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Aus: Ausgabe vom 25.09.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Union Busting Monitor

Kapern Union Buster Arbeitsgerichte?

Regulatory capture: Union-Busting-Anwälte tauchen vermehrt als Richter an Arbeitsgerichten auf
Von Jessica Reisner und Elmar Wigand
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Deutschland ist ein demokratischer Rechtsstaat. Punkt. Oder Fragezeichen? In der Bundesrepublik können Angestellte immerhin ihre Chefs verklagen. Soweit, so gut. Der demokratische Rechtsstaat ist eine Errungenschaft, die besonders eingewanderte Kollegen zu schätzen wissen, die aus korrupten und völlig dysfunktionalen Ländern kommen. Jedenfalls so lange, bis sie es selbst einmal mit deutschen Arbeitsgerichten zu tun hatten. Dann folgt Resignation.

Tatsächlich wird hier viel verhandelt. Richterinnen und Richter klagen über Überlastung. Verfahren ziehen sich in der ersten Instanz schnell über ein Jahr. Beispiel Arbeitsgericht Berlin: 14 Monate nach der Kündigung des Assistenzlehrers Marcell durch das Digital Career Institute (DCI) verhandelte das Gericht unter Vorsitz von Richter Stephan Makowka dessen Kündigungsschutzklage. Marcell hatte im Sommer 2024 mit Kollegen eine Betriebsratsgründung initiiert. Die DCI-Geschäftsführung kündigte Marcell und drei Mitstreitern daraufhin am 8. Juli 2024 fristlos. Das Ergebnis der Verhandlung vom 5. September 2025 am Arbeitsgericht Berlin ist eine Abfindung in Höhe von 50.000 Euro.

Wie viel Rechtsstaatlichkeit bleibt übrig, wenn über die Rechtsmäßigkeit einer Kündigung erst nach über einem Jahr entschieden wird? Die unzumutbare Verzögerung schafft Fakten. Betroffene müssen sich in solchen Fällen, die eher die Regel als die Ausnahme sind, wirtschaftlich längst neu aufstellen. Eine Rückkehr an den alten Arbeitsplatz ist im Grunde kaum ernsthaft vorgesehen.

Vorgesehen – und gesellschaftlich bislang akzeptiert – ist dagegen die Abfindung. Rund 80 Prozent aller Kündigungsschutzverfahren enden so. Arbeitsgerichte scheinen ihre Aufgabe nicht in Rechtsfindung, sondern in sogenannter Befriedung zu sehen.

Union Busting, die Behinderung der Betriebsratsarbeit nach Paragraph 119 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), ist als Straftat mit bis zu einem Jahr Haft bewehrt. Doch die Klausel verpufft dank desinteressierter Staatsanwaltschaften und Arbeitsrichter wie Stephan Makowka wirkungslos. Der arbeitete vor seiner Berufung bei einschlägigen Union-Busting-Kanzleien wie Ogletree Deakins und CMS. Grundrechte und Meinungsfreiheit wollte er am 5. September laut Beobachtern nicht verhandeln.

So ist, zumindest auf dem Papier, »Rechtsfrieden« hergestellt. Real jedoch wurden Angestellte des DCI um Grundrechte betrogen und unrechtmäßig gefeuert. Das DCI verhinderte, zunächst mit Hilfe des berüchtigten Betriebsratsfressers Helmut Naujoks, später mit Anna Munsch von der Kanzlei Arqis, demokratische Mitbestimmung. Beim DCI ist damit die Erde für Betriebsratsgründungen vermutlich über Jahre verbrannt. Mission erfüllt.

Solche Erfahrungen erschüttern das Vertrauen der Lohnabhängigen in den Rechtsstaat. Die Erosion der Demokratie hat auch mit undemokratischen Arbeitsbeziehungen zu tun. Richter wie Makowka leisten ihren Beitrag, die Erosion zu beschleunigen. Gewerkschaftsnahe Rechtsanwälte beobachten mit Sorge, dass zunehmend Anwälte aus Union-Busting-Kanzleien die Seiten zu wechseln scheinen und als Richter an Arbeitsgerichten auftauchen. Die Unterwanderung öffentlicher Institutionen durch Interessensvertreter, die eine bestimmte Agenda verfolgen, wird auf englisch als »Regulatory capture« bezeichnet, das Kapern von Behörden und Kontrollinstanzen. Was als »Lawfare« in Südamerika Methode hat, findet in kleiner, schleichender und verdeckter Form womöglich auch an deutschen Arbeitsgerichten statt. Ganz auffällig in Berlin. Aber auch in Köln, wo Richterin Nadja Abou Lebdi am 8. August 2024 durch ein skandalöses Urteil gegen die Betriebsratsvorsitzende des ADAC Nordrhein auf sich aufmerksam machte. Auch sie kam von CMS.

Eine genaue Untersuchung dieser Unterwanderung steht noch aus. Wäre aber wichtig, um zu verstehen, was zur Hölle da los ist.

Unsere Autoren gehören zur »Aktion gegen Arbeitsunrecht« und moderieren den Podcast Arbeitsunrecht FM

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