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Aus: Ausgabe vom 29.08.2025, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Was ist los mit Kansas?

Ein neuer Fall für Privatdetektivin V. I. Warshawski: Sara Paretskys Kriminalroman »Wunder Punkt«
Von Gerd Bedszent
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Die Plünderung von Lawrence, Kansas, durch Sklavereibefürworter am 21. Mai 1856 (Holzstich, 19. Jahrhundert)

Für die in den Abgründen der Armutsviertel Chicagos recherchierende Privatdetektivin V. I. Warshawski in Sara Paretskys neuem Kriminalroman »Wunder Punkt« handelt es sich zunächst um einen Routinefall. Nach der Siegesfeier bei einem Auswärtsspiel in Kansas wird eine basketballspielende Studentin vermisst. Der Fall klärt sich schnell. Die junge Frau wird bewusstlos in einem leerstehenden Haus gefunden, in dem Angehörige der Oberschicht illegale Drogenpartys veranstalten. Für die Detektivin wäre der Fall erledigt – hätte man im Keller des Hauses nicht noch eine Frauenleiche gefunden. Ein Mordopfer. Wie sich herausstellt, handelt es sich um eine Amateurhistorikerin, die sich auf die Mitte des 19. Jahrhunderts spezialisiert hatte und meinte, die frühe Geschichte des Bundesstaates Kansas umschreiben zu können. Tatsächlich finden sich in ihrem Nachlass dazu aber keinerlei Rechercheergebnisse und Aufzeichnungen mehr. Bekanntlich tobte in den 1850ern – noch vor dem Sezessionskrieg und der Staatsgründung – in Kansas ein Bürgerkrieg (»Bleeding Kansas«, 1855 bis 1859) zwischen Befürwortern und Gegnern der Sklaverei. Erstere versuchten damals vor allem, die Ansiedlung aus dem Süden geflüchteter Sklaven zu verhindern. Wie sich herausstellt, hatte man auch das Haus, in dem viel später die Leiche gefunden wird, ursprünglich für ehemalige Sklavenfamilien errichtet. Holt die Vergangenheit nun die Gegenwart ein? Gibt es Leute, die das unbedingt verhindern wollen?

Die Detektivin bemerkt schnell, dass sie beschattet wird. Jemand versucht, ihr die Tatwaffe unterzuschieben. Und dann bekommt sie es auch noch mit unangenehmen Polizisten, FBI-Beamten, Staatsanwälten und Gerichtsmitarbeitern zu tun, die sie unter anderem verdächtigen, mit Drogen zu handeln. Sie erhält Informationen über merkwürdige Immobiliengeschäfte, wird von dem betreffenden Grundstücksinhaber des Geländes verwiesen. Warum investieren steinreiche Geschäftsleute in einen bekanntermaßen niedergehenden Industriezweig, vergraulen in dem Zusammenhang auch noch gut ausgebildete und dringend benötigte Fachleute? Was will man verheimlichen? Die Drogengeschäfte der Gegenwart? Oder etwas ganz anderes?

Wie sich mal wieder zeigt, hat die Gesellschaft ihre ganz speziellen Leichen im Keller. Zum doch etwas überraschenden Schluss des Kriminalfalls bleibt nur, den Schriftsteller William Faulkner zu zitieren: »Das Vergangene ist niemals tot, es ist nicht einmal vergangen.«

Sara Paretsky: Wunder Punkt. Deutsch von Else Laudan, Argument mit Ariadne, Hamburg 2025, 500 Seiten, 25 Euro

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