Magere Bilanz
Von Wolfgang Pomrehn
Prima Zeiten für die großen Energiekonzerne. Mit Katherina Reiche (CDU), die bis Mai 2025 die Eon-Tochter Westenergie leitete, konnten sie eine Vertreterin direkt als Bundeswirtschaftsministerin plazieren. Zugleich sorgten die Berliner Koalitionäre dafür, dass der Klimaschutz wieder dem kleineren Umweltministerium zugeordnet und damit abgewertet wurde. Reiche legte auch schon bald nach ihrer Amtseinführung los, ließ wissen, dass sie die Energiewende für »übertrieben« hielt, und gab einen sogenannten Monitoringbericht in Auftrag. Vorgeblich soll dieser bilanzieren, was bisher in Sachen Umbau der Stromversorgung erreicht wurde. Allerdings machte schon die Auftragsvergabe ohne Ausschreibung an das RWE und Eon nahestehende Energiewirtschaftliche Institut an der Universität Köln (EWI) deutlich, dass ein bestimmtes Ergebnis gewünscht war: Die Energiewende soll schlechtgeredet und Maßnahmen für ihre Verlangsamung vorgeschlagen werden.
Daran lassen die bisherigen Äußerungen der Ministerin kaum einen Zweifel. Angeblich geht es vor allem darum, die Kosten zu senken, doch zugleich setzt sie ganz auf Gas und will unter anderem entsprechende neue Kraftwerke mit bis zu 20 Gigawatt (GW) Leistung bauen. Doch Gas ist teuer, insbesondere wenn man es über die neuen LNG-Terminals als Flüssigerdgas aus Übersee importiert. Außerdem kämen neue Gaskraftwerke eher als Lückenbüßer zum Einsatz, wenn nicht ausreichend Sonnen- und Windstrom zur Verfügung steht. Ihre Auslastung wäre also schlecht, weshalb sie ohne staatliche Zuschüsse in der einen oder anderen Form kaum wirtschaftlich zu betreiben sind.
Die Vorarbeiten für die Gaspläne hatte schon Reiches Vorgänger Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) geleistet. Dieser hatte das Vorhaben allerdings damit verbrämt, dass ein Teil der neuen Anlagen sofort mit Wasserstoff betrieben und ein anderer später entsprechend umrüstbar sein würde. Der Wasserstoff, so die Idee, sollte in neuen Elektrolyseuren mit überschüssigem Strom aus Solar- und Windkraftanlagen produziert werden. Nur ist immer noch vollkommen unklar, ob das überhaupt zu vertretbaren Kosten möglich wäre und wann ausreichend Wasserstoff zur Verfügung stünde.
Unzureichende Maßnahmen
Also wird es vorerst doch Erdgas werden, bei dessen Verbrennung das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) freigesetzt wird. Schlimmer noch, Erdgas besteht überwiegend aus Methan, einem weiteren Treibhausgas, das – gerechnet auf 100 Jahre – mehr als 20 Mal so schädlich wie CO2 ist. Bei Förderung und Transport gelangt ein Teil des Gases in die Atmosphäre, insbesondere bei dem in den USA betriebenen Fracking. Dessen ungeachtet hat Ursula von der Leyen (CDU), die Präsidentin der EU-Kommission, der US-Regierung im Juli versprochen, künftig im großen Umfang dieses besonders klimaschädliche Frackinggas zu importieren, nachdem der US-Präsident Trump mit höheren Einfuhrzöllen auf Waren aus der EU gedroht hatte.
Dabei könnten Reiche und ihre Auftraggeber es wirklich besser wissen. Spätestens seit Ende der 1980er Jahre ist klar, dass die Emissionen von CO2, Methan, Lachgas und einigen anderen Gasen drastisch reduziert werden müssen, damit sich das globale Klima nicht noch weiter erhitzt. Inzwischen liegt die globale Durchschnittstemperatur schon mehr als 1,4 Grad Celsius über dem Niveau der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die ersten Folgen wie die Zunahme von Hitzewellen, Dürren, Wald- und Buschbränden sowie Korallensterben sind bereits zu beobachten. Rund eine halbe Million Menschen sterben durch die bereits erfolgte globale Erwärmung jährlich an der zunehmenden Hitze, heißt es bei der Weltorganisation für Meteorologie in Genf. In der EU brannten in diesem Jahr bisher auf einer Fläche von über einer Million Hektar Wälder ab. Das ist ein Quadrat mit einer Kantenlänge von 100 Kilometern und war so viel wie nie zuvor, seit die Datenerhebung 2006 begonnen hat. Ein Drittel dieser Fläche entfiel allein auf Spanien, wo diesen Sommer sechs Feuerwehrleute bei der Bekämpfung der Flammen starben.
Im Prinzip haben sich die Staaten der Welt schon vor langer Zeit darauf verständigt, die Klimakrise nicht völlig aus dem Ruder laufen zu lassen und eine »gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems« zu verhindern. So steht es in der 1992 unterzeichneten UN-Klimarahmenkonvention, die von allen UNO-Mitgliedern ratifiziert wurde. Erst vor wenigen Wochen hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Rechtsgutachten bestätigt, dass die Staaten, abgeleitet unter anderem aus den Menschenrechten, eine völkerrechtliche Verpflichtung haben, das Klima zu schützen. Unter bestimmten Bedingungen können sie sogar für die von ihnen verursachten Schäden haftbar gemacht werden.
Nötig wäre also ein Verzicht auf die Verbrennung aller fossilen Brennstoffe, der massive Ausbau der erneuerbaren Energieträger und in der einen oder anderen Form eine weitgehende Elektrifizierung von Verkehr, Heizen und Industrie. Nebenbei bemerkt hätte das auch noch eine ganze Reihe anderer positiver Effekte. Die Luft in den Städten würde sauberer, Erdöl- und Erdgasförderung und -transport würden nicht mehr die Gewässer gefährden, Fracking würde nicht mehr das Trinkwasser belasten, die Anwohner von Raffinerien hätten nicht mehr – wie im Süden der USA – unter erhöhtem Krebsrisiko zu leiden und im Rheinland und der Lausitz hätte die Verwüstung der Landschaft durch Abraumhalden und Tagebaue endlich ein Ende.
Allzuviel, um diese Absichtserklärung zum Schutz des Klimas in die Praxis umzusetzen, wurde allerdings seit der Unterzeichnung der Konvention in den jährlich stattfindenden UN-Klimakonferenzen nicht erreicht. Immerhin gab es aber vor knapp zwei Jahren auf der 28. Konferenz dieser Art (COP 28) in Doha eine Verabredung, bis 2030 weltweit die Kapazitäten der erneuerbaren Energieträger zu verdreifachen. Doch auch davon ist die globale Gemeinschaft noch weit entfernt. Die meisten Regierungen haben sich bisher nicht an die gemachten Zusagen gehalten, berichtete kürzlich die Nachrichtenagentur Bloomberg, die sich dabei auf eine Analyse des auf saubere Energie spezialisierten Thinktanks Ember beruft. 2022 habe es Solar-, Biogas- und Windkraftanlagen mit einer potentiellen Leistung von 3,4 Terawatt (TW) gegeben. Selbst wenn alle existierenden nationalen Pläne umgesetzt würden, läge die Kapazität bis zum Ende des Jahrzehnts bei nur 7,4 TW. Ein TW entspricht 1.000 Gigawatt oder einer Million Megawatt.
Dabei ist das Ziel der Verdreifachung bis 2030 das absolute Minimum, um die globale Erwärmung tatsächlich auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu beschränken, wie es 2015 in der Pariser Klimaübereinkunft verabredet wurde. Und diese Verdreifachung würde auch nur ausreichen, wenn zugleich der Fortschritt bei der Verbesserung der Energieeffizienz verdoppelt werden könnte. Das hatte 2023 eine Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) ergeben. Und da es inzwischen – mal wieder – zur Verzögerung bei der Umsetzung der Ziele kommt, die Emissionen also stärker als in dem Szenario einer Verdreifachung angestiegen sind, müsste das Tempo sogar noch ein wenig erhöht werden.
China marschiert voran
Eine Voraussetzung ist dafür fast erfüllt: In China ist der Ausbau von Fertigungskapazitäten für Solar- und Windkraftanlagen in schwindelerregendem Tempo vorangekommen. In der Windenergie haben inzwischen chinesische Konzerne wie Goldwind, Envision, Mingyang und Windey Konkurrenten wie Vestas (Dänemark), Siemens Gamesa (Deutschland/Spanien) und GE Vernova (USA) von den vorderen Plätzen verdrängt, beliefern allerdings bisher noch ganz überwiegend den heimischen Markt.
Anders sieht es in der Solarindustrie aus, die schon längst bedeutender ist als die Windenergie, auch wenn sich die beiden Arten der Stromerzeugung wegen der jahreszeitlich unterschiedlichen Verfügbarkeit wenig Konkurrenz machen. Hier sind chinesische Hersteller inzwischen vollkommen unangefochtene Nummer eins. Nach einem Bericht der IEA in Paris kamen 98 Prozent aller weltweit hergestellten Wafer im Jahr 2023 aus China. Wafer sind dünne Scheiben hochreinen Siliziums, die mit elektrischen Elementen und speziellen Beschichtungen ausgerüstet zu Solarzellen werden, die wiederum die Grundelemente der Solarmodule sind. Bei den weltweit hergestellten Solarzellen kamen 92 und bei den Modulen 85 Prozent aus der Volksrepublik.
Chinesische Fabriken waren 2024 in der Lage, Solarzellen und -module mit einer Kapazität von 840 Gigawatt (GW) herzustellen. Zusammen mit den Kapazitäten in anderen Ländern und denen für Windkraftanlagen würde das ausreichen, das Ziel der Verdreifachung doch noch zu erreichen. Zudem hat diese enorme Ausweitung der Massenfertigung in den letzten Jahren den Preis erheblich gedrückt. Chinesische Solarzellen kosten heute 82 Prozent weniger als 2022, Solarmodule haben um 62 Prozent im Preis nachgelassen. Das Glas, mit dem sie bedeckt sind, und der Aluminiumrahmen, der sie einfasst, sind laut einer Untersuchung der Marktanalysefirma Mordor Intelligence heute teurer als die verwendeten Solarzellen.
Allerdings werden die chinesischen Fertigungskapazitäten nicht ausgenutzt. Nur 600 GW Solarleistung wurden 2024 weltweit installiert. Trotz weiter steigender Exporte der Vorprodukte wie Wafer und Solarzellen sind die Lager der chinesischen Hersteller prall gefüllt mit Solarmodulen, was zu einem desaströsen Preiskampf führt. Für die Käufer bedeutete das noch günstigere Preise, aber die Unternehmen haben oft Schwierigkeiten, überhaupt noch Gewinn zu machen. Bloomberg spricht von einer Milliarde US-Dollar (850 Millionen Euro) Verlust, den die Branche im ersten Quartal 2025 eingefahren habe.
Insgesamt hat China, wie sich aus von Ember veröffentlichten Zahlen schließen lässt, im ersten Halbjahr Komponenten und Module exportiert, mit denen eine elektrische Leistung von etwa 190 GW installiert werden kann. Damit leistet es einen erheblichen Beitrag zur globalen Energiewende und zum Klimaschutz. Nach Angaben des US-Wirtschaftsmagazin Quartz haben 2024 die entsprechenden chinesischen Ausfuhren im Rest der Welt die Treibhausgasemissionen um ein Prozent vermindert.
Es ginge offensichtlich noch deutlich mehr, denn nach Marktkriterien hat China erhebliche Überkapazitäten, könnte also wesentlich mehr produzieren, wenn es die entsprechende kaufkräftige Nachfrage gäbe. Doch statt die daraus resultierenden besonders niedrigen Preise auszunutzen und die Energiewende voranzutreiben, belegen die EU und mehr noch die USA entsprechende Einfuhren aus China mit Strafzöllen und verteuern damit die Anlagen für die heimischen Abnehmer. Einen anderen Weg gehen Länder wie Indien, Indonesien und die Türkei, die im wachsenden Maße Vorprodukte aus China einkaufen und eine eigene Modulproduktion aufbauen.
Dass der Ausbau der Erneuerbaren und der Ersatz von Kohle, Erdgas, Benzin und Diesel im globalen Maßstab immer noch viel zu langsam verläuft, hat nicht zuletzt auch mit dem regelrechten Kulturkampf zu tun, den rechte und faschistische Kräfte ganz im Interesse der alten Energiekonzerne gegen die neuen Technologien führen. Eine nennenswerte Ausnahme stellt hier nur die in Indien regierende hindunationalistische, vom deutschen Faschismus inspirierte Bharatiya Janata Party (BJP) dar. In Indien betrug 2022 nach Angaben der IEA der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung bereits 22 Prozent. Die Zahl beinhaltet allerdings auch den Strom aus den großen Wasserkraftwerken, die meistens wegen ihrer negativen Auswirkungen auf Umwelt und Anwohner nicht zu den erneuerbaren Energieträgern gezählt werden. In Indien waren viele Staudammprojekte in der Vergangenheit unter anderem wegen der mit ihnen verbundenen Umsiedlungen besonders umkämpft.
Ebenso umstritten sind die in dem südasiatischen Land geplanten zahlreichen neuen Kohlekraftwerke. Gleichzeitig werden aber auch Windkraft- und Solaranlagen gefördert, in Biogas- und Wasserstoffprojekte investiert und versucht, die heimische Produktion von Solaranlagen zu fördern. Die Stromproduktion dieses Sektors lag nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters trotz erheblichem Wachstum im ersten Halbjahr 2025 mit 134,4 Milliarden Kilowattstunden nur knapp über der entsprechenden Erzeugung hierzulande. Auch Indien hat also noch einen weiten Weg zu gehen. Immerhin war das Ausbautempo in absoluten Zahlen 2025 dreimal so schnell wie das deutsche, aber es gibt derzeit auch erhebliche Probleme, all die neuen Projekte ans Netz anzuschließen, wie Reuters berichtet.
USA nehmen den Wind raus
Ganz andere Nachrichten kommen hingegen aus den USA, wo Präsident Donald Trump unmittelbar nach seiner Amtseinführung im Januar einen Feldzug gegen Solaranlagen und Windkraft gestartet hat. Dort, wo die Washingtoner Regierung kann, werden der Windenergie große Steine in den Weg gelegt. Im August mussten zwei große, annähernd fertiggestellte Offshorewindparks vor New York auf Eis gelegt werden, weil das Innenministerium meint, sie könnten die nationale Sicherheit gefährden (vgl. junge Welt vom 28.8.2025).
Am Freitag, dem 29. August, strich das Washingtoner Verkehrsministerium Zuschüsse in Höhe von 679 Millionen US-Dollar (579 Millionen Euro), die für verschiedene Projekte in elf Bundesstaaten zugesagt waren. Darunter war auch ein Betrag in Höhe von 435 Millionen US-Dollar (371 Millionen Euro) für schwimmende Windkraftanlagen vor der Küste Nordkaliforniens. Derartige Anlagen sind eine neuere Technologie, die vor allem für Länder interessant ist, die nicht über flache Küstengewässer verfügen.
Offshorewindparks sind für die Energiewende wichtig, weil auf See die Winde stärker und beständiger wehen, die Anlagen daher eine höhere Effizienz garantieren. Nachdem längere Zeit Großbritannien auf diesem Gebiet führend war, hat auch hier inzwischen China den Staffelstab übernommen. Nach Angaben der Agentur Associated Press, die über die Mittelkürzungen berichtet, ist der Washingtoner Verkehrsminister Sean Duffy hingegen der Ansicht, dass es sich bei Offshorewindparks um »Fantasieprojekte« handelt, die »viel kosten und wenig bieten«.
Die jüngsten Maßnahmen der Trump-Regierung sind Teil einer ganzen Reihe ähnlicher Schritte. Schon im Juli trat ein neues Bundesgesetz in Kraft, das den Zugang zu Steuererleichterungen – in den USA bisher das wichtigste Förderinstrument, für Solar- und Windparks – wesentlich erschwerte. Bloomberg New Energy Finance (Bloomberg NEF), ein spezieller Recherchedienst der gleichnamigen Nachrichtenagentur, hat daraufhin seine Prognosen für den Ausbau der Erneuerbaren in den USA halbiert.
Allerdings hatten zum Beispiel die Entwickler von Windparks schon unter der Präsidentschaft des Demokraten Joe Biden (2021–2025) erhebliche Probleme. 2024 war der Markt im vierten Jahr in Folge geschrumpft, berichtet Bloomberg NEF an anderer Stelle. Entsprechend gebe es noch viele Projekte in der Pipeline: Der überwiegende Anteil davon ist an Land und habe meist vor Ort die Unterstützung beider Parteien, zum Beispiel in Kalifornien. Der ökonomisch starke, von Demokraten geführte Bundesstaat versucht, Trump zu trotzen, und hält ausdrücklich an seinen Ausbauplänen fest. Insofern schätzen die Energiefachleute der Agentur die Aussichten für Windenergie an Land besser ein als für Offshorewindparks.
Probleme in Deutschland
In einer ganz anderen Liga spielt derweil China, das unter anderem mit rund 700.000 etwa die Hälfte der weltweit im Bereich erneuerbare Energien zertifizierten Patente besitzt und wo der Sektor inzwischen rund zehn Prozent zur nationalen Wirtschaftsleistung beiträgt. 2024 gingen dort Solaranlagen mit einer Leistung von 329 GW ans Netz, was 55 Prozent aller weltweit installierten Neuanlagen ausmachte und einen neuen Rekord darstellte. In diesem Jahr könnte dieser Rekord erneut gebrochen werden, denn im ersten Halbjahr kamen bereits 212 GW hinzu. Im Mai erreichte die gesamte installierte Solarleistung 1.000 GW, noch in diesem Jahr könnten bereits 1.200 GW erreicht werden.
Für das Land der Mitte stellt das einmal wieder eine erhebliche Planübererfüllung dar. Ob es in diesem Tempo weitergehen wird, werden die Verhandlungen über den nächsten Fünfjahresplan zeigen, die gerade laufen. Ihr Ergebnis wird in einigen Monaten veröffentlicht. Eine gewisse Unsicherheit stellt das Auslaufen des bisherigen Fördermodells dar. Ab Anfang nächsten Jahres werden die Preise für den Strom aus neuen Wind- und Solarparks, so wie hierzulande, in Ausschreibungsverfahren festgelegt.
In Deutschland wurden diese Verfahren 2017 eingeführt und haben seinerzeit vor allem für die Windenergie einen deutlichen Rückgang des Ausbautempos bedeutet. Nicht einmal ganz kleine Windprojekte mit einigen wenigen Anlagen bleiben davon verschont. Eine Förderung bekommen auch sie nur, wenn sie sich zuvor an dem aufwendigen Bieterverfahren beteiligen, das zusätzlich zu allen Genehmigungsprozeduren durchlaufen werden muss. Seitdem ist die Zahl neuer Bürgerwindprojekte deutlich zurückgegangen – Windenergie ist inzwischen eher etwas für kapitalkräftige Unternehmen und Gesellschaften.
Was den Ausbau an Land angeht, hat sich die Branche in der BRD inzwischen langsam erholt. Im vergangenen Jahr wurden Anlagen mit einer Leistung von 3,2 GW zugebaut, fast soviel wie im Vorjahr und in etwa soviel wie vor dem Einbruch nach 2017. Allerdings nimmt das sogenannte Repowering stark zu. Das heißt, alte Anlagen werden durch neue ersetzt, so dass netto nur 2,5 GW hinzukamen. In der Regel läuft das so, dass wenige sehr große viele kleinere Windräder ersetzen, was den dichten Anlagenwald, der zum Beispiel an Teilen der Nordseeküste zu beobachten ist, in Zukunft lichten wird.
Das weist auf eines der Probleme mit dem Ausbau in Deutschland hin: Die Windkraftanlagen sind sehr unterschiedlich verteilt, weil sich einige Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg lange gegen die Windkraft gesperrt haben, wofür es bei der heutigen Anlagengröße keine Rechtfertigung gibt. Die mehr als 28.000 Anlagen mit einer Leistung von inzwischen 63,5 GW stehen hauptsächlich in den nördlichen Bundesländern, während die großen industriellen Verbraucher eher im Süden zu finden sind. Diese ungünstige Verteilung dient als eines der Argumente für den von der Netzagentur auf Anregung der großen Netzgesellschaften vorgeschlagenen Ausbau der Übertragungsnetze. Doch das ist eine teure Angelegenheit und soll über die von den Verbrauchern gezahlten Netzumlagen finanziert werden. Die dadurch tendenziell weiter hohen Strompreise werden wiederum vor allem den Erneuerbaren angelastet.
Wie geht es weiter?
Bei der Windkraft ist Deutschland bereits in Verzug. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist für 2024 für die Anlagen an Land eine Leistung von 69 GW vorgesehen. Erreicht sind bisher 63,5 GW. Bis 2030 sollen es 115 GW und bis 2040 160 GW werden. Die Probleme, die für die Verzögerung sorgen, sind vielfältig und reichen von langen Genehmigungszeiten und bürokratischen Hürden für die notwendigen Schwerlasttransporte bis zu den lange Zeit zu niedrigen Zahlen in den Ausschreibungsverfahren.
Bei der Solarenergie-Branche sieht es in den letzten Jahren besser aus, nachdem ihr die »schwarz-gelbe« Regierung 2011 mit plötzlichen und viel zu starken Einschnitten der Förderung einen schweren Schlag versetzt hatte und damit zum Zusammenbruch der deutschen Solarindustrie beitrug. Doch die Preise sind inzwischen so niedrig, dass ein Großteil der Wertschöpfung ohnehin im Handwerk stattfindet. Entsprechend profitiert dieses von den inzwischen sich wieder positiv entwickelnden Installationszahlen. Nachdem in den letzten Jahren jeweils über zehn GW hinzukamen, sind nun 101 GW am Netz. Um aber das gesetzliche Ausbauziel von 215 GW bis 2030 zu erreichen, müsste das Tempo noch weiter auf etwas mehr als 20 GW pro Jahr erhöht werden, was in diesem Jahr zum ersten Mal knapp erreicht werden könnte.
Die Dächer dafür sind jedenfalls da, und auch in der Landwirtschaft gibt es inzwischen Möglichkeiten, Solaranlagen mit dem Gemüse- und Getreideanbau zu verbinden. In besonders heißen Jahren können hochstehende Solaranlagen sogar als Sonnenschutz dienen. Außerdem ist die Solarenergie bei den Bürgerinnen und Bürgern besonders beliebt, wie Umfragen immer wieder zeigen. Doch Ministerin Reiche und ihre Auftraggeber scheinen andere Pläne zu haben: Die Förderung für neue Solaranlagen soll nach ihren Vorstellungen entfallen, und auch die ehrgeizigen gesetzlichen Ausbauziele könnten der nächsten EEG-Novelle zum Opfer fallen.
Dabei bietet sich gerade der Ausbau in den Städten besonders an, weil er verbrauchernah erfolgt und dadurch die Netze entlastet. Ein Bündnis aus verschiedenen Gemeinden, Umweltverbänden und Interessensorganisationen hat daher kürzlich die Ministerin aufgefordert, »ein klares Bekenntnis zur bürgernahen Energiewende« abzulegen. Die Oberbürgermeisterin von Bonn, Katja Dörner, hat gute Gründe, den Appell zu unterstützen: »PV-Dachanlagen (Solaranlagen) sind neben der kommunalen Wärmeplanung weiterhin der zentrale Klimaschutzhebel für Kommunen. Sie stärken die regionale Wertschöpfung, bieten unmittelbare Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort und entlasten kommunale Haushalte.« Von Reiches Plänen, so ergänzt die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe, Barbara Metz, bei gleicher Gelegenheit, »profitieren vor allem Großkonzerne wie RWE und Eon«.
Wolfgang Pomrehn schrieb an dieser Stelle zuletzt am 13. Mai 2025 über den Konkurrenzkampf um seltene Erden und Rohstoffe wie Lithium: »Ringen um Ressourcen«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. September 2025 um 21:55 Uhr)Aus diesem umfangreichen Artikel möchte ich zwei Aspekte (in DE) beleuchten. Erstens das Thema »Übertragungsnetze«, zweitens »PV-Dachanlagen«. Mit Höchstspannungsgleichstromübertragung könnte die Übertragungskapazität existierender Hochspannungsleitungen (z. B. 400 kV) verdoppelt werden – ohne zusätzliche Trassen. Es müssten nur die Transformatoren durch Elektronik ausgetauscht werden (die kann man bei Siemens oder ABB aus dem Katalog bestellen). An den Masten, Leiterseilen, Isolatoren wären keine Änderungen nötig. Etwas Geld und Hirnschmalz würden dafür reichen. Bei PV-Dachanlagen wird die Sache dadurch kompliziert, dass man schnell zum Unternehmer werden kann. Kleine Anlagen (Balkonkraftwerk) amortisieren sich (ggf.) schnell. Ohne Speicher schenkt man dem Netzbetreiber allerdings große Teile der produzierten Energie. Oder man spendiert viel Geld für Speicher zur Eigennutzung, dann verlängert sich die Amortisationszeit erheblich. »Prosumer« sieht das System nicht vor.
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