Afghanistans letzte Diplomatin
Von Dieter Reinisch, Wien
Ohne Regierung und ohne Präsidenten könne es auch keine Botschaft geben, sagt Manizha Bakhtari zu Beginn des Dokumentarfilms von Natalie Halla, der am Mittwoch abend nach einigen Vorführungen bei Filmfestivals in Wien Premiere hatte. Der Saal im Wiener Votivkino war bis auf den letzten Platz gefüllt. In 90 Minuten zeichnet Halla in »Die letzte Botschafterin« den Weg der Diplomatin Bakhtari seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15. August 2021 nach: »Sollen wir eine Exilregierung bilden?« überlegt Bakhtari. Sie war bis 2021 offizielle afghanische Botschafterin in Österreich und permanente Repräsentantin bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisation in Wien. Zuvor war die Tochter des berühmten afghanischen Dichters Wasef Bakhtari Universitätsprofessorin in Kabul. 2007 trat sie in den diplomatischen Dienst ein, wurde wenig später Botschafterin in Norwegen, schließlich nach Wien versetzt.
Seit der Übernahme der Regierung durch die Taliban kommt kein Geld mehr an: Mitarbeiter müssen gekündigt, das Büro in zentraler Innenstadtlage aufgegeben werden. »Die afghanische Diaspora hat uns sehr unterstützt«, erzählt Bakhtari im jW-Gespräch vor der Filmpremiere am Mittwoch nachmittag. Im Verlauf des Dokumentationsfilms findet sie einen neuen Ort für die Botschaft, diesmal eher am Stadtrand, aber »einen Ort, den wir uns leisten können«. Irgendwann trudelt eine E-Mail vom Außenministerium in Kabul ein, in dem ein Beamter ihr mitteilt, dass sie abgesetzt werde. Doch Bakhtari sieht sich weiterhin als die Botschafterin der Islamischen Republik Afghanistan: »Ich nehme keine Anweisungen von diesem Islamischen Emirat an«, sagt sie in die Kamera.
Bakhtari blieb in ihrem Amt und ist bis heute die von Österreich und den internationalen Organisationen anerkannte Botschafterin »der Menschen Afghanistans«, wie sie sagt. Bei den Treffen der OSZE und UNO ist sie stets dabei. Anfang September wird wieder das Leitungsgremium der Atomenergiebehörde IAEA in Wien zusammenkommen: »Daran nehme ich regelmäßig teil«, erzählt sie im jW-Gespräch. Abstimmen wird sie bei diesem Treffen nicht mehr können, denn Kabul hat die jährliche Mitgliedsgebühr nicht entrichtet, die Bedingung für das Stimmrecht ist. Etwa 50 Prozent der konsularischen Tätigkeiten kann die Konsularabteilung durchführen: Geburtsurkunden ausstellen, Reisepässe verlängern, aber neue kann sie nicht ausstellen. Mit den Einnahmen der Konsulararbeit versucht Bakhtari ihre Arbeit zu finanzieren.
Ihr Land und die Menschen vertreten, aber nicht die Taliban-Regierung in Kabul wollen auch andere Diplomaten: Afghanistan hat weltweit 64 Botschaften, 17 von ihnen erkennen die Taliban nicht an. Das sind Botschaften in 15 europäischen Ländern sowie in Kanada und Australien. Bakhtari ist die letzte Frau im Rang einer Botschafterin Afghanistans. Ihre Arbeit hat sich nicht nur im konsularischen und diplomatischen Bereich geändert. Von Österreich aus möchte sie eine Stimme für Menschen- und Frauenrechte in Afghanistan sein. Mit dem »Daughters Programme« ermöglicht sie Schülerinnen eine geheime Ausbildung, denn nach der sechsten Schulstufe dürfen Mädchen keine Schulbildung mehr erhalten. Durch Initiativen wie ihr Programm können vielleicht 50.000 Mädchen heimlich unterrichtet werden, glaubt Bakhtari. Doch Afghanistan hat 46 Millionen Einwohner.
Was dem Film fehlt, ist eine historische Kontextualisierung, die auch auf die US-Besatzung des Landes eingeht. Ebenso werden die Ursachen für die soziale und wirtschaftliche Misere des Landes weitgehend ausgeblendet. Dennoch ist es ein mitreißendes und emotionales Zeitdokument über eine Frau, die von einer Diplomatin zur Aktivistin wurde und nun mit wenigen Ressourcen, Tausende Kilometer von ihrem Heimatland entfernt, versucht, die Lage von Mädchen und Frauen in Afghanistan etwas zu verbessern: »Ich hoffe, ihr seht die Widerständigkeit und unsere Tapferkeit in dem Film«, betonte Bakhtari im Publikumsgespräch am Mittwoch abend.
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