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Aus: Ausgabe vom 25.09.2025, Seite 8 / Feuilleton

Kanonist des Tages: Markus Söder

Von Felix Bartels
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Teutonischem Klassizismus verpflichtet: Die Walhalla

Mit Hallen hat man es in Deutschland. Als Dankwart Blödel erschlug, riet Hagen wider die ausdörrenden Flammenden das Blut der Gefallenen zu trinken. Der Kanon fließt nicht durch den Kopf, er fließt durchs Blut. Unweit Regensburgs am Ufer der Donau erhebt sich der zugehörige Tempel: die Walhalla. 132 Büsten umkränzen den Innenraum, glatt wie ein Babypopo, künstlerisch pointless. Sie bilden der Deutschen Größte ab, zugleich das alberne Unterfangen, kulturelles Erbe abzählbar zu machen.

Doch wer zählt? Seit 1842 folgt Büste auf Büste, zwei Plätze sind noch frei. Das romantische Deutschland in Mamor. Neben den üblichen Verdächtigen, gegen die wohl keiner was hätte – Gutenberg, Dürer, Bach, Goethe etwa – reihen sich die Staatsvorsteher, von Heinrich I. bis Adenauer. Deutlicher wird das Profil durch die Abwesenden. Schelling ist zugegen, Hegel nicht. Der Freiherr vom Stein versammelt reaktionäre Auxiliartruppen: Blücher, Scharnhorst, Gneisenau, wie auch Jahn und Görres. Steins progressiver Gegenspieler Hardenberg fehlt. Der Roman wird vom blutleeren Stifter vertreten, während Thomas Mann und Fontane ohne Ticket geblieben sind. Immerhin hat der lange gehasste Heine mittlerweile einen Platz erhalten. Ob er sich wohlfühlt in dieser Gesellschaft?

Die Bundesrepublik übt Spagat. Reaktionäres Erbe pflegen und zugleich progressiv sein. Einfach dem Alt- und Starkdeutschentum huldigen schreckt die Habeckdeutschen ab. Folglich hat Markus Söder jetzt die letzten beiden Plätze der Walhalla paritätisch besetzt: Hannah Arendt, die demokratische Kritikerin totaler Herrschaft, und Franz Josef Strauß, Akteur totaler Herrschaft in demokratischen Grenzen, müssen fortan die Ewigkeit miteinander verbringen. Haupt an Haupt, die Bundesrepublik, wie sie redet, und die Bundesrepublik, wie sie ist.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (26. September 2025 um 08:44 Uhr)
    »Hannah Arendt, die demokratische Kritikerin totaler Herrschaft, und Franz Josef Strauß, Akteur totaler Herrschaft in demokratischen Grenzen, müssen fortan die Ewigkeit miteinander verbringen.« Womit hat sich Hannah Arendt, »die demokratische Kritikerin totaler Herrschaft«, die Anerkennung der bayerischen Bourgeoisie verdient? Es ist die Totalitarismusdoktrin, die untrennbar mit dem Namen Hannah Arendt verbunden ist: »Der schale Charme der Hannah Arendt. Es ist die linke Diktion, der implizite Bezug auf Marx oder Lenin, ohne sie zu nennen, womit Arendt Linke anfüttert, um sie an den Haken ihrer Totalitarismusdoktrin zu bekommen. Dann werden die Schrecken des Faschismus vor allem aus seiner Ideologie, weniger aus den Interessen des Kapitals abgeleitet, dann wird der Sozialismus in seiner siegreichen Form, die untrennbar mit dem Namen Stalin verbunden ist, dem Faschismus gleichgesetzt. Und fertig ist die Botschaft: Lasst das revolutionäre Aufbegehren gegen das kapitalistische System, es wird bei Stalin enden. Dazu muss sie den Arbeiterführer Stalin zum Dämon aufblasen, um ihn vergleichbar zu machen mit dem Reichswehrspitzel Hitler. (Aus «Hannah Arendt Der Kommunismus wird verbrannt – da kann er machen, was er will!» KAZ Nr. 342)

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