»Wir müssen die Komplizenschaft beenden«
Interview: Marc Bebenroth
Die US-Regierung hat am Dienstag abend einen mit Israel abgestimmten »Friedensplan« für Gaza veröffentlicht. Er verspricht ein Ende der Besatzung, humanitäre Hilfen und zwei neue Institutionen, die für den Gazastreifen verantwortlich sein sollen. Warum ist das kein guter »Deal« für die Opfer des Völkermords?
Manche Leute wollen einfach nur das Ende des Genozids. Was danach folgt, gerät aus dem Blick. Dieser Vorstoß wird nicht die Grundprobleme lösen: das Apartheidregime im Westjordanland sowie die militärische und die politische Besatzung in Gaza. Solange das palästinensische Volk nicht an dem Tisch sitzt, an dem über seine Gerechtigkeit geredet wird, kann es nicht sein Selbstbestimmungsrecht ausüben.
Was ist der bessere Weg?
Was hier vorgelegt wird, festigt die Existenz eines Gazastreifens und eines Westjordanlands mit einer Entität Israel in der Mitte. Aber eine solche Zweistaatenlösung geht nicht die grundlegenden Probleme an. Die Grenzen von 1948 sind ein Ansatz für einen langfristigen sowie gerechten Frieden in der Region. Wir müssen darüber reden, was ein palästinensischer Staat unter der Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes für die Menschen bedeutet, die dort leben. Dafür ist eine Einstaatenlösung der richtige Weg.
Alle Seiten müssten daran beteiligt werden …
Genau. Aber das palästinensische Volk sitzt nicht mit am Tisch. Ich bin kein palästinensischer Mensch, ich bin kein Vertreter der palästinensischen Menschen. Hierzulande haben viele eine Meinung dazu, ob es die Lösung in Palästina wäre, ein, zwei oder drei Staaten zu schaffen. Das ist aber für unsere Komplizenschaft irrelevant und sollte nicht der Ansatz sein, mit dem wir darüber urteilen, was das Richtige für die Palästinenser ist.
Was sollte der Ansatz sein?
Wir müssen dafür sorgen, dass alles, was die Bundesrepublik an Druck und militärischem Einfluss aufgebaut hat, abgebaut wird.
Wird in der Debatte der Linken hierzulande zu wenig über die Rolle Deutschlands gesprochen?
Ich beobachte auch oft in linken Kreisen, dass man sich anmaßt zu sagen, was das Richtige für die Menschen in der Region ist. Statt dessen müssen wir erst unsere Komplizenschaft in jeder Form beenden und Reparationen zahlen. Besonders diejenigen, die sich erst in den vergangenen zwei Jahren mit der Palästinafrage beschäftigt haben, scheinen häufig über das Ziel hinauszuschießen. Wir sind hier keine Freiheitskämpfer. Alles, was wir in Deutschland in der Linken machen sollten, sollte nicht aus Solidarität, sondern zuerst aus Verantwortung geschehen. Unsere Regierung ist direkt beteiligt.
Ihre Partei war mit einem Block und Redebeiträgen auf der »Zusammen für Gaza«-Demo am Sonnabend in Berlin vertreten. Konnten Sie den Leuten Ihre Position erklären?
Wir haben Aspekte artikuliert, die über den Demokonsens hinausgingen, und den Apartheidstaat, den Zionismus sowie den Siedlerkolonialismus als grundlegende Probleme benannt. Wir haben erklärt, dass wir das Selbstbestimmungs- und Rückkehrrecht für die palästinensischen Menschen fordern. Das wurde sehr positiv aufgenommen.
Werten Sie die Demo mit 60.000 – oder gar mehr als 100.000 – Teilnehmenden als Erfolg?
Vielen ging es darum, einfach nur möglichst viele Menschen zu mobilisieren. Aber unser Ziel war es auch, dass Die Linke sich klar gegen den Genozid und gegen die Komplizenschaft Deutschlands ausspricht. Das ist wichtig, damit wir mit dieser Position weiterarbeiten können. In dieser Hinsicht war die Demo ein Erfolg.
Welche Schlüsse ziehen Sie mit Blick auf die Frage, wie sich das verstetigen lässt?
Mit dieser Großdemo ist meiner Ansicht nach gezeigt worden: Der Druck aus der Gesellschaft ist groß genug, dass sich die Linkspartei klar positioniert hat. Jetzt müssen wir überlegen, was nächste Schritte sind, um das zu verfestigen und weiter Druck auf die Regierung auszuüben. Zum Beispiel ein Kongress, bei dem noch mal andere Akteure eingeladen und politische Diskussionen geführt werden. Oder weitere größere Demos.
Spricht etwas dagegen, sich an den Friedensdemonstrationen an diesem Freitag in Berlin und Stuttgart zu beteiligen?
Für uns nicht, weshalb wir auch zu der Demonstration aufgerufen haben und in beiden Städten vertreten sein werden.
Imran Akyol ist stellvertretender Vorsitzender der Partei MERA 25
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Leserbrief von Wilfried Schubert aus Güstrow (2. Oktober 2025 um 11:26 Uhr)Der US-Präsident kann seinen »Friedensplan« gar nicht genug loben. Israels Ministerpräsident und seine Regierung stimmen zu. Die Hamas, die an den Verhandlungen nicht teilnahm, will ihn prüfen. Die Schaffung eines Staates für die Palästinenser, wie schon 1947 von der UNO beschlossen, wird nur vage erwähnt. Trumps Absicht, den Gaza-Streifen zu entmilitarisieren, wird bei der Hamas kaum Zustimmung finden, da Israel seine hochgerüstete Armee mit 90 atomaren Waffen behält. Zudem will Israel in Gaza eine dauerhafte Sicherheitszone errichten. Der Rest von Gaza würde dann von Trump regiert und kolonisiert. Das wird die Hamas verständlicherweise kaum akzeptieren. Der US-Präsident will nicht nur eine Führungsrolle bei der Kontrolle der Übergangsregierung, sondern auch seine Wirtschaftsideen umsetzen. Das bedeutet weniger Profit für Gaza, sondern mehr für die USA. Trump selbst hatte einmal die Idee, die Kontrolle für das Gebiet zu übernehmen, die Palästinenser umzusiedeln und Gaza in eine Riviera des Nahen Ostens zu machen. Voraussetzung für die Beendigung des Krieges bleibt die Schaffung eines Staates Palästina mit den Gebieten Gaza und Westjordanland.
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