Neokolonialer Handelsdeal
Von David Siegmund-Schultze
Wenn es nach der EU-Kommission geht, hätte das Abkommen bereits im vergangenen Jahr in Kraft treten sollen, doch Agrarverbände lobbyierten erfolgreich dagegen. Vergangene Woche hat sie die Ratifizierung des Handelsdeals mit den Staaten des Mercosur – Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay – aber doch auf den Weg gebracht. Ende November steht der Vertrag im EU-Rat zur Abstimmung. Um seine Annahme zu verhindern, startet das Bündnis »Stop EU-Mercosur« am Dienstag zusammen mit mehr als 50 Organisationen von beiden Seiten des Atlantiks eine Kampagne gegen das »giftige« Abkommen. »Der Deal würde das traditionelle System neokolonialen Handels verstärken«, sagte Bettina Müller vom Verein »Power Shift Deutschland«, der sich an der Kampagne beteiligt, im Gespräch mit junge Welt. »In Lateinamerika würde der Export von Primärprodukten, etwa aus der Landwirtschaft, gefördert, im Gegenzug soll die Einfuhr von Industrieprodukten aus der EU erleichtert werden – das zementiert die Ungleichheit zwischen beiden Regionen.«
Neben Polen, das bereits angekündigt hat, gegen den Deal zu stimmen, sind Frankreich, Österreich, die Niederlande und Italien Wackelkandidaten. Doch nachdem Paris im vergangenen Jahr sein Veto eingelegt hatte, hatte die Kommission das Abkommen in einen Handels- und einen politischen Teil aufgeteilt. Und weil Handel in den Kompetenzbereich der EU fällt, ist für diesen Teil nur noch eine qualifizierte Mehrheit von 65 Prozent nötig – die Vetomöglichkeit einzelner Staaten ist weggefallen. Außerdem verspricht die Kommission Landwirten, die von dem Abkommen geschädigt würden, Kompensationen aus einem Fonds über eine Milliarde Euro zu erhalten. Daneben soll ein sogenannter Schutzmechanismus der Kommission erlauben, zu »intervenieren«, wenn die Agrarimporte bestimmte Quoten überschreiten oder etwa gegen EU-Umweltrichtlinien verstoßen.
Für Müller ist das Augenwischerei: »Das sind alles nur Versprechungen, es wurde noch nichts Konkretes vorgelegt.« Außerdem: Das Abkommen enthalte auch einen sogenannten Ausgleichsmechanismus. Dieser erlaubt es den Mercosur-Staaten, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, falls die EU die Einfuhr von Agrarprodukten wieder einschränken und Zölle erhöhen würde. Die Kommission wird sich also zweimal überlegen, tatsächlich zum Schutz der Landwirte zu intervenieren. »Mit ihren Zusagen gibt die Kommission indirekt zu, dass auch sie davon ausgeht, dass die Landwirtschaft schwer getroffen wird«, so Andoni García Arriola vom Kleinbauernverband Via Campesina gegenüber jW. »Uns bringen Entschädigungen nichts, wenn der Schaden wegen billiger Produkte, die den Markt fluten und die Preise drücken, schon da ist.«
Trotz des anhaltenden Drucks der Bauernverbände deutet sich an, dass Paris und Rom im EU-Rat zustimmen werden. Die letzte Hürde wären dann die Parlamente der vier Mercosur-Staaten. Doch hier ist der Protest kleiner, wie Müller konstatiert. »Am ehesten habe ich noch Hoffnung, dass sich in Argentinien Widerstand regt.« Die Peronisten in der Opposition haben sich schon lange gegen den Deal gestellt, da er die dortige Industrie besonders hart zu treffen droht.
In Brasilien ist der Protest von seiten der Gewerkschaften und linken Organisationen verhalten, weil sie dem unter Druck stehenden Luiz Lula da Silva vor der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr nicht weiter schaden wollen. Brasiliens Staatschef stellt sich weiterhin vehement hinter das Abkommen. Angesichts der US-Zölle setzt er auf Diversifizierung des Handels und spricht gar von positiven Effekten für Industrie und Technologie. Dabei drohen gerade hier starke Einbußen: »Vergangene Abkommen zwischen der EU und lateinamerikanischen Ländern haben gezeigt, dass in letzteren lediglich der Export von Rohstoffen und Agrarprodukten steigt – der Industrie haben sie enorm geschadet«, so Müller. Besonders die Automobilindustrie könnte hart getroffen werden. Wegen hoher Zölle lassen EU-Hersteller bislang in Brasilien und Argentinien für den dortigen Markt produzieren. Sobald die Handelsschranken fallen, drohen die dortigen Fabriken eingestampft zu werden.
Doch Lula sieht sich gezwungen, immer wieder Kompromisse mit den Konservativen einzugehen, die im Kongress dominieren. Außerdem gehen 49 Prozent der Exporte des Landes auf das Konto der Agrarindustrie – ganze 168 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr. Davon gingen 16 Prozent in die EU, dem zweitwichtigsten Markt für die Branche. »Linke« Regierung hin oder her – mit der mächtigsten Kapitalfraktion des Landes will es sich Lula nicht verscherzen.
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