Staaten: im Europäischen Rat und im Rat der Europäischen Union. Der Rat der EU wird auch Ministerrat genannt. Diese Räte sind die entscheidenden Organe der EU. Sie ist ein Staatenverbund, ihre Führung ist ein exekutives Organ ohne eigene Macht und Geld. Entgegen den Vereinbarungen wollen jedoch ihre Spitzenvertreter Politik machen, was ihnen nicht zusteht. In diesem Zusammenhang erscheinen mir die von den Medien zelebrierten Entscheidungen als Ausrede für höhere Gewalt, was natürlich nicht stimmt! Nun zur Ukraine-Hilfe: Im Gegensatz zu den US-Militärhilfen, bei denen neunzig Prozent der ausgegebenen Summen in der eigenen Militärindustrie landen, dienen die EU-Hilfen größtenteils dazu, das Alltagsleben in der Ukraine aufrechtzuerhalten. Dazu gehören Gehälter für Politiker, Beamte und Militär, Renten sowie die Aufrechterhaltung der Infrastruktur. Diese Gelder werden wir nie wiedersehen; sie sind als Hilfe abgeschrieben. Diese Summen fehlen natürlich in den Haushalten der EU-Staaten. Die Bürger merken instinktiv, dass der Lebensstandard stagniert und überall die Investitionen fehlen. Teilweise geht es sogar ums Eingemachte. Nicht nur die Bauern machen Aufstand, sondern auch die Oppositionsparteien verzeichnen generell einen Zulauf. In der EU ist ein Rechtsruck spürbar. Wo wird dies eher oder später hinführen?
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