Trügerische Annäherungen
Von Jörg Kronauer
Wer hätte das gedacht: Die USA haben eine kleine Charmeoffensive gegenüber China initiiert. Sie begann mit einem Telefongespräch, das US-Verteidigungsminister Pete Hegseth am 9. September mit seinem chinesischen Amtskollegen Dong Jun führte. Nach Angaben eines Pentagon-Sprechers stellte Hegseth dabei klar, »dass die Vereinigten Staaten keinen Konflikt mit China suchen« und »auch keinen Regime-Change und keine Strangulierung der Volksrepublik anstreben«. Hegseths Formulierungen seien wirklich »beispiellos«, urteilte vergangene Woche auf dem Xiangshan-Forum in Beijing Chad Sbragia, ein Ex-Pentagon-Beamter, der dort während Trumps erster Amtszeit an einflussreicher Stelle für China zuständig gewesen war. Dass ein Verteidigungsminister derlei öffentlich sage, sei bemerkenswert.
Hat Sbragia recht? Als wollte er dies bestätigen, äußerte sich US-Präsident Donald Trump am Freitag überaus positiv über das zweistündige Telefongespräch, das er soeben mit seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping geführt hatte. Während auf chinesischer Seite davon die Rede war, das Gespräch sei »offen« gewesen – eine Vokabel, die gemeinhin als Umschreibung für konflikthaft bis lautstark verwendet wird –, lobte Trump, der Austausch sei »sehr gut« gewesen; er verstieg sich sogar zu der Behauptung, beide Seiten unterhielten »eine sehr gute Beziehung«. Am Rande des APEC-Gipfels Ende Oktober in Südkorea werde er Xi endlich persönlich treffen, Anfang 2026 wolle er zudem zu umfassenden Verhandlungen nach China reisen. Und dann werde sich sogar Xi in die USA begeben; nur der genaue Termin sei noch unklar: »zu einer passenden Zeit«, erklärte Trump.
Und als wäre das alles nicht genug des Süßholzraspelns gewesen: Am Wochenende traf eine Abgeordnetendelegation aus dem US-Repräsentantenhaus zu Gesprächen in Beijing ein. Es sei das erste Mal seit 2019, dass man sich in die chinesische Hauptstadt begeben habe, stellte der Leiter der überparteilichen Delegation, der Demokrat Adam Smith, fest. Das stimmt: Seit dieser Zeit sind US-Abgeordnete lediglich nach Taipeh gereist, was die Beziehungen zur Volksrepublik deutlich verschlechtert hat. Man wolle sich künftig wieder öfter miteinander austauschen, behauptete Smith. Es gelte, »das Eis zu brechen«, das zwischen Washington und Beijing aufgetürmt worden sei.
Die US-Charmeoffensive steht in krassem Gegensatz zu den verbalen Aggressionen und den Wirtschaftsattacken – man denke nur an die kurzzeitig verhängten US-Zölle von 145 Prozent auf Einfuhren aus China –, die noch bis vor kurzem die Beziehungen zwischen Washington und Beijing dominierten. Wie kommt’s? Es fällt auf, dass die Volksrepublik im Zollkonflikt mit den Vereinigten Staaten einige Pluspunkte sammeln konnte (vgl. jW vom 20. September), die den USA ziemlich zu schaffen machen. Da wäre die Tatsache, dass die US-Industrie bis hin zur Rüstungsbranche von der Einfuhr seltener Erden aus China abhängig ist und das wohl noch zwei bis drei Jährchen so bleiben wird. Hinzu kommt, dass viele US-Farmer stark darunter leiden, dass die Volksrepublik ihr Soja nicht mehr kauft; wie schon in Trumps erster Amtszeit stehen einige von ihnen wegen des Zollkonflikts vor dem Bankrott.
Und dann wäre da noch der Rückschlag für die USA in puncto Halbleiterembargo. Bislang galten, was Entwicklung und Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) anbelangt, KI-Chips des US-Konzerns Nvidia weltweit als das Nonplusultra. Nach China dürfen – schon die Biden-Administration hat dies verfügt – nur minderwertige Nvidia-Chips geliefert werden, um die Volksrepublik ökonomisch zurückzuwerfen. Inzwischen holen chinesische Hersteller jedoch auf. Neben Huawei entwickelt mittlerweile auch das Unternehmen Cambricon sehr leistungsfähige KI-Chips, während Huawei und SMIC neue Fabriken zur Massenproduktion von KI-Chips bauen und Deep Seek sein jüngstes KI-Modell für die Nutzung chinesischer Halbleiter optimiert hat. Die chinesische Hightechindustrie hat so weit aufgeholt, dass die Regierung in Beijing kürzlich chinesische Unternehmen auffordern konnte, gefälligst keine Nvidia-Chips mehr zu verwenden. Damit läuft das US-Embargo auf KI-Halbleiter ins Leere, und mehr noch: US-Konzerne wie Nvidia verlieren einen wichtigen Absatzmarkt, auf dem sie die Profite erzielen konnten, die sie brauchen, um ihre äußerst teure Forschung und Entwicklung zu finanzieren.
Es scheint, als könnten die USA Trumps Zollkrieg gegen China nicht gewinnen. Was hülfe, ist aus Sicht der Vereinigten Staaten eine kurze Ruhephase, bis man zum nächsten Anlauf übergeht. Das ist der Hintergrund der ungewohnten Charmeoffensive, die die Trump-Administration gestartet hat. Und das ist auch der Hintergrund dafür, dass die Volksrepublik es mit einer Einigung im Zollkrieg nicht allzu eilig hat: Sie hat wenig Anlass dafür, den Vereinigten Staaten die Ruhephase zu gewähren.
Hintergrund:
Back to Afghanistan
Er wolle die US-Militärbasis in Bagram etwas nördlich von Kabul »zurückhaben«, äußerte US-Präsident Donald Trump am Donnerstag vergangener Woche auf einer Pressekonferenz. Die Vereinigten Staaten hätten den Stützpunkt schließlich auch gebaut. Und wozu benötigten die USA auf einmal Bagram wieder? Ganz einfach: Die Militärbasis befinde sich nahe an China. Insbesondere sei sie nur »eine Stunde von dort entfernt, wo China seine Atomwaffen baut«. Die Chance, diese Basis zu kontrollieren und zu nutzen, dürften die USA sich nicht entgehen lassen.
Auch wenn Trumps Äußerung recht unvermittelt kam: Seine Regierung strebt, sofern ein CNN-Bericht zutrifft, spätestens seit März die Rückgewinnung der Militärbasis Bagram an. Demnach sind die Gründe auch ein wenig komplexer. So hat die Trump-Administration unter anderem die afghanischen Rohstofflagerstätten im Blick, die sie gerne ausbeuten würde. Es kommt hinzu, dass sich der »Islamische Staat« (IS) am Hindukusch festgesetzt hat. Die Absicht, ihn zu bekämpfen, teilt Washington sogar mit den Taliban. Beides setzt freilich – ebenso wie die Überlegung, die US-Botschaft in Kabul wiederzueröffnen – eine gewisse US-Militärpräsenz im Land voraus. Das Problem: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Taliban zustimmen, ist gering.
Was tun? »Sie brauchen Dinge von uns«, äußerte sich Trump über die Taliban. Gemeint haben könnte er etwa eine Aufhebung der US-Sanktionen gegen Afghanistan. Allerdings würden die Taliban, sollten sie Bagram wieder den Vereinigten Staaten übertragen, nicht nur in der eigenen Bevölkerung, sondern auch in China, mit dem sie wirtschaftlich intensiv kooperieren, erheblichen Ärger auslösen, den sie sich kaum leisten können. Davon unabhängig zeigen Trumps Äußerungen, dass er am Machtkampf gegen China unvermindert festhält – die militärische Einkreisung der Volksrepublik inklusive. (jk)
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