Mit Tricks zum Handelsabkommen
Von Bernard Schmid
Bis zum Schluss wird versucht, das Abkommen per Überraschungscoup und hinter dem Rücken der kritischen Öffentlichkeit durchzudrücken. Die EU-Kommission hat das geplante Freihandelsabkommen mit Südamerika, Mercosur, für diesen Mittwoch auf die Tagesordnung ihrer wöchentlichen Sitzung gesetzt. Gerade in Frankreich löst das Unbehagen aus. Hier spielt die Landwirtschaft, obwohl sie heute unter drei Prozent der Erwerbsbevölkerung beschäftigt, noch immer eine bedeutende Rolle. Unmut regt sich außerdem in Italien und Polen.
Bereits im letzten Dezember hatte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für einen Überraschungsangriff entschieden. In Uruguays Hauptstadt Montevideo kündigte die deutsche Politikerin einen definitiven Abschluss der seit über fünfzehn Jahre währenden Verhandlungen zwischen der EU und dem südamerikanischen Binnenmarktblock an und versprach, ihre Unterschrift unter die daraus resultierende Vereinbarung zu setzen.
Damals verfügte Frankreich, das aufgrund seines politischen und ökonomischen Gewichts in der Union als vielleicht wichtigster potentieller Gegenspieler zur EU-Verhandlungslinie gegenüber dem Mercosur-Block gilt, über keine handlungsfähige Regierung: Die des konservativen Premierministers Michel Barnier war kurz zuvor durch ein Votum der Nationalversammlung gestürzt worden. Allem Anschein nach drückt von der Leyen auch jetzt wieder auf die Tube, während Paris auf ein Regierungsvakuum zusteuert. Denn es wird damit gerechnet, dass das amtierende französische Kabinett die von Premierminister François Bayrou am 8. September anberaumte Vertrauensabstimmung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überstehen wird.
Nach von der Leyens Auftritt in Montevideo protestierten in Frankreich linke Agrarorganisationen wie die Confédération paysanne ebenso wie eher reaktionäre wie der Bauernverband FNSEA. Letzterer konnte jedoch aufgrund des Abbaus von Umweltschutzvorschriften durch das im Juni verabschiedete Gesetz Loi Duplomb stärker in die Regierungspolitik eingebunden werden. Er setzt nun weniger auf Schutz gegen Dumpingimporte als auf Dumpingexporte durch Frankreich selbst.
Die eher kritisch dazu stehenden Regierungen bzw. Parlamentsmehrheiten in Paris, Rom, Wien und Warschau schienen zunächst noch über Möglichkeiten zu verfügen, die Ratifizierung des Abkommens aufzuhalten. Denn bei einem internationalen Kooperationsabkommen ist bei der EU die Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten erforderlich. Doch kündigte sich zu dem Zeitpunkt bereits an, dass die Kommissionspräsidentin und ihre Mitstreiter auf einen Verfahrenstrick zurückgreifen würden: Durch eine künstliche Aufspaltung des Abkommens in zwei Teile können die »rein handelspolitischen Vertragsbestimmungen« dem erforderlichen Einstimmigkeitsprinzip entzogen werden. Demnach könnten die EU-Kommission und die besonders an dem Abkommen interessierten Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, ein Veto Frankreichs umgehen. Frankreichs wirtschaftsliberaler Staatspräsident Emmanuel Macron wiederum ließ es dabei bewenden, inhaltlichen Widerspruch zum Inhalt des Abkommens anzumelden und keinen entschiedenen Widerstand gegen den Verfahrenstrick anzukündigen.
Tritt das Abkommen in Kraft, dann könnten Länder wie Argentinien und Brasilien, in denen Teile der Landwirtschaft stark monopolisiert und auf Export ausgerichtet sind, künftig beispielsweise bis zu 99.000 Tonnen Fleisch jährlich zu einem Vorzugszolltarif in Höhe von 7,5 Prozent in die EU ausführen. Bereits heute exportieren die Länder 200.000 Tonnen jährlich in die Union. Die neuen Zollregeln könnten den Handel verstärken. Damit gehen auch umwelt- und gesundheitspolitische Befürchtungen einher. Umgekehrt würden etwa die derzeit in den Mercosur-Staaten anfallenden 35 Prozent Importzölle auf Autos, aber auch Textilien fallen. Das interessiert besonders die deutsche Regierung und Wirtschaft.
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