Ein großes Herz
Von Marc Hairapetian
Wenn man Alfred Hilsberg in den 80er und 90er Jahren in seiner Hamburger Wohnung besuchte, wie es der Family-Five-Gitarrist Xaõ Seffcheque und ich es regelmäßig gemeinsam taten, stellte man fest: Der stets etwas mürrisch blickende Mann mit der schwarzumrandeten Brille hatte bis auf ein Bett und ein Telefon kein Mobiliar, dafür unzählige Schallplatten, die sich im Wohnzimmer auf dem Fußboden stapelten. Nicht zu vergessen der andere Raum mit nichts darin als einem fröhlich herumflatternden Kanarienvogel. Don Alfredo, der »Godfather of German New Wave«, besaß eben doch ein großes Herz.
Hilsberg hasste diese Bezeichnung, doch er war wirklich der Pate der Neuen Deutschen Welle. Der Musikjournalist und Labelbesitzer (zuerst Betreiber von ZickZack Records, dann von What’s so funny about) lebte spartanisch, stattete aber junge Talente großzügig mit auf Bierdeckeln unterzeichneten Plattenverträgen aus, für die sie allerdings meist kein Geld sahen. Dabei lautete sein Motto: »Lieber zu viel als zu wenig«. Das war auch der Titel eines Samplers »(ZickZack Sommerhits 81«) der 1981 bei ihm erschien. Darin wurden unter anderem »Mutti, Ich und die Sonne« (Falsche Fahnen), »Der Sommer im Dornrosental« (Andreas Dorau) oder melancholisch »Strandgefühle« (Saal 2) besungen.
Im Musikmagazin Sounds (Ausgabe 3/78) rühmte Hilsberg mit dem legendären Artikel »Rodenkirchen is burning« die Köln-/Düsseldorfer Szene. Das war der eigentliche Startschuss für die NDW. Als Chef von ZickZack – 1980 aus dem Plattenladen Rip Off im Hamburger Karoviertel entstanden – widmete sich das 1947 in Wolfsburg geborene Arbeiterkind der Punkbewegung in Westdeutschland. Die Zimmermänner, Einstürzende Neubauten, FSK, Palais Schaumburg, Die Krupps oder The Wirtschaftswunder brachte er nach vorn. Musikalisch seiner Ansicht nach weniger relevante, später aber kommerziell erfolgreiche Bands wie Trio hingegen erteilte er Absagen. Die von ihm geschmähten Extrabreit rächten sich 1982 an ihm in dem Song »Komm nach Hagen« mit der Textzeile: »Vergiss Hilsberg und seine Oberschülerhiwis«.
Hilsberg war auch ein genialer Promoter: »Hallo, hier ist Alfred« hieß es, wenn er einen anrief, um dann sofort zur Sache zu kommen: »Du solltest dir unbedingt eine neue Band anhören!« Er prägte mit seinen Anthologien wie »Geräusche für die 80er« (ZZ 003), »Geräusche für die 90er« (WSFA SF 100) und »Paradies der Ungeliebten« (WSAF SF 158) die jeweiligen Jahrzehnte. Die »Hamburger Schule« mit Blumfeld, Nagorny Karabach oder Cpt. Kirk &. wäre ohne ihn nicht möglich gewesen. Bis Anfang der Zehnerjahre brachte er weiter Musik heraus. Am Montag ist Alfred Hilsberg 77jährig in Hamburg verstorben. Sein vor zwei Jahren in den Popolymp vorausgegangener Freund Xaõ Seffcheque würdigte ihn bereits zu Lebzeiten, nicht ohne kleinen Seitenhieb: »ZickZack war das beste Label der Welt, mit der schlechtesten Zahlungsmoral der Welt.«
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