Nichts gilt für immer
Von Manfred Hermes
So inhärent nostalgisch und selbstsicher rückwärtsgewandt Paul Thomas Anderson sich auch immer geben mag, an Abgesängen auf das Kino hat er sich nie beteiligt. Vielleicht ist Beharrlichkeit die Formel seiner Trauerarbeit, unbestreitbar hat er mit »One Battle After Another« dem Kinofilm aber noch mal einen großartigen Dienst erwiesen. Eigenen Aussagen zufolge war er lange mit der Arbeit an den Umrissen und dem Gestänge dieses Films beschäftigt. Schon 2005 hieß es, das solle wie eine endlose Verfolgungsjagd sein. Oder so etwas wie »Les Misérables« werden: Nach einem tosenden ersten Akt richtet man sich in der Story ein und versucht, aus den ersten Entscheidungen und deren Trümmern das Beste zu machen.
Neben diesem Methodischen waren natürlich die Thomas-Pynchon-Vorgaben wichtig. »One Battle After Another« ist nach »Inherent Vice« Andersons zweite Adaption eines Romans des Autors. Die Verbindungen zu Pynchons »Vineland« sind zwar eher locker, andererseits ziehen sich auch durch Andersons andere Filme oft pynchoneske Spuren: Hang zum reichhaltigen Gesellschaftsbild und zu enzyklopädischer Fülle, verschwörerische Strukturen auf allen Seiten, die Rolle neuer Technologien dabei, dann auch das ironische und popkulturelle Einfärben von Thema und Stilistik. In »One Battle« wie in »Vineland« gibt es Revolutionäre, Rebellen, Aufrührer auf der einen Seite und die große Welt von »Regierung«, »militärisch-industriellem Komplex« auf der anderen. Beide sind gut vernetzt, agieren klandestin, allerdings verfügen die staatlichen Akteure über weitaus mehr Geld und Macht.
In Kampf eins in »One Battle After Another« wird eine militärisch befestigte Grenzeinrichtung überfallen, Migranten werden aus Käfigen befreit. Der Überfall zeigt taktische Vorerfahrung, einen hohen Grad an Organisation und politischer Schulung: »Das ist der Beginn der Revolution.« Es folgen Banküberfälle, Sabotageakte, noch mehr Tumult. Auch mehr Geilheit. Denn es soll hier zur Wahrheit der revolutionären Aktivität gehören, dass nichts geiler ist als Macht und Selbstermächtigung. Da aber sexuelle Anziehung und politische Korrektheit nicht kongruent sein müssen, wird die sexuelle Politik sofort zu einem Problem.
Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor) ist die »Bossy Top« der Gruppe French 75 und lose mit dem Sprengstoffexperten Bob Ferguson (Leonardo DiCaprio) liiert. Umständehalber, einmal nimmt sie ihn, später er sie fest, hat sie sich auch mit diesem absoluten Feind sexuell eingelassen, wobei dieser muskulös versteifte Colonel Lockjaw (Sean Penn) hier die Rolle des Polizisten im Kasperletheater einnimmt. Danach ist Perfidia schwanger, verrät die Mitglieder ihrer Zelle und taucht ab. Das ist das Ende der French 75, nur Ferguson gelingt die Flucht. Da Perfidia ihr Baby Willa längst bei ihm abgeladen hat, kommt das Kind eben mit in den Untergrund. Dann heißt es: »16 Jahre später«.
Der erste Akt von »One Battle« hat zunächst temporale Verwirrung gestiftet. Thematisch und atmosphärisch würde das Geschehen gut in die gegenwärtigen »interessanten Zeiten« passen, wie sie ja nicht erst seit Trumps Wiederwahl angebrochen sind. Migration, Militarisierung des Grenzregimes, politische Aggressivität und eine Aufstands- und Bürgerkriegsrhetorik haben eher einen heutigen Vibe. Pynchons »Vineland« wiederum kam 1990 heraus, die fiktionale Gegenwart liegt bei ihm im mythischen 1984, dem Jahr, in dem auch Ronald Reagan wiedergewählt wurde. Das Vorspiel findet bei ihm viel zutreffender Ende der 60er Jahre statt. Die Gegenwartsmarkierungen des »16 Jahre später« in Andersons Film zeigen alle eindeutig ins aktuelle Jetzt. Sein »Früher« kann daher nur 2009 gewesen sein, was wiederum vorne und hinten nicht passt. Allerdings hat man bei einem Film, dessen dramaturgisches Getriebe so gut funktioniert und der so unterhaltsam ist (vor allem viel weniger langweilig als Pynchon), Kunstfreiheit klar vor Pingeligkeit zu verteidigen.
Nun sind zwei Jahrzehnte, so oder so, eine lange Zeit, und nichts gilt für immer. Das trifft wahrscheinlich erst recht auf Militanz als Lebensstil oder Stilentscheidungen zu. 16 Jahre später lebt Ferguson denn auch als ausgewaschener Kiffer in einem bescheiden ausgestatteten Untergrund mit gefälschter Identität und ohne Internet. Die guten Absichten, festen Ansichten, die glorreichen Orthodoxien von damals wurden von Bequemlichkeit und vielen Zwängen so gut wie weggewischt. Jetzt ist die Familie zum Schauplatz neuer Kämpfe geworden. Immerhin hat Ferguson seine Tochter Willa (Chase Infiniti) durch das Gröbste gebracht. Die ist jetzt eben 16 und steht damit für eine neue Generation und entsprechende Unverträglichkeiten.
Aber auch auf der Gegenseite haben sich mit den Jahren die Interessen verschoben. Lockjaw zieht es jetzt sozial nach oben. Er will Prestige und zur Oligarchie des Landes aufschließen. Er bewirbt sich um die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft, die strikt die White Supremacy vertritt und sich den Staat also auch in einem rassistischen Verständnis zur Beute machen will. Von jetzt an geht es also viel um gute und falsche Jeans, so dass auch Lockjaws Einlassungen mit der Afroamerikanerin Perfidia zunehmend zu einem Hindernis werden und er ihre Spuren verwischen muss.
Und da zeigt es sich wieder, das würgend finstere Amerika der paranoiden Pynchon-Welt, das wahrscheinlich nur komödiantisch zu ertragen ist. Aber eine Komödie ist Andersons »One Battle After Another« ja schließlich auch, und zwar eine mit viel Aktion, in der keine Sekunde der fast drei Stunden verschenkt wird.
Ob es ein Banküberfall ist, der wie eine »Voguing Challenge« inszeniert ist, die analogen Komplikationen in einer digital durchtechnisierten Welt, die neuen sozialen Anforderungen, auf Mikroaggressivität zu achten oder mit non-binärer Ansprache zurechtkommen zu müssen – das ist alles bis ins Kleinste witzig und ergibt viele glückliche Vorgaben für Schauspieler, deren Auswahl ihrerseits zu einem Glück für den Film geworden ist.
Leonardo DiCaprio spielt den revolutionären Ruheständler mit gespannter Präzision. Noch aus unscheinbarsten Merkmalen, der Suchttyp, der erst noch schnell den Stummel wegraucht, erspielt er subtile Millisekunden. Dass Ferguson seine Zeit nicht wie andere in seiner Lage für Capoeira-Training genutzt, sondern sich das Hirn multitoxisch zerschossen hat, macht allerdings aus jedem Ernstfall auch einen dramatischen Höhepunkt. Sean Penn wiederum agiert den sprechenden Namen seiner Figur Lockjaw mit winzigen mimischen Verkrampfungen aus, die ihn nachträglich zu einem Beleg der Theweleitschen These vom verpanzerten Nazimann machen.
In all dem findet sich aber auch ein übergeordnetes Motiv vieler Anderson-Filme wieder: Bedrohtheit und Erosion der männlichen Position, der Zusammenbruch überkommener Gewissheiten und wie veränderte gesellschaftliche Umstände neue Reaktionsweisen erzwingen. Durch die Umstände zum besseren Menschen oder ins Erwachsensein gedrängt zu werden, das war immer ein pragmatischer und zentraler Topos US-amerikanischer Filme. Andere Orthodoxien blieben diesem Kino eher fremd, und auch für Anderson sind sie höchstens als ironisch verwertbarer Rest interessant. Ganz klassisch geht bei ihm das Emotionalisieren vonstatten. Sich um die Nächsten sorgen, die Familie verteidigen, und sei es die nichtbiologische, stellt auch in »One Battle After Another« viel von der emotionalen Involvierung her, die im übrigen beträchtlich ist. Aber dann hat ja auch niemand Paul Thomas Anderson jemals einen Linken genannt.
»One Battle After Another«, Regie: Paul Thomas Anderson, USA 2025, 161 Min., Kinostart: heute
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Nachschlag: Er ist wieder da
vom 25.09.2025 -
Vorschlag
vom 25.09.2025 -
Kanonist des Tages: Markus Söder
vom 25.09.2025 -
Die Seele der Motte
vom 25.09.2025 -
Den Knoten lösen
vom 25.09.2025 -
Die Liebende
vom 25.09.2025