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Aus: Ausgabe vom 12.09.2025, Seite 8 / Ansichten

Straftatbestand des Tages: Brieffreundschaft

Von Michael Merz
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Um zu hacken, muss man kein Digital Native sein

Zugegeben, die so regen Brieffreundschaften zwischen dem heute als neue Bundesländer bezeichneten Terrain und der einstigen Sowjetunion sind nahezu eingeschlafen. Früher sausten die Postsendungen hin und her, freute sich jedes Schulkind wie Bolle über kleine Gimmicks aus den Weiten des Ostens und lernte so nebenbei Russisch. Mittlerweile steht man mit einem Bein im Knast für derart verwerfliche Kontaktpflege.

Das musste Rudolf Denissen aus Wöbbelin im Landkreis Ludwigslust-Parchim jetzt lernen, über ihn berichtete der NDR am Donnerstag. Dem erfolgreichen Agrarunternehmer, sonst mit dem Temperament eines Landwirts gesegnet, blieb jüngst die Spucke weg. Ein Oberstaatsanwalt aus Schwerin hatte ihn auf fünf Seiten Papier informiert, dass er Beschuldigter in einem Verfahren sei. Vorwurf: Straftat nach dem Außenwirtschaftsgesetz. Was war wohl passiert? Vor Jahren habe er einen Kollegen aus dem sibirischen Barnaul auf einer Landwirtschaftsmesse kennengelernt und ihm zu Weihnachten ein kleines Präsent geschickt. Der revanchierte sich nun zu Ostern mit einer Aufmerksamkeit. Doch die Post stoppte pflichtschuldig die Zustellung seines Pakets, Inhalt laut Protokoll: »1 Stück Seife, 1 Stück Ziergegenstand aus Holz, 1 Stück CD«. Wert der offiziell sanktionierten Waren: 26,83 Euro. »Das ist lächerlich«, meint Denissen jetzt. Doch vor Gericht und auf hoher See ist man nun mal in Gottes Hand.

Wenn diese Sanktioniererei mal nicht nach hinten losgeht. Schon machen sich analog operierende Hackerarmeen hinter dem Ural auf ins nächste Postamt. Es ist anzunehmen, dass sich auch andere Leute über ein Päckchen aus dem fernen Osten freuen. Dem Toni Hofreiter tut ein duftendes Birkenhaarwasser bestimmt gut, und russisches Motorenöl könnte die BMW der Strack-Zimmermann sicher ganz passabel schmieren.

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