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Aus: Ausgabe vom 14.08.2025, Seite 11 / Feuilleton
Film

Der Himmel über der Uckermark

Eine spezielle Filmgeschichte: Wim Wenders zum 80. Geburtstag
Von F.-B. Habel
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Der Blick nach oben: Wim Wenders

Nur selten tauchte in der DDR mal ein Film der Autorenfilmer des Neuen Deutschen Films aus der BRD der sechziger und siebziger Jahre auf, etwa von Alexander Kluge oder Rainer Werner Fassbinder. Grund waren weniger Berührungsängste als die schlechte Devisensituation der DDR. So blieben filminteressierte DDR-Zuschauer auf Sendungen von ARD und ZDF angewiesen, wenn sie ungewöhnliche Filme aus dem Westen erleben wollten.

Als die Akademie der Künste der DDR in einer Sondervorführung 1985 »Paris, Texas« von Wim Wenders zeigte, war der Film für uns junge Leute mit seinem besonderen Rhythmus und seiner von Robby Müllers Kamera geprägten Bildsprache eine Offenbarung. Der Film entstand in der amerikanischen Phase des Regisseurs, der am 14. August 80 Jahre alt wird und auf ein vielgestaltiges Lebenswerk mit über 60 Spiel- und Dokumentarfilmen und vielen Preisen zurückblicken kann.

In einem bürgerlichen Elternhaus in Düsseldorf geboren, wuchs er in Jugendjahren im Ruhrgebiet auf und bekam eine erste Ahnung von sozialen Gegensätzen. Nachdem der Musikfan sich an der Cinémathèque française und der Münchner Filmhochschule die filmischen Grundlagen angeeignet hatte, entstanden seine meist unabhängig produzierten Filme, in denen er soziale Realität, experimentelle Bildsprache und auch seine christliche Weltsicht miteinander verband. Im Lauf der Jahre arbeitete er mit Musikern wie Nick Cave, denen von BAP und den Toten Hosen zusammen – nicht zu vergessen sein Welterfolg mit dem kubanischen »Buena Vista Social Club« (1999).

Was mit dem Sozialismus passiert, hat ihn immer wieder interessiert. Für »Der Himmel über Berlin«, der in seinen Szenen mit Curt Bois und Otto Sander am verödeten Potsdamer Platz die Vergangenheit erkundete, ließ er sich 1987 vom Defa-Kameramann Thomas Plenert Dokumentaraufnahmen aus dem Osten der Stadt zuliefern. Bald darauf rettete Wenders nach der »Wende« viele ehemalige Defa-Mitarbeiter, als er sich an der Spitze des Vereins »Die ersten 100 Jahre Kino in Berlin« für die Aufarbeitung des Erbes der deutschen Filmpioniere Max und Emil Skladanowsky und den Erhalt ihres historischen Standorts, des Pankower Kinos Tivoli, einsetzte. Der Abriss war dann doch nicht zu verhindern, aber die aus der DDR stammenden Mitarbeiter konnten in vielen Veranstaltungen für die Filmgeschichte sensibilisieren, bei denen ihr Chef Wenders ebenfalls auftrat. 1995 drehte Wenders dann mit Münchner Filmstudenten die szenische Dokumentation »Die Brüder Skladanowsky«, in der auch Lucie, die betagte Tochter von Max Skladanowsky, zu Wort kam.

Für »In weiter Ferne, so nah«, der Fortsetzung von »Himmel über Berlin«, holte Wenders 1993 Michail Gorbatschow für ein Statement vor die Kamera. 2018 widmete er Papst Franziskus einen ganzen Film. Inzwischen lebt Wim Wenders, der eng mit seiner Frau Donata, einer Fotografin, zusammenarbeitet, in der Uckermark. Die hat er wohl lieben gelernt, als er 1993 am Schiffshebewerk in Niederfinow drehte.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (13. August 2025 um 22:22 Uhr)
    Zu erwähnen ist die Musik von Ry Cooder für den Film Paris-Texas. Einfach toll!

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