Zwischen Aufbruch und Streit
Von Dieter Reinisch, Paris
Sie baue eine Partei auf, die eine wirkliche Alternative zu Krieg und Sozialabbau darstelle. Und das wirklich demokratisch, mit starker Einbeziehung der Basis. »Das Interesse ist groß«, schwärmt die britische Politikerin Zarah Sultana weiter, als sie jW zum Gespräch am Rande der von La France insoumise (LFI) organisierten Antikriegskonferenz »International Meeting against War« am Sonntag in Paris trifft. »Ich glaube an Gleichheit, Investitionen in öffentliche Dienste und eine Außenpolitik, die auf Frieden und Gerechtigkeit basiert«, erklärt sie.
Seit bald sechs Jahren sitzt sie im Parlament in London, zunächst für die sozialdemokratische Labour-Partei und seit ihrem Austritt im Juli als Teil einer Gruppe von unabhängigen Parlamentariern. »Unter Keir Starmer hat die Partei die rechte, konservative Politik der Tories übernommen. Sozial- und Rentenkürzungen werden von der Labour-Regierung umgesetzt, und weiterhin werden Waffen nach Israel exportiert«, begründet Sultana ihre Entscheidung. Mit 17 Jahren hatte sich die heute 31jährige Labour angeschlossen, als die Partei gerade in die Opposition gegangen war. Den britischen Arbeitern standen damals die neoliberale Kürzungspolitik und der Sozialabbau der konservativen Regierungen bevor.
Mit dem ehemaligen Labour-Chef Jeremy Corbyn möchte sie nun eine neue Linkspartei aufbauen. »Ich konnte nicht länger in einer Partei sein, die Menschenleben im Ausland zu verantworten hat, weil sie den Genozid unterstützt, und Menschenleben im Inland zu verantworten hat, weil sie Austeritätspolitik betreibt.« Es sei keine Frage des »Ob«, sondern des »Wann« gewesen: »Viele Menschen sagen uns, es gibt keine linke Alternative, daher müsse man Labour wählen, um Reform und Nigel Farage zu verhindern«, so Sultana, doch »Labour ist moralisch und politisch tot«.
Am 29./30. November soll der Gründungsparteitag der neuen Partei in Liverpool stattfinden. Dort werde eine politische Organisation aufgebaut, die ein »sozialistisches Bild einer Gesellschaft entwirft, in der Arbeiter im Besitz der Produktionsmittel sind und in der Profite ihrer Arbeit in Schulen, Gesundheit und den Sozialstaat fließen, nicht in Dividenden von Aktionären«, skizziert sie das Programm der in der Entstehung begriffenen Partei. Dabei klingt sie anders als noch vor wenigen Wochen, als das Projekt auf der Kippe stand. Da hatte die Politikerin ein Mitgliederportal beworben, das, wie Corbyn öffentlich verkündete, »nicht autorisiert« sei. Die Partei werde von einem »sexistischen Männerverein« geführt, behauptete Sultana daraufhin öffentlich. Corbyn habe Labour in seiner Zeit als Parteichef undemokratisch geführt und das Potential der Basis nicht genutzt, dies wiederhole er beim Aufbau der neuen Partei.
Nun betont sie: »Es gibt derzeit keine demokratische Partei im britischen System, daher bauen wir sie auf. Wir werden eine demokratische Konferenz im November veranstalten.« Alle Strukturen, Strategien und politischen Positionen würden »demokratisch« entschieden. Und, angesprochen auf den Konflikt mit Corbyn: »Das waren Kinderkrankheiten.« Solche seien »normal, wenn eine komplett neue Partei aufgebaut werde«. Außerdem wollten »unsere Unterstützer, dass es klappt«. Sie gesteht jedoch auch: »Natürlich sind die Leute enttäuscht über das, was sie gesehen haben. Wir müssen das Vertrauen wiederaufbauen.«
Der Aufruf zur Gründungskonferenz und Sultanas Aussagen klingen danach, als hätte sich ihre Fraktion durchgesetzt, doch darauf möchte sie nicht eingehen: »Wir beide, Jeremy und ich, sind enorm bestrebt, diese Partei gemeinsam aufzubauen.« Auf die Frage nach Spekulationen, dass sie an einem Wahlbündnis mit den Grünen arbeite, antwortet sie: »Nein, aber wir wollen mit allen zusammenarbeiten, die unsere Werte teilen.« Sie möchte mit allen kooperieren, die den rechten Nigel Farage als Premierminister verhindern wollen, aber es gebe auch »rote Linien«. Sie wolle mit niemandem aus Labour zusammenarbeiten, der »Sozialabbau und Völkermord« unterstützt habe.
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