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Aus: Ausgabe vom 25.09.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Arbeitskampf

Prügel für Streikende

Gewalt gegen migrantische Arbeiter im italienischen Prato. Region durchlebt lange Wirtschaftskrise
Von Fabio Nacci
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Abgedrängt und ausgeblendet: Ein migrantischer Arbeiter sieht der Polizeidurchsuchung einer Stoffabrik zu (Prato, 9.12.2013)

»Es ist die Gewalt, der seit Jahren diejenigen ausgesetzt sind, die im Prateser Textildistrikt die Stimme erheben«, erklärte Marco Grimaldi, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der grün-linken Alleanza Verdi Sinistra in der Abgeordnetenkammer. Es geht um den jüngsten Angriff auf streikende Arbeiter in der Toskanaprovinz Prato. Es ist die größte Textilregion in Europa mit mehr als 130.000 Arbeitsplätzen und einer langen Tradition in der Bekleidungsbranche. Doch sie zeigt heute tiefe Verwerfungen, von verschärfter Ausbeutung der Arbeitskräfte bis zu einer Wirtschaftskrise, die den internationalen Ruf von Kleidung »Made in Italy« zu gefährden droht.

Der neueste Vorfall ereignete sich an einem Dienstag Mitte September, als überwiegend bangladeschische und pakistanische Arbeiter der Wäscherei Alba während eines Streiks gegen Versetzungen und Betriebsverlagerungen angegriffen wurden. Von Gewerkschaften veröffentlichte Videos zeigen, wie die Unternehmensinhaberin und weitere Personen die Arbeiter mit Faustschlägen und Tritten attackieren, während diese versuchten, den Streikposten vor dem Werk in Montemurlo zu verteidigen. Einer der Arbeiter erlitt mehrere Prellungen.

Die Gewerkschaften berichten von unbezahlten Überstunden, verpflichtenden Sonnabenden ohne Entlohnung und unzulänglichen Arbeitsverträgen. Bis Januar dieses Jahres seien viele Alba-Beschäftigte formal bei einer Dienstleistungsgesellschaft angestellt gewesen, obwohl sie im Werk unter der Leitung des Hauptunternehmens arbeiteten – mit Nettolöhnen zwischen 1.000 und 1.200 Euro im Monat für die Fertigung von Kleidungsstücken, die zu hohen Preisen verkauft werden. Zwölfstundenschichten, Absonderung zwischen Fabrik und bereitgestellter Unterkunft sowie ein Subunternehmenssystem, das die Löhne um bis zu 40 Prozent drückt, haben eine Situation innerbetrieblicher Prekarität geschaffen.

Das System der Subunternehmer und der Einsatz migrantischer Arbeitskräfte machen zudem die Rückverfolgung der Lieferkette schwierig. Die Gewerkschaft SUDD Cobas beklagt, dass Unternehmen eine Kette von Briefkastenfirmen schaffen und Maschinen und Aufträge zwischen verschiedenen Gesellschaften verschieben, um vertragliche Verpflichtungen zu umgehen. Gewalt gegen Streikende sei ein Mittel, um den Willen der Chefs und Vorgesetzten ungehindert durchsetzen zu können.

Die Gewalt ist dabei kein Einzelfall. Bereits im letzten Jahr wurden während eines Streiks in einer Lederwarenfabrik Arbeiter und Aktivisten mit Eisenstangen angegriffen. »Beim nächsten Mal erschießen wir euch«, wurde gedroht. Weitere Einschüchterungsversuche betrafen Brandstiftungen, körperliche Übergriffe und Drohungen gegen chinesische und pakistanische Arbeiter – ein besorgniserregender Beleg für die fortgesetzte Gewalt gegen Protestierende.

Die Wirtschaftskrise in Prato verstärkt die soziale Spannung: Nach Angaben des italienischen Statistikamtes sank die Stoffproduktion in den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 um 10,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, im Vergleich zu 2022 war es sogar ein Rückgang um gut 25 Prozent. Viele Unternehmen haben den Betrieb eingestellt oder Personal durch Kurzarbeit reduziert. Besonders das Handwerk steht vor dem Zusammenbruch: Bandwebereien und historische Werkstätten haben die Produktion aufgegeben, so dass Designer gezwungen sind, auf billigere und qualitativ minderwertigere industrielle Zulieferer zurückzugreifen.

Politische Reaktionen folgten prompt. Die sozialdemokratische Partito Democratico stellte eine parlamentarische Anfrage und sagte, dass »Prato nicht das Land der verweigerten Rechte sein darf«, während der Präsident der Region Toskana, Eugenio Giani, den Vorfall verurteilte und das in der Verfassung verankerte Streikrecht bekräftigte. Nach Ansicht der Gewerkschaften begünstigt aber das politische Klima unter der Regierung Meloni eine Toleranz gegenüber solchen Gewalttaten und schafft ein Umfeld, in dem Protest zunehmend riskant ist.

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