Bruchstücke und Bausteine
Von Wolfgang Nierlin
Eine Mauer wird mit Sprengstoff verdrahtet. Kurz darauf zerfällt sie durch die Kraft der Explosion in lauter unterschiedlich große Einzelteile – Bruchstücke, die zuvor ein zusammengefügtes Ganzes gebildet haben. Nicht von ungefähr beginnt Billy Shebars Film »Monk in Pieces« mit einer Fragmentierung. Denn sein ebenso bruchstückhaftes filmisches Porträt, das als Mosaik arrangiert ist, widmet sich der US-amerikanischen Künstlerin Meredith Monk, die vieles in einem verkörpert, sich verschiedener Kunstsparten bedient und diese zu einer Einheit zusammenfügt. Die Vielfalt ihrer Arbeit umfasst dabei vor allem Musik, Tanz und Theater. 1942 in New York geboren und in einer jüdischen Musikerfamilie aufgewachsen, drückt sich Meredith Monk bevorzugt als virtuose Sängerin und Komponistin aus, zugleich ist sie Performerin ihrer eigenen Choreographien. Ihre kreativen Anfänge Mitte der 1960er Jahre entstehen im Umfeld von Fluxus und Konzeptkunst, als eine junge Avantgarde sich anschickt, Grenzen zu sprengen und den Kunstbegriff zu erweitern.
Die kurzen affirmativen Statements von Zeitzeugen und Weggefährten zu Beginn des Films geben darüber summarisch Auskunft. So erinnern sich etwa die Musiker David Byrne und Philip Glass an Monks einzigartige Begabung und grenzüberschreitende Kreativität in ihren Performances, während der Choreograph Merce Cunningham die künstlerische Phantasie ihrer Stimmakrobatik hervorhebt. Daneben steht der Hinweis des Radiojournalisten John Schaefer auf Monks multimedialen und interdisziplinären Ansatz, der sie zu »avantgardistischen Musikvideos« führte, die ihrer Zeit weit voraus waren. Allerdings reagierte die zeitgenössische Kritik auf das Innovative und Ungewohnte in diesen Arbeiten oftmals mit Unverständnis. Billy Shebar und sein Koautor David C. Roberts akzentuieren in ihrem Film deshalb zunächst den Kampf der Künstlerin um Anerkennung, verfolgen dann aber auch die These, dass Meredith Monks Kunst aus innerer Not und schmerzlichen Erfahrungen entsteht.
In einzelnen, jeweils mit markanten Werken verknüpften Kapiteln rekapitulieren Shebar und Roberts eher lose und assoziativ die biographischen Spuren in Meredith Monks Werk. Dabei wird vor allem inhaltlich vieles nur angerissen. Die mit Archivmaterial von Auftritten, Selbstaussagen und Interviews überladene Bild- und Toncollage spiegelt insofern zwar Monks eigenen künstlerischen Ansatz, erzeugt aus den Bruchstücken vielfältiger Informationen aber kaum mehr als Streiflichter. Diese erhellen etwa Monks Körperverständnis durch die Rhythmen der Musik oder auch ihre Entdeckung der Beweglichkeit ihrer Stimme, deren vielgestaltige Laute sie in der Folge als eine Art wortlose Universalsprache begreift, die eine direkte Vermittlung von Gefühlen ermöglicht. Der Erfolg ihrer Platte »Dolmen Music« (1981) und deren Einfluss beispielsweise auf die isländische Sängerin Björk geben davon Zeugnis. In musiktheatralischen Werken wie »Quarry« (1976) oder ihrer von den Schriften der französischen Reiseschriftstellerin Alexandra David-Néel inspirierten Oper »Atlas« (1991) reflektiert Meredith Monk aber auch ihre jüdische Herkunft vor dem Hintergrund des Holocaust sowie spirituelle Fragen nach dem Sinn eines Lebens, das sie als permanenten Zustand der Ungewissheit erfährt.
»Monk in Pieces«, Regie: Billy Shebar, USA/BRD/Frankreich 2025, 94 Min., bereits angelaufen
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