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Aus: Ausgabe vom 16.09.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Klimawandel

Teufelskreislauf

Die Meere erwärmen sich immer weiter. Damit verlieren sie zunehmend auch ihre Eigenschaft als Kohlenstoffspeicher
Von Marc Püschel
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Die Meere sind eine der wichtigsten Klimasenken unseres Planeten. Jährlich nehmen sie bis zu 30 Prozent des vom Menschen in die Luft geblasenen Kohlenstoffdioxids auf und entziehen es damit der Atmosphäre. Allerdings droht ein starker Rückgang der Speicherkapazität, insbesondere der Tiefsee. Der Meeresbiologe Gerhard Herndl von der Universität Wien hat Daten einer vierwöchigen Expeditionsreise im Nordatlantik ausgewertet. Die Tiefsee dort habe sich in den vergangenen 20 Jahren um 0,1 Grad erwärmt. Einem ORF-Bericht zufolge warnt Herndl, dass sich diese Erwärmung negativ auf die Fähigkeit des Meeres, Kohlenstoff zu speichern, auswirke.

Kohlenstoff lagert sich in Form von kleinen Partikeln am Meeresboden ab. Doch mit der zunehmenden Erwärmung des Ozeans werden am Meeresgrund immer mehr Mikroorganismen aktiv. Durch ihren erhöhten Stoffwechsel verarbeiten sie zwar Teile des herabsinkenden Kohlenstoffs, produzieren aber auch mehr Kohlenstoffdioxid. Je wärmer das Meer also wird, um so mehr des eigentlich gespeicherten Kohlenstoffdioxids gibt es wieder ab. Die Speicherkapazität nimmt also immer weiter ab, wodurch sich wiederum das Klima und damit die Meere erhitzen – für Herndl ein »Teufelskreis«.

Dieser Befund stellt auch die Pläne im Rahmen mancher Geoengineering-Projekte in Frage, die darauf zielen, Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre zu entnehmen und es im Meer »einzulagern« (vgl. junge Welt vom 26.8.2025). Diese Projekte beruhen maßgeblich auf der Annahme, dass Kohlenstoff dort nicht durch Organismen abgebaut wird. Doch nicht nur werden die Mikroorganismen bei wärmerem Wasser aktiver, sie werden auch durch Biomasse angezogen. Lagert man also Kohlenstoff am Meeresgrund, wächst auch der Bestand an Mikroorganismen, denen er als Nahrung dient. Herndl plädiert für strengere Klimaschutzmaßnahmen statt für solche Geoengineering-Projekte.

Die Forschungen des Österreichers werden auch durch andere Wissenschaftler bestätigt. 2023 stieg die Oberflächentemperatur der Weltmeere sprunghaft an. Eine Studie in der Fachzeitschrift Nature Climate Change unter Leitung der ETH Zürich mit Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts stellte nun fest, was die Folgen sind: Global wurden fast eine Milliarde Tonnen weniger Kohlenstoffdioxid vom Meer aufgenommen als aufgrund der Vorjahre erwartet worden war. Es gibt jedoch auch Faktoren, die die Speicherfunktion der Ozeane stabilisieren, darunter mehr Organismen, die Photosynthese betreiben und dabei Kohlendioxid aufnehmen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich Hopfmüller aus Stadum (15. September 2025 um 21:48 Uhr)
    Technisch würde man statt von Teufelskreis von positver Rückkopplung oder Mitkopplung reden. Bei dieser Art von Kopplung können Resonanzkatastrophen eintreten, z.B. klimatische Kipppunkte (schneller) erreicht werden. Beispiel aus dem Volksmund: Einstürzende Brücke durch Gleichschritt. Die Mitkopplungen könnten durch Tiefseebergbau (durch das Aufwühlen der Ablagerungen am Meeresgrund und Störung der Temperaturschichtung) und durch Verbringung von Schwefldioxid in die Stratosphäre mit nachfolgender zusätzlicher Versauerung der Meere deutlich verbessert werden. Auf geht's!

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