»Ukraine über alles!«
Von Susann Witt-Stahl
Das »Asow«-Militär wird sukzessive in die westeuropäische Sicherheitsarchitektur integriert. Seit Beginn der russischen Invasion und Eskalation des Ukraine-Konflikts 2022 präsentiert das deutsche Medienestablishment »emotional berührende« Frontreportagen von Einzelschicksalen Angehöriger der »Eliteeinheit« und lässt sie als »die netten Typen von nebenan« erscheinen. Springers Welt TV servierte seinen Zuschauern jetzt sogar die erste Homestory von einem Freiwilligen aus Mecklenburg-Vorpommern und seinem stolzen Vater, einem ehemaligen »Gepard«-Panzerfahrer der Bundeswehr. Die Eingliederung der »Asow«-Verbände in die ukrainischen Streitkräfte und deren Hochrüstung vor allem mit deutschen Waffen erfordert Narrative, die ihre Krieger als aufrichtige Patrioten und treue Verbündete »wehrhafter Demokratie« darstellen.
Der »Asow«-Propagandaapparat versucht offenbar, die dazu passende »Historiographie« zu liefern. Allen voran der in Kiew ansässige Verlag Rainshouse, geführt von Olexij Reins, seit dem Tod des »Asow«-Philosophen Mikola »Kruk« Krawtschenko im März 2022 der neue Chefideologe. Reins, der auch in der 3. Separaten Sturmbrigade »Asow« dient, die das Rückgrat des 3. Korps der ukrainischen Armee bildet, verstärkt stetig Bemühungen, die belastende Vergangenheit – historische Vorgängerorganisationen, deren Führer, Weltanschauungen, Theorien, Symbole, Rituale und Taten – weißzuwaschen.
In seinem Ende 2023 auf englisch erschienenen und auf ein westliches Publikum zugeschnittenen Buch »What Is Azov from Ukraine? Exclusive Inside Look« wollte er nach eigenen Angaben von Russland und anderen Feinden verbreitete »Mythen« entlarven und beweisen, dass die »Asow«-Einheiten lediglich aus national gesinnten Idealisten bestehen. Diese Mission ist krachend gescheitert: Reins unterminierte nicht nur nahezu alle Normalisierungserzählungen über »Asow« – er unterstrich auch noch wahrscheinlich unbeabsichtigt genau die verhängnisvolle Traditionslinie, die er unter allen Umständen verdecken wollte.
Im Geist der OUN
In dem »Insider«-Porträt wird zunächst einmal die Entstehungsgeschichte der »Asow«-Verbände zurückverfolgt und herausgestellt, dass ihre auch »kleine schwarze Männer« genannte paramilitärische Keimzelle sich 2014 nicht zufällig in Charkiw formiert hatte. Die Großstadt im Nordosten der Ukraine war das Aktionszentrum des »Patriot der Ukraine«, in den 2000er Jahren eine der einflussreichsten rechten Strukturen des Landes, Jugendorganisation und militanter Arm der 1991 in Lwiw gegründeten »Sozial-Nationalen Partei der Ukraine« (SNPU). Nach deren Umbenennung in »Swoboda« 2004 löste »Patriot der Ukraine« sich auf, formierte sich später jedoch neu als Schlägertrupp der »Sozial-Nationalen Versammlung«. Kopf aller genannten Organisationen, außer der SNPU beziehungsweise »Swoboda«, war Andrij Bilezkij – heute Kommandeur des 3. Armeekorps und inoffiziell Führer der gesamten »Asow«-Bewegung.
Als historischen Mentor des »Asow«-Militärs nennt Reins Jaroslaw Stezko. Dieser war Stellvertreter von Stepan Bandera, Führer des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B), und wurde nach dessen Tod 1959 sein Nachfolger. Reins bezeichnet Stezko und die OUN als »Partisanenkämpfer gegen die sowjetische und nazideutsche Besatzung« der Ukraine. Stezko habe sich »geweigert, mit Adolf Hitlers Regime zu kooperieren«, dafür sei er ins KZ Sachsenhausen gesperrt worden.
Fast nichts davon entspricht den historischen Tatsachen: Abgesehen davon, dass die Ukraine bereits seit 1922 eine Republik der Sowjetunion war, also gar nicht von dieser »besetzt« werden konnte, begrüßte Jaroslaw Stezko den deutschen Einmarsch ausdrücklich: »Voll aufrichtiger Dankbarkeit und Bewunderung für Ihre heldenmutige Armee, die sich auf den Schlachtfeldern im Zusammenstoß mit dem größten Feinde Europas, dem moskowitischen Bolschewismus, wieder neuen Ruhm erworben hat, senden wir Ihnen, dem großen Führer, im Namen des ukrainischen Volkes und seiner Regierung, die sich in dem befreiten Lemberg gebildet hat, herzliche Glückwünsche, den Kampf mit endgültigem Sieg zu krönen«, schrieb er am 3. Juli 1941 an Adolf Hitler.
Stezko und die OUN-B wünschten sich eine souveräne Ukraine als Satellitenstaat des »Dritten Reichs« mit »der Möglichkeit auf eine begrenzte Kollaboration«. Sie hätten die »nationalsozialistische Weltanschauung« und die Idee von einem »faschistischen Neuen Europa« übernommen, so der schwedisch-US-amerikanische Historiker Per A. Rudling. Dies habe sich keineswegs als passiver Akt vollzogen, betont sein deutsch-polnischer Kollege Grzegorz Rossoliński-Liebe, sondern die OUN habe eine »ukrainische Variante des Faschismus geschaffen«. Anders als der deutsche Nazismus musste dieser aufgrund des Fehlens eines eigenen Staatsgebiets transnational agieren, war wegen Ermangelung einer Machtbasis auf Tarnmaßnahmen angewiesen und präsentierte sich nicht zuletzt deshalb als »ukrainischer Nationalismus« (eine Praxis, an der bis in die Gegenwart festgehalten wird, auch von »Asow«).
Nach Sachsenhausen wurde Stezko verbracht, weil er gegen Hitlers Willen am 30. Juni 1941 die Unabhängigkeit der Ukraine ausgerufen und sich selbst zum Premierminister ernannt hatte. Im KZ erhielt er – wie auch Stepan Bandera und weitere OUN-Prominenz – den Status »Ehrenhäftling«, eine eigene Wohnung, kontrollierte Bewegungs- und Reisefreiheit, sogar die eingeschränkte Erlaubnis, weiter politischen Aktivitäten nachzugehen.
Was Reins komplett unterschlägt: Stezko propagierte in seinem »Lebenslauf«, den er verfasste, kurz nachdem er am 9. Juli 1941 in Arrest genommen worden war, eine Einparteiendiktatur und »völkisches Gedankengut«, das dem »nationalsozialistischen Programm verwandt« ist. Er sei sich der schädlichen Rolle der Juden, »die Moskau dabei helfen, die Ukraine zu versklaven, voll und ganz bewusst«, erklärte Stezko. »Ich unterstütze daher die Vernichtung der Juden und halte es für zweckmäßig, die deutschen Methoden zur Ausrottung des Judentums in die Ukraine zu bringen, um ihre Assimilierung und Ähnliches zu verhindern.« Ähnlich hatte sich Stezko schon im Mai 1939 in einem Leitfaden mit dem Titel »Kämpfe und Aktivitäten der OUN in der Kriegszeit« geäußert, als er noch nicht unter deutscher Überwachung stand. Nicht anders die OUN-B, die in den ersten Tagen des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion mit Flugblättern ebenso zur Vernichtung des »Judentums« aufrief wie der anderen »Feinde« Moskau, Polen, Ungarn.
In einem am 10. Juni 1942 in der Lemberger Zeitung veröffentlichten und an die jüdische Bevölkerung gerichteten OUN-B-Pamphlet heißt es: »Ihr habt Stalin mit Blumen empfangen. Wir werden Hitler zur Begrüßung eure Köpfe zu Füßen legen.« Zweifellos hätten die deutschen Invasoren die Hauptverantwortung für die in dieser Zeit begangenen Verbrechen getragen, so der Holocaustforscher Karel Berkhoff. Als Beleg nennt er den Befehl von Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamts, an seine Einsatzgruppen, die »Selbstreinigungs«-Bemühungen antikommunistischer und antisemitischer Ukrainer zu unterstützen und zu intensivieren, hebt jedoch hervor: »Die OUN-B spielte eine Schlüsselrolle bei den Pogromen in der Westukraine«. Nicht wenige ukrainische Faschisten kollaborierten auch mit Nazideutschland durch Eintritt in die von der Wehrmacht aufgestellten Bataillone »Nachtigall« und »Roland« und in die SS-Grenadier-Division »Galizien« – ebenso zeitweise mit der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) der OUN-B.
Wie Olexij Reins, der den Decknamen von Bandera »Konsul« zu seinem Nom de Guerre erkoren hat, in seinem Buch ausführt, steht das »Asow«-Militär bis heute fest in der Tradition der OUN und UPA.
»Sozialnationalismus«
Das theoretische Fundament der Weltanschauung des »Asow«-Militärs finden sich laut Reins in einem »politikwissenschaftlichen Werk« von Jaroslaw Stezko mit dem Titel »Zwei Revolutionen«. Es wurde 1951 veröffentlicht, zu einem Zeitpunkt, als die OUN-B schon mit den britischen, US-amerikanischen und westdeutschen Geheimdiensten zusammenarbeitete – die UPA kämpfte in deren Auftrag noch bis 1953 als Stay-behind-Armee gegen die UdSSR –, und fünf Jahre nachdem Stezko in München den »Anti-Bolshevik Bloc of Nations«, die mächtigste Dachorganisation von Hitlerkollaborateuren weltweit, gegründet hatte. In »Zwei Revolutionen« entwickelte Stezko eine angeblich neue Ideologie: den »Sozialnationalismus«. Diese »Lehre, die von der Vorgängerorganisation von Asow, Patriot der Ukraine, vertreten wurde, basiert genau auf den programmatischen Prinzipien des Hauptideologen der OUN«, erläutert Reins im Vorwort der 2023 bei Rainshouse erschienenen Neuauflage.
In dem heldenpathostriefenden Text beschwört Stezko den Kampfgeist der Ahnen – von der Antike bis zur Entstehungszeit der OUN in den 1920er Jahren und im Zweiten Weltkrieg –, des Judenschlächters Simon Petljura wie Roman Schuchewitschs, Kommandeur des »Nachtigall«-Bataillons, später der UPA, und kommt zu dem Schluss: »Ohne eine national-soziale Revolution gibt es keine ukrainische Befreiung«, so die Grundthese seines »Sozialnationalismus«, der sich – was Reins vehement abstreitet – in Teilen als eine auf die Ukraine zugeschnittene Version des deutschen »Nationalsozialismus« der NSDAP vor der Machtübernahme erweist. »Das Nationale und das Soziale sind zwei Seiten derselben Medaille, desselben Lebens«, so Stezko weiter. Eine andere Schnittmenge mit dem »Nationalsozialismus«, aber auch mit allen anderen Faschismen, bildet sein fanatischer Antikommunismus sowie die Fetischisierung von Gewalt. Stezko lobpreist die Ukrainer als Kriegervolk, das »wie eine Lawine alles hinwegfegt, was sich ihm in den Weg stellt« – bis zum letzten Blutstropfen: »Es werden noch Tausende, Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen fallen, aber das Volk, das auf dem Marsch ist, kann niemand mehr aufhalten.«
Was Stezkos »Sozialnationalismus« vom »Nationalsozialismus« und der Ideologie der OUN und UPA bis 1945 tatsächlich unterscheidet: Der manifeste Antisemitismus fehlt. Die OUN hatte ihn nach der Niederlage Hitlerdeutschlands und dem Beginn ihrer Zusammenarbeit mit den neuen westlichen Dienstherren still und heimlich entsorgt und ihre Vergangenheit einfach verleugnet – wie die alten Nazis, denen Adenauers Restauration eine zweite Karriere unter den Vorzeichen der liberalen Demokratie ermöglicht hatte.
Anders der »Sozialnationalismus« des »Patriot der Ukraine«, dessen 2008 von Andrij Bilezkijs formuliertes Programm an den »Nationalsozialismus« anknüpft und eine »rassische Säuberung« der Ukraine vom jüdisch geführten »Untermenschentum« verlangte – ein Atavismus, den Reins in seiner »Historiographie« komplett ausblendet. Solcher offen rassistischen und antisemitischen Äußerungen enthalten sich die »Asow«-Krieger, die 2014 von einem ultrarechten jüdischen Oligarchen finanziert wurden und anstreben, als die zukünftigen »SEALS« der NATO »die beste Militäreinheit der Welt zu werden«. Dafür berufen sie sich aber, wie Reins »Asow«-Buch zu entnehmen ist, weiter auf judenfeindliche Vordenker, zum Beispiel den Hitler-Übersetzer Dmitro Donzow und Mikola Michnowskij, und antisemitische Ideologen der OUN, etwa Stepan Lenkawskij, Urheber des »Dekalog«, der »zehn Gebote der ukrainischen Nationalisten«, die alle Rekruten bis heute beim Aufnahmeritual wie eine Treueeidformel aufsagen müssen, ebenso auf Dmitro Miron, genannt Orlik, dessen Werk »Die Idee und Rolle der Ukraine« zu ihrer Pflichtlektüre gehört.
»Das Schwarze Korps«
Das »Asow«-Militär hält auch weiter an der Großukraine-Idee der OUN nach dem Vorbild Nazideutschlands fest. »Die nationalistische Bewegung ist so mächtig, dass wir bald die Entstehung eines großen ukrainischen Staates vom Kaspischen Meer bis zu den Tatrabergen erleben werden«, prophezeite OUN-Funktionär Roman Suschko bereits 1939. »Asow« huldigt dieser megalomanischen Ideologie beispielsweise mit dem »Großmachtfalken«, der sich nach wie vor auf Fahnen und Verbandsabzeichen seiner Einheiten findet, als Sinnbild der »Vision« von einer »Supermacht der Zukunft, die geopolitisch die Führung übernehmen wird«, wie Reins erklärt. Zudem hat sein Verlag ein Buch über den »ukrainischen Imperialismus« als »Ordnung, Akt der Führung und zivilisatorisches Leuchtfeuer für andere« herausgegeben; auf dem Cover prangt eine Landkarte, in die zukünftige Eroberungen russischer Gebiete bereits eingezeichnet worden sind.
Auch die Wurzeln der auffallend stark von germanischer Mythologie und nordischem Paganismus geprägten Rituale, Symbolik und Ästhetik der »Asow«-Militärkultur, deren Ursprung Reins lediglich in der »alteuropäischen Geschichte« und in der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung ausmacht, finden sich zum Teil auch in Nazideutschland: Die Wolfsangel als Markenzeichen von »Patriot der Ukraine« und schließlich »Asow«, die laut Reins nichts als die zusammengesetzten Buchstaben »I« für »Idee« und »N« für »Nation« ist (eine Schutzbehauptung, wie die Forschung belegt), und die Schwarze Sonne, die mittlerweile aus vielen, aber längst nicht allen seinen Truppenemblemen verschwunden ist, stammen von der Waffen-SS. Die Wolfsangel wie die Schwarze Sonne zieren immer noch die Streitäxte, die »Asow«-Kommandeure zu ihrer Ernennung bei archaischen Kulthandlungen im Feuerschein überreicht bekommen. Für die Organisation und Durchführung der »Asow«-Rituale ist eine »Khorunzha«-Sondereinheit zuständig. Die Aufgabe solcher Zeremonienmeister, so Reins, sei es, »die Moral zu erhöhen und aufrechtzuerhalten«.
Nach dem verschwiegenen Vorbild der Waffen-SS betrachtet das »Asow«-Militär »den Krieg nicht als Form von Arbeit oder Dienst, sondern vor allem als Berufung«. Für seine Angehörigen wird nicht der Begriff »Soldat« verwendet, denn nur das »Dasein als Krieger ist ewiges Leben«. Das gilt besonders in Reins 3. Separater Sturmbrigade, in der die Neonaziorganisation »Centuria« zur Kriegersuperelite aufgestiegen ist – ihr Motto lautet: »Blut, Familie, Kampf« und »Die Ukraine den Ukrainern!« – und ideologische Schulungen durchführt, die in den »Asow«-Einheiten zur Grundausbildung gehören.
Schon der Name der paramilitärischen Keimzelle von »Asow«, »Schwarzes Korps«, war dem gleichnamigen Titel der »Zeitung der Schutzstaffeln der NSDAP – Organ der Reichsführung SS« entlehnt, die ab 1935 als Wochenblatt in einer Auflage von bis zu 750.000 Exemplaren erschienen war. Er ist neben vorwiegend von Untereinheiten verwendeten Insignien und Parolen mit einschlägiger Herkunft (zum Beispiel »Meine Ehre heißt Treue«) ein weiteres Indiz für eine erschütternde Tatsache: »Asow« hat sich Himmlers »Rassekrieger« als Idole auserkoren und führt deren Tradition zumindest in kodierter Form weiter.
»Brother in Arms« des Westens
Diese zu allem Übel vom »Asow«-Chefideologen objektiv bezeugte Kontinuität stellt eine neue Herausforderung für die westliche »Wertegemeinschaft« dar – ein Dilemma. Es wächst mit der zunehmenden Verflechtung zwischen den militärisch-industriellen Komplexen der NATO und der Ukraine und mit der unter Hochdruck betriebenen Vergrößerung der Naziverbände.
Am 13. August 2025 titelte The Times »Putin fürchtet ihn – 20.000 Ukrainer wollen für ihn kämpfen« und ließ Andrij Bilezkij als Führer »einer der kampfstärksten Einheiten« der Ukraine die Optionen erklären, die sich aus dem Machtzuwachs des »Asow«-Militärs für die NATO-Staaten ergeben. »Wir gewähren uneingeschränkten Zugang«, berichtete er von der Öffnung des von seinen Truppen kontrollierten Frontsektors Isjum für westliche Rüstungskonzerne. »Unser großer Vorteil ist, dass wir Nachbesprechungen, Testergebnisse und tatsächliche Daten aus dem Einsatz auf dem Schlachtfeld bereitstellen.« Ohne die Asowisierung der von Desertion gebeutelten ukrainischen Streitkräfte ist die von Bilezkij angestrebte »dauerhaft militarisierte Gesellschaft« nach dem Vorbild Israel, »die effektiv zur Armee und zum Waffenarsenal eines Europas wird, das sich als alarmierend langsam beim Aufbau seiner eigenen Streitkräfte erwiesen hat«, nicht realisierbar. Die Botschaft des Times-Artikels: Bilezkij und seine »Asowiten« – die jüngst aus Großbritannien und Lettland mit mindestens zwölf selbstfahrenden Haubitzen vom Typ AS90 und 42 gepanzerten Patria-Mannschaftstransportern beliefert wurden – haben sich längst zum unverzichtbaren »Brother in Arms« des Westens bei seinen Vorbereitungen auf einen großen Krieg gegen Russland gemausert.
Kämpfer der Vergangenheit
Das weiß auch das deutsche Verteidigungsministerium. Bisher schweigt es sich weitgehend aus über das Verhältnis der Bundeswehr zum »Asow«-Militär. In den vergangenen Monaten tauchten aber in den einschlägigen Social-Media-Kanälen wiederholt Fotos von hohen deutschen Offizieren mit Angehörigen der faschistischen Asow-Einheiten auf. Beispielsweise ließ sich Generalmajor Christian Freuding, Leiter des Planungs- und Führungsstabs des Verteidigungsministeriums und des Lagezentrums Ukraine, am 8. Mai 2025 mit einem Kommandeur der »Asow«-Sturmbrigade ablichten, der Reins angehört (vgl. junge Welt vom 12.5.2025). Eine Aufnahme vom Juli 2025 zeigt den Generalstabsarzt des Heeres Johannes Backus bei der Auszeichnung eines Sanitäters des 1. Korps »Asow« der Nationalgarde als European Best Medic auf der Combat Medical Care Conference in Blaubeuren. Mindestens zweimal seit 2024 ist die Chefin des Sanitätsdienstes der 3. »Asow«-Sturmbrigade vom Oberarzt des Bundeswehrkrankenhauses in Berlin empfangen worden. Auch die vermehrten Besuche von »Asow«-Delegationen in NATO-Einrichtungen lassen auf eine Zusammenarbeit mit der Bundeswehr schließen.
Kritik aus dem Friedenslager, Wissenschaft und Gesellschaft an dieser toxischen Waffenbrüderschaft hat die Bundesregierung ideologisch vorgebeugt. Schon im Juni 2022 hatte die Bundeszentrale für politische Bildung, die dem Innenministerium untersteht, die »Analyse: Das Asow-Regiment und die russische Invasion« des ukrainischen Politikwissenschaftlers Iwan Gomza veröffentlicht. Während bereits der Aufbau eines weiteren »Asow«-Spezialregiments unter anderem aus Mitgliedern von »Centuria« und der Neonazipartei »Nationales Korps« in vollem Gange war, aus der einige Monate später die 3. Separate Sturmbrigade entstand, behaupte Gomza, die »meisten rechtsextremen Kämpfer« hätten das »Asow«-Militär »bereits 2014 mit dessen Einbindung in die Nationalgarde« verlassen. Später habe »das Verbot politischer Agitation in der Armee« eine »weitere Entradikalisierung und Entideologisierung« bewirkt. Diese Erzählung bildet unverändert den Grundtenor nahezu der gesamten »Asow«-Rezeption von Politik und Medien in Deutschland.
Wie die im September 2023 von der Bundesregierung aufgestellte Behauptung, die OUN und die UPA seien nicht pauschal »als rechtsextrem, antisemitisch, antiziganistisch oder sonst rassistisch« einzuordnen (vgl. junge Welt vom 27.9.2023), wird sie als Mär entlarvt – und zwar vom »Asow«-Chefideologen höchstpersönlich, der sein »Insider«-Buch als »Aufklärung« verstanden wissen möchte. Denn Olexij Reins insistiert auf der Feststellung, dass bis in die Gegenwart Kämpfer der ersten Stunde der Maidan-Revolte an der Spitze des »Asow«-Militärs stehen – »die richtigen Leute mit den richtigen Ansichten«, zitiert er seinen Vorgänger Mikola Krawtschenko.
Dazu gehört für Reins, nach dem Imperativ »Ukraine über alles!« zu leben. Im Juli 2025 legte er noch nach und präsentierte eine »unterschütterbare« Asowsche »Pyramide des Nationalisten«: Familie, Nation, Staat. Dabei definierte er die ukrainische Nation als »ewige Blut-Geist-Gemeinschaft der Toten, Lebenden und Ungeborenen«. Er rügte die Soldateneidformel »Ich diene den Menschen der Ukraine«. Diese sei nicht das Land »der Menschen«, sondern eines »konkreten Volkes«, betonte er. »Der Krieg wird nicht für Abstraktionen geführt.« Kürzlich vermeldete Reins die Aufstellung der Symbole der »Idee der Nation« (Wolfsangel) und der SS-Division »Galizien« an verschiedenen Orten – »Altäre unserer Ideologie« zur Markierung von Territorien, an denen Versammlungen, Trainings zur Wehrertüchtigung und Rituale abgehalten werden sollen. Seine Sturmbrigade hatte schon zum 80. Gründungstag der »Galizier« 2023 verkündet: »Wir ehren die Kämpfer der Vergangenheit.«
Nicht zuletzt mit solcher Traditionspflege holen das »Asow«-Militär und sein Gefolge zum historischen Brückenschlag vom »Nationalsozialismus« zur NATO aus. Damit kompromittiert einmal mehr ein Untoter verdrängter Geschichte einen deutschen Imperialismus, der heute mit dem Schlachtruf »Nie wieder!« an der Ostfront steht.
Susann Witt-Stahl schrieb an dieser Stelle zuletzt am 21. Februar 2025 über das Establishment der VVN-BdA: »Hilfloser Antifaschismus«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (21. August 2025 um 17:05 Uhr)In »Elemente des Antisemitismus« ist zu lesen: »Rasse heute ist die Selbstbehauptung des bürgerlichen Individuums, integriert im barbarischen Kollektiv.« Die von Susann Witt-Stahl beschriebenen Kontinuitäten und Anpassungen scheinen eine Folge der Angst zu sein, eine andere Welt sei möglich. Im Zentrum dieser Ideologie steht einfach ein Mythos (Rosenberg!?), der den Sinn und Zweck dieser Kräfte, auch in Zukunft das kapitalistische Ausbeutungsverhältnis aufrechtzuerhalten, für die Akteure und Zuschauer verschleiert. Vielen Dank für diesen Artikel!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Maria H. aus Paderborn (21. August 2025 um 13:34 Uhr)Ich danke Susann Witt-Stahl für diesen ausgezeichneten Artikel! Mit herzlichen Grüßen Maria Herrlich
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