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Aus: Ausgabe vom 18.09.2025, Seite 2 / Inland
Tag der Schiene 2025

»Das Geld für die Wartung war immer zuwenig«

Fahrgastverband an neuer Bahn-Agenda der Regierung nicht beteiligt. Sanierung und Reaktivierung von Strecken erforderlich. Ein Gespräch mit Detlef Neuß
Interview: Marc Bebenroth
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Viel zu tun: Arbeiter der Deutschen Bahn reparieren in NRW eine marode Bahnsteigkante (25.6.2024)

Am Tag der Schiene, der tatsächlich von Freitag bis Sonntag begangen wird, sind Bahnbegeisterte aufgerufen, im Rahmen von vielen Veranstaltungen die »faszinierende Vielfalt der Eisenbahnen« zu zelebrieren. Sind Sie schon in Feierlaune?

Den Tag der Schiene gibt es seit einigen Jahren, und es war wirklich mal nur ein Tag. Aber weil es so viele Veranstaltungen wurden, wurde das auf mehrere verteilt. Ich bin in verhaltener Feierlaune. Wir wissen noch nicht, was Minister Patrick Schnieder, CDU, plant, wer der zukünftige Bahn-Chef wird, welche Veränderungen da innerhalb des DB-Konzerns auf uns zukommen. Aber man muss den Verantwortlichen, die sich über Jahrzehnte hinweg nur um eine Auto-Vorrang-Politik bemüht haben, mal ganz deutlich zeigen, dass es hier auch Menschen gibt, die wollen die Bahn. Dazu ist der Tag der Schiene wirklich gut.

»An der Schiene führt kein Weg vorbei«, heißt es auf der Internetseite zu den Veranstaltungen. Das sieht die Deutsche Bahn AG, die als Unterstützer auftritt, offenbar anders. Wie erklären Sie sich die bekanntgewordenen Pläne zu Linienstreichungen im Norden und Süden?

Man hat das Streckennetz reduziert, aber deutlich mehr Züge fahren lassen – zum Beispiel zwischen Hamburg und Hannover. Da besteht eine Auslastung je nach Betriebstag von teils zwischen 147 und 160 Prozent. Da braucht nur eine Kleinigkeit zu passieren, und schon haben wir Stau und Verspätungen. Und weil man nicht einfach 10.000 Streckenkilometer von heute auf morgen dazu zaubern kann, ist die Bahn zu der Überlegung gelangt, verschiedene Züge rauszunehmen. Nicht wirklich etwas, was die Fahrgäste überzeugen könnte, die Bahn häufiger zu benutzen, aber die Bahn will dafür längere Züge fahren lassen.

Da kommen die Bahnhöfe ins Spiel. Einige Knotenpunkte sorgen für viel Verspätung.

Zum Beispiel Köln. Da klemmt es ewig, im Grunde läuft da nie wirklich was glatt. Köln bekommt demnächst einen Bahnsteig mit zwei Gleisen dazu. Aber es gibt auch Bahnhöfe, die kann man nicht ausbauen.

Wie kann die Bahn AG als Grund für Ausdünnungen gestiegene Kosten für die Nutzung des Netzes nennen, wenn es ihr gehört?

Das liegt auch an der Struktur des Konzerns. Die Milliardensummen, die jetzt in die Infrastruktur gesteckt werden sollen, werden mit dem normalen Haushalt verrechnet, so dass unterm Strich im Grunde weniger Mittel vorhanden sind. Hinzu kommt die Abtrennung des Schienenbereichs in die DB Infra-GO AG als eigenen Konzernbereich, der wirtschaften muss. Infra-GO hat also hohe Kosten, die nicht durch das Sondervermögen gedeckt sind. Deswegen hat die Sparte die Trassenpreise erhöht. Die Einnahmen fließen nicht zurück in den Konzern, sondern müssen für die Instandsetzung und den Ausbau des Netzes verwendet werden. Die Infra-GO erhält zwar Geld vom Staat zur Wartung der Strecken. Das ist aber immer zuwenig gewesen. Schon von Anfang an. Deshalb war die Sanierung auch teilweise ausgesetzt worden unter Herrn Pofalla, um 80 Prozent Pünktlichkeitsrate zu erhalten. Mit dem Erfolg, dass diese Strecken noch stärker auf Verschleiß gefahren wurden und am Ende gar nicht mehr funktioniert haben.

Einen Tag nach dem Ende der Schienenfeierlichkeiten will der Minister eine »Agenda für zufriedene Kunden« vorstellen. Hat die Regierung den Fahrgastverband bei deren Erarbeitung angehört?

Man hat uns nicht mit eingebunden. Wir haben den Eindruck, dass da im Grunde noch kein wirklicher Plan besteht. Man hat Handlungsbedarf gesehen, dann Bahn-Chef Lutz entlassen, aber hat noch niemand Neues und äußert sich auch nicht zu Vorschlägen, die wir gemacht haben.

Wen haben Sie vorgeschlagen?

Zum Beispiel Anna-Theresa Korbutt, Geschäftsführerin des Hamburger Verkehrsverbundes. Wir könnten uns auch Leute innerhalb des Konzerns vorstellen, wie zum Beispiel Evelyn Palla, die die DB Regio ganz gut gemanagt hat – oder jemanden aus Österreich oder der Schweiz. Die haben aber alle freundlich abgewunken, weil sie sich das nicht antun wollen.

Was muss in der Agenda drinstehen?

Auf jeden Fall die Sanierung maroder bestehender Strecken sowie eine Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken und einen Ausbau in der Fläche. Es kann nicht sein, dass die Leute vom ÖPNV nicht profitieren und lieber mit dem Auto fahren – oder mit dem Auto fahren, weil sie keine andere Wahl haben.

Detlef Neuß ist Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn e. V.

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