Bergbau der Gesetzlosen
Von Holger Römers
Es ist leicht einzusehen, warum Regisseur Juan Francisco Olea seinen zweiten Spielfilm »Bitter Gold« als einen Neowestern bezeichnet. Denn die übersichtliche Handlung entfaltet sich vor dem Hintergrund einer Wüstenlandschaft, deren Schroffheit in den von Kameramann Sergio Armstrong komponierten Breitwandbildern sogleich an revisionistische Spätwestern New Hollywoods oder Italiens denken lässt. Dazu passt, dass die beiden Hauptfiguren ihren Kleinbergbau mit nahezu vorindustriellen Methoden betreiben, obwohl das Geschehen unverkennbar in der chilenischen Gegenwart angesiedelt ist. Wenn sich nach einer Viertelstunde abzeichnet, dass Minenbetreiber Pacífico (Francisco Melo) weder eine Besitzurkunde noch eine staatliche Abbaulizenz vorzuweisen hat, steht zudem das Thema Gesetzlosigkeit im Raum, auf dem das Westerngenre seit Stummfilmzeiten aufbaut.
Dazu passt, dass dieser sichtlich zähe Kerl eine Haftstrafe abgesessen hat, wie aus einzelnen Dialogsätzen zu erfahren ist. Allerdings wird uns unter diesen Vorzeichen zugleich bewusst, dass das Drehbuch, für das insgesamt fünf Autoren verantwortlich zeichnen, auch Erzählmuster anderer Filmgattungen variiert. Wie so manche Hauptfigur eines Film Noir oder eines Gangsterdramas spricht die jugendliche Carola (Katalina Sánchez) jedenfalls früh von Ausstiegsplänen. Dabei rechnet sie vor, dass das für einen unbestimmt bleibenden Neuanfang an der Küste benötigte Geld schon zu 90 Prozent vorhanden sei. Bevor sie sich gemeinsam mit ihm aus dem Staub machen kann, verlangt sie von ihrem Vater Pacífico bloß einen weiteren Monat Geduld und den allmählichen Verkauf seines Werkzeugs – als es zu jenen gewaltsamen Komplikationen kommt, wie die Regeln der genannten Filmgenres sie erfordern.
Da Pacífico durch eine schlimme Verletzung außer Gefecht gesetzt wird, übernimmt Carola in der Kupfermine kurzerhand die Chefrolle, woraufhin der Reiz dieser Konstellation sich aus der Frage ergibt, inwiefern die Genrekonventionen sowie der Wirklichkeitsbezug der Handlung, der nicht zuletzt durch die Nutzung einer realen Mine als Drehort verstärkt wurde, eine feministische Deutung zulassen oder eher konterkarieren. Ansätze zu der offenkundig gewünschten Lesart ergeben sich aus dem Umstand, dass der weibliche Teenager nun mit vier Handlangern sowie einem skrupellosen Konkurrenten konfrontiert ist, die allesamt männlich und mehr oder weniger älter sind.
Dem steht freilich entgegen, dass der Plot von konkreten Konflikten um die Arbeitskraft angestoßen wird, die Pacífico und Carola mit unverhohlener Gier von ihren informellen Angestellten einfordern. Die Handlung beginnt damit, dass Pacífico sich über Humberto (Michael Silva) aufregt, weil der offenbar zum wiederholten Mal verspätet und verkatert auftaucht. Der unbedingte Wille, auch diesem Arbeiter den Mehrwert seines Produkts abzunötigen, lässt den Kleinunternehmer bezeichnenderweise jede Vorsicht in den Wind schlagen: Trotz der Andeutungen anderer Figuren, dass Humbertos Verwandtschaft als gewaltbereit und kriminell bekannt sei, nimmt Pacífico die nächste Disziplinlosigkeit zum Anlass, den jungen Mann nicht bloß hinauszuwerfen, sondern ihm auch den Lohn für die geleistete Arbeit vorzuenthalten.
Durchaus folgerichtig eignet sich Carola eine ähnliche Haltung an, kaum dass sie in die Chefrolle geschlüpft ist. Lieber ignoriert sie die Anordnung des verwundeten Vaters, den Minenbetrieb vorerst ruhen zu lassen, als den Männern für einen Tag Lohn auszuzahlen, ohne eine Gegenleistung erhalten zu haben. Hinzu kommt, dass die bisher als Betriebsköchin fungierende junge Frau den Stollen offenbar kaum je betreten hat, so dass es nicht nur die in einzelnen Dialogsätzen, Gesten und Blicken aufblitzenden sexistischen Vorurteile der Arbeiter sind, die Carolas Weisungsbefugnis in Frage stellen – und schließlich ganz allgemein die Frage aufwerfen, worauf die Verfügungsgewalt über den abgebauten Bodenschatz eigentlich beruht.
»Bitter Gold«, Regie: Juan Francisco Olea, Chile/Uruguay/BRD 2024, 83 Min., Kinostart: heute
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