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Aus: Ausgabe vom 16.09.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Umwelt

Klimasünder identifizieren

Eine neue Studie stellt einen direkten Zusammenhang zwischen Hitzewellen und den Treibhausgasemissionen großer Konzerne her
Von Wolfgang Pomrehn
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Ursache und Wirkung: Vertrocknete Reste eines Rapsfeldes vor dem RWE-Kohlekraftwerk Niederaußem in NRW

Verschiedene Studien haben in letzter Zeit den Zusammenhang zwischen den zunehmenden und intensiver werdenden Hitzewellen und den großen Emittenten von Treibhausgasen hergestellt. Die jüngste Untersuchung dieser Art erschien vergangene Woche im Fachblatt Nature und wurde in Kooperation verschiedener Institute aus der Schweiz, Österreich, Belgien, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland erstellt. Hierzulande war das Climate-Analytics-Institut aus Berlin beteiligt, das sich auf die Analyse der internationalen Klimapolitik spezialisiert hat. Konkret wurden 213 Hitzewellen zwischen 2000 und 2023 untersucht, die in der Unwetterdatenbank des Zentrums für die Erforschung der Epidemiologie von Katastrophen an der Université catholique de Louvain im belgischen Löwen erfasst sind. In der Datenbank sind alle seit 1900 berichteten Katastrophen mit mindestens zehn Todesopfern registriert.

In einem ersten Schritt wurde in einem modellierten Klima ohne zusätzliche Treibhausgase untersucht, wie häufig ähnliche Hitzewellen unter natürlichen Bedingungen vorkommen. Diese Häufigkeitswerte wurden dann mit den in besagter Datenbank verzeichneten Hitzewellen verglichen. Das Ergebnis: Die Extremwetterereignisse zwischen 2000 und 2009 waren durch die Treibhausgasemissionen 20mal wahrscheinlicher und die Temperaturen um 1,4 Grad Celsius höher. Zwischen 2010 und 2019 waren die Ereignisse sogar 200mal wahrscheinlicher und die Temperaturen um durchschnittlich 1,7 Grad Celsius heißer. Auch die Wahrscheinlichkeiten sind allerdings Durchschnittswerte. Die Autorinnen und Autoren haben für jedes einzelne Ereignis den Zusammenhang mit dem Klimawandel untersucht und haben 55 Hitzewellen identifiziert, die durch die Treibhausgasemissionen mindestens 10.000mal wahrscheinlicher geworden waren.

Anzumerken ist, dass die Lage vermutlich noch deutlich schlechter ist, denn die untersuchten Hitzewellen waren geographisch sehr ungleichmäßig verteilt. Aus vielen tropischen und subtropischen Ländern wurden keine Hitzewellen erfasst, auch zum Beispiel nicht aus dem Iran, wo es in diesem Jahr wie schon in den Vorjahren aufgrund extremer Hitze zu erheblichen Problemen mit der Wasserversorgung gekommen war. Erst im Juli hatte eine ebenfalls in Nature veröffentlichte Studie gezeigt, dass besonders in Afrika, von wo in der Löwener Datenbank kaum Ereignisse enthalten sind, Hitzewellen zwischen 1985 und 2014 sowohl an Häufigkeit als auch an Dauer und Intensität deutlich zugenommen haben. Allerdings hatten sich die meist afrikanischen Autoren dieser Studie auch nicht auf die als folgenreiche Hitzewellen berichteten Ereignisse beschränkt, sondern sich in den meteorologischen Daten die Perioden mit deutlich erhöhten Temperaturen angeschaut.

In der Studie der europäischen Forscherinnen und Forscher ging es unterdessen nicht nur darum, einen Zusammenhang mit dem Klimawandel herzustellen, sondern sie fragten auch nach den Verantwortlichen. Dafür schauten sie in eine andere Datenbank, und zwar die der Plattform »Carbon Majors«, die die Emissionsdaten der größten Kohle-, Erdöl-, Erdgas- und Zementproduzenten seit 1854 zusammengetragen hat. Der ist zu entnehmen, dass 79 Prozent des in diesem Zeitraum entweder durch die Verbrennung von Erdgas, Erdölprodukten und Kohle oder durch die Zementproduktion in die Luft geblasenen Kohlendioxids und Methans auf das Konto der 180 größten Emittenten zurückgehen. Wird auch das Kohlendioxid aus Entwaldung und ähnlichem berücksichtigt, sind es immer noch 59 Prozent. Meist handelt es sich bei den Verursachern um große Konzerne wie Exxon Mobil, Gasprom, BP, Shell, RWE, Saudi Aramco oder Coal India. Etwas unsystematisch finden sich in der Liste aber auch einige Staaten wie die Sowjetunion, deren (erhebliche) Emissionen als ganzes zusammengefasst wurden, oder China und Polen mit ihren Emissionen aus der Verbrennung von Kohle.

Die Autorinnen und Autoren haben nun mit den jeweiligen Emissionen jedes einzelnen dieser 180 größten »Klimasünder« Klimamodelle durchgerechnet, um ihren individuellen Beitrag zum Anstieg der globalen Temperatur herauszufinden. Das Ergebnis: Von den 1,3 Grad Celsius, die sich das Klima bis 2023 gegenüber der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwärmt hatte, gingen etwa 0,7 Grad Celsius auf ihr Konto. Ausgehend vom zuvor ermittelten Zusammenhang zwischen globaler Erwärmung und dem Auftreten und der Intensität von Hitzewellen konnten so auch die individuellen Beiträge bestimmt werden.

Das Interessante an diesem Ansatz ist, dass er sich sowohl auf Staaten als auch auf einzelne Konzerne anwenden lässt – sofern deren Emissionen ermittelt werden können. Das könnte für die zunehmende Zahl von Klimaklagen von Interesse sein, mit denen Konzerne und künftig vielleicht auch Staaten konfrontiert werden. Erst kürzlich hatte der internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Rechtsgutachten festgestellt, dass Staaten eine völkerrechtliche Verpflichtung zum Klimaschutz haben und gegebenenfalls für die Folgen ihrer Emissionen zur Rechenschaft gezogen werden können.

Derweil wird Hitze in vielen Weltregionen zunehmend zum Problem. »Hitzebelastung am Arbeitsplatz ist zu einer globalen Herausforderung für Gesellschaften geworden, die nicht mehr nur auf Länder in Äquatornähe beschränkt ist – wie die jüngste Hitzewelle in Europa deutlich gemacht hat«, meinte Ko Barrett, die stellvertretende Generalsekretärin der Weltorganisation für Meteorologie, im August bei der Vorstellung eines Berichts, der einen besseren Schutz der Beschäftigten vor Hitze anmahnte.

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