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Aus: Ausgabe vom 12.09.2025, Seite 8 / Ansichten

Warme Worte

Von der Leyens »State of the Union«-Rede
Von Jörg Kronauer
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Hat Ursula von der Leyen mit ihrer diesjährigen »State of the Union«-Rede den ersehnten Befreiungsschlag geschafft, den sie so dringend braucht? Einiges spricht dafür, dass sich die EU-Kommissionspräsidentin damit den gröbsten Ärger im Europaparlament in der Tat vom Hals geschafft hat. Der Unmut, der sich dort kurz vor ihrer Rede zusammengebraut hatte, war heftig. Der Zolldeal mit den USA, den sie kürzlich geschlossen hat? Eine Demütigung für die EU! Das EU-Freihandelsabkommen mit dem Mercosur, das sie vergangene Woche zur Abstimmung freigab? Frankreichs Landwirte, die ihre Interessen durch den Vertrag schwer geschädigt sehen, laufen sich schon zum Aufstand warm. Und dann wäre da noch die mehr oder weniger bedingungslose Unterstützung für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, die von der Leyen – Hungersnot hin, Genozid her – stets an den Tag gelegt hat. Im Juli erst hat sie ein Misstrauensvotum glimpflich überstanden, nun aber hat sie Abgeordnete in fast allen Fraktionen schwer gegen sich aufgebracht – und das nächste Misstrauensvotum kommt wohl bald.

Was tun? Stimmung machen. Von der Leyen hat sich am Mittwoch als Kämpferin für die Ukraine inszeniert; das kommt unter anderem bei Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten, von denen ihr einige von der Stange zu gehen drohen, gut an. Sie hat eine Kampagne unter dem Motto »Buy European food« angekündigt, die das eine oder andere schwer verletzte Bauernherz höher schlagen lassen soll. Sie hat eine Initiative für bezahlbare Elektroautos in Aussicht gestellt: Welche Grüne könnte ihr, wenn es gelingt, die chinesische Konkurrenz auf diesem Feld aus dem Weg zu räumen, noch irgend etwas übel nehmen? Last not least: Sie hat sich als Vorkämpferin für Gaza inszeniert. »Menschengemachte Hungersnot«, rief sie, »darf niemals als Kriegswaffe dienen!« Und sie kündigte – man glaubt es kaum – Maßnahmen gegen Israel an.

Nun, man sollte es in der Tat nicht glauben. Sanktionen gegen ultrarechte Minister, gegen gewalttätige Siedler werde sie vorschlagen, versprach sie; auch für die Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel auf dem Feld des Handels werde sie plädieren. Und, na klar, man ist ja kein Unmensch, auch die bilaterale Unterstützung der EU für Israel werde gestoppt, bis in Gaza Milch und Honig fließen oder so ähnlich. Ist das nicht Grund zur Freude? Nein. Denn von der Leyen wird tun, was sie angekündigt hat: Maßnahmen vorschlagen. Die müssten freilich von den Staats- und Regierungschefs beschlossen werden – und dort wird Bundeskanzler Friedrich Merz, das ist jedenfalls der aktuelle Stand, für die nötige Sperrminorität sorgen. So spielt man über Bande. Nur die bilaterale Unterstützung für Israel, schlappe 26 Millionen Euro, wird wohl gekürzt; das sind Peanuts. Den heftigen Unmut über ihre Amtsführung aber hat von der Leyen mit einem Hauch warmer Luft weggeblasen. Wenn das mal keine reife Leistung ist.

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