Gegründet 1947 Mittwoch, 13. August 2025, Nr. 186
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 07.08.2025, Seite 12 / Thema
Kalter Krieg

Diversion und Propaganda

Private Helfer von CIA und Co. im Kampf gegen die DDR: Über die »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit«
Von Werner Fritz Winkler
12-13.jpg
Ehemalige Häftlinge aus der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR werden im Westberliner Büro der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« mit Westmark versorgt (21.1.1950)

Der Rauch über den Trümmern des »Dritten Reichs« war noch nicht verzogen. Die Folgen des von den Faschisten der Menschheit aufgebürdeten Weltkrieges waren noch allgegenwärtig. Die Zweckgemeinschaft aus den vier Siegermächten über Hitlerdeutschland, Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich, hatte ihre Aufgabe erfüllt. Aus den einst Verbündeten, deren Soldaten sich bei der legendären Begegnung von Roter Armee und U. S. Army an der Elbe am 25. April 1945 bei Torgau noch freudig in den Armen gelegen hatten, wurden wieder Feinde. Vom überall beschworenen »Nie wieder Krieg« schlitterte die Welt fast nahtlos in den Kalten Krieg. Auf beiden Seiten herrschte Hochkonjunktur in der Rüstungsindustrie. Ein Atomkrieg wurde zum neuen Szenario des Schreckens. In den sich konträr gegenüberstehenden Gesellschaftssystemen erlangte das »militärische« das Primat, einschließlich der Parallelwelt der Geheimdienste. Eine bedeutsame Rolle kam dabei dem geteilten Berlin zu. Die Millionenmetropole entwickelte sich im rasanten Tempo zur Frontstadt des Kalten Krieges.

Vor diesem Hintergrund wurde Anfang 1946 im Westen Deutschlands die Organisation Gehlen gegründet. An deren Spitze stand Reinhard Gehlen, Generalmajor a. D. und ehemaliger Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost der deutschen Wehrmacht. Für die USA, die das Geld gaben und die Dienstaufsicht hatten, war Gehlens nachrichtendienstliches Wissen über die Sowjetunion von großer Bedeutung, seine NS-Vergangenheit spielte keine Rolle. Gehlens Netzwerk, bestehend aus vormaligen Nazis, verhalf ihm dazu, dass seine Organisation am 1. April 1956 als Bundesnachrichtendienst (BND) in den bundesdeutschen Staatsapparat integriert wurde. Gehlen wurde dessen erster Präsident.

Von der CIA finanziert

In seinen Memoiren »Der Dienst« berichtet Gehlen, dass sich dieser stets von der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« (KgU) distanziert hätte. Alles andere hätte im Jahr der Veröffentlichung 1971 wohl auch einen politischen Skandal ausgelöst. Denn die KgU war kein harmloser Verein, sondern eine »militante antikommunistische Organisation im Kalten Krieg«, wie heutzutage selbst bei Wikipedia nachzulesen ist.

Die Gründung erfolgte im Frühjahr 1948 durch Rainer Hildebrandt im Westteil Berlins. Der Verein erhielt am 23. April 1948 von der Alliierten Kommandantur, der gemeinsamen Berlin-Behörde der vier Besatzungsmächte USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion (letztere trat am 15. Juni 1948 aus), eine Lizenz als politische Organisation. Vereinsvorsitzender war über fast den gesamten Zeitraum der Existenz der KgU der 1952 aus der SPD ausgeschlossene Ernst Tillich. Anfänglich unterhielt der Verein einen Suchdienst für Menschen, die nach dem Krieg in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in einem der dort bis 1950 bestehenden zehn Speziallager (ca. 122.671 Inhaftierte) oder direkt in der Sowjetunion inhaftiert waren. Eine erste große Entlassungswelle gab es 1948. Vor allem die Erlebnisberichte der Entlassenen nutzte der Verein für den Aufbau seines zweiten Standbeines – die antikommunistische Propaganda.

Die Einführung der Deutschen Mark als Zahlungsmittel in den drei Berliner Westsektoren am 24. Juni 1948 und die Reaktion der Sowjetunion mit der Berlin-Blockade vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949 führten zur endgültigen Teilung Berlins. Unter den Gegebenheiten der sich abzeichnenden künftigen Zweistaatlichkeit radikalisierte sich die KgU. Neben den bisherigen Aktivitäten, dem Suchdienst und der Propaganda, ging die Organisation zu Spionage, Sabotage und zum Teil sogar terroristischen Aktionen über.

Finanziert wurde die KgU, die ab Frühjahr 1951 als eingetragener Verein arbeitete, im wesentlichen von US-Geheimdiensten, vorrangig von der CIA. Es beteiligten sich aber auch offizielle Stellen der späteren BRD und des Berliner Senats sowie Privatpersonen. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte die Ford Foundation, eine US-amerikanische Privatstiftung. Enger Partner war von Beginn an der Radiosender RIAS. Neben regelmäßigen politischen Kommentaren von Ernst Tillich strahlte er ab Mai 1949 bis zum Spätsommer 1953 bis zu fünf Mal pro Woche eine sogenannte »Spitzelsendung« aus, in der die Namen von angeblichen »Spitzeln des SED-Regimes« verlesen wurden. Die als Warnung für die Bevölkerung veröffentlichten Namen wurden von V-Leuten (in ­Spitzenzeiten bis zu 600) zusammengetragen und an die KgU-Zentrale weitergereicht. Dies hatte durchaus einen psychologischen Effekt auf die öffentlich Denunzierten – eine Beeinflussung, die der Verein später mit der Verschickung von Drohbriefen noch weiter ausbaute.

Eine der ersten großen Aktionen der KgU außerhalb Westberlins war die »F-Kampagne«. Sie startete am Vorabend des 21. Juli 1949, dem fünften Jahrestag des gescheiterten Attentats von Wehrmachtoffizieren auf Hitler, und war lange Zeit das Aushängeschild der KgU, denn sie erreichte eine beachtliche Resonanz. Der Buchstabe »F« sollte für die Freiheit der in Ostdeutschland lebenden Menschen stehen und überall in der SBZ an Häuserwände geschrieben oder auf Flugblättern verbreitet werden. Sehr wirkungsvoll waren ab 1950 auch Flugblattaktionen mit Wetterballons, die mit Zeitzündern über dem Zielgebiet gezündet wurden. Mitte Juli 1958 kam es zum »Ballonunfall«: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte durch technische Manipulation erreicht, dass die Ballons zu viel Gas enthielten und viele bereits über Westberlin platzten. 300.000 Flugblätter, eigentlich für den in Ostberlin tagenden V. SED-Parteitag gedacht, landeten auf den Straßen Westberlins. Infolgedessen kam es auch zu Sachschäden, und eine Person wurde verletzt. Nach dieser Panne wurden der KgU von der CIA weitere »Ballonaktionen« untersagt.

Mit ihren Aktionen riskierte die KgU zum Teil auch das Leben Unschuldiger. Es gab versuchte oder missglückte Sprengstoff- und Brandanschläge, unter anderem gegen Überlandleitungen sowie Straßen- und Eisenbahnbrücken. Im September 1951 konnten Brandanschläge auf zwei Leipziger Kaufhäuser rechtzeitig erkannt und verhindert werden. Zum »Repertoire« der KgU zählte auch das Auslegen von Stinkbomben mit Buttersäure. Wegen solcher Aktionen, der teilweisen NS-Vergangenheit ihres »Personals« und ihres radikalen Antikommunismus stand die KgU im Fadenkreuz der Sicherheitsbehörden, Justiz und Propaganda der DDR.

Auf der Anklagebank

Im Mai 1952 fand in Ostberlin unter dem Vorsitz der späteren Justizministerin Hilde Benjamin vor dem Obersten Gericht der DDR einer der ersten Prozesse gegen Mitglieder der KgU statt. Angeklagt waren Johann Hans Burianek und sechs weitere Personen. Burianek gestand das Ausspionieren einer Eisenbahnbrücke bei Berlin-Spindlersfeld zur Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags auf die Zugverbindung zwischen Berlin und Moskau (»Blauer Express«). Der aber wurde nicht ausgeführt. Das Gericht wollte zunächst wegen der Nichtausführung der Tat eine Zuchthausstrafe von 15 Jahren verhängen. Dagegen aber intervenierte der SED-Chef Walter Ulbricht. So wurde Burianek zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung des Urteils erfolgte am 2. August 1952 in der damaligen zentralen Hinrichtungsstätte der DDR in Dresden durch das Fallbeil. 2005 wurde Burianek durch das Landgericht Berlin rehabilitiert.

Eine Zäsur war der 17. Juni 1953. Aus Sicht der Gegner der jungen DDR ereignete sich an diesem Tag ein »Volksaufstand«. Die offizielle Propaganda des Arbeiter- und Bauernstaates lautete: Es war ein »Putschversuch des Klassengegners«. Auslöser für die spontanen Streiks und Straßenproteste waren vordergründig politische Fehlentscheidungen der DDR-Führung (anhaltende Versorgungskrise und Normerhöhungen von zehn Prozent bei gleichem Lohn) sowie Kommunikationsversagen bei den Gewerkschaften. (Der Sekretär des FDGB-Bundesvorstandes Otto Lehmann propagierte noch die Richtigkeit der Normerhöhungen in der Gewerkschaftszeitung Tribüne, als diese schon wieder rückgängig gemacht worden waren.) Der Westen wurde von den Ereignissen mehr oder weniger überrascht und versuchte, die Gunst der Stunde für seine Ziele zu nutzen. Oder wie der damalige Leiter des Außenpolitischen Nachrichtendienstes der DDR, Markus Wolf, in seinen 1997 erschienenen Erinnerungen schreibt: »So gut wir alle wussten, dass die Ursachen hausgemachter Natur waren, so wenig ließ sich übersehen, dass agents provocateurs nach Ostberlin gekommen waren, um die Stimmung aufzuheizen.«

Historisch unstrittig ist, dass der RIAS, in Abhängigkeit von seiner Reichweite, die Proteste medial unterstützt hat, zum Beispiel durch das mehrfache Verlesen eines Streikaufrufs. 2006 bekannte der damals für den Sender tätige Egon Bahr (SPD) im Deutschlandradio-Kultur: »Weil der RIAS die Forderungen der Streikenden über den Äther schickte, hat sich der Aufstand überall im Land ausgebreitet.« Aber nur kurzzeitig, bis aus Washington das Stoppsignal kam. Der Chef des amerikanisch geführten Senders, Gordon Ewing, verbot die weitere Ausstrahlung: Der RIAS solle aufhören zu zündeln, oder wolle Bahr etwa den dritten Weltkrieg beginnen?

Trotzdem verlor die DDR-Führung zunehmend die Kontrolle über das Geschehen. Bis dahin hatten sich die in der DDR stationierten Einheiten der Roten Armee zurückgehalten. Nun wurden sie um »Hilfe« ersucht, und sie schlugen mit ganzer Härte zu. Mindestens 35 Aufständische wurden getötet. Hinzu kamen später noch mindestens 15 Hingerichtete bzw. in der Haft Verstorbene. Zu den Todesopfern zählten auch fünf Polizisten und Parteifunktionäre. Es folgten Tausende Verhaftungen und Verurteilungen.

»Agenten und Terroristen«

Der Historiker Enrico Heitzer ist zu dem Ergebnis gekommen, dass 1.072 Personen von Gerichten in der UdSSR und DDR wegen ihrer Verbindungen zur KgU verurteilt wurden. Mindestens 126 von ihnen hat man hingerichtet.¹

Ab dem Herbst 1953 fanden zahlreiche Gerichtsverfahren gegen »enttarnte Westagenten« statt, darunter auch welche mit Decknamen der KgU. Das Ziel dieser Schauprozesse war, die Verstrickungen des Westens propagandistisch nachzuweisen und gleichzeitig von den eigenen Fehlern abzulenken. Allein vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichtes Leipzig fanden von Ende September bis Mitte Dezember drei KgU-Prozesse statt. Angeklagt war im ersten Verfahren, wie die Leipziger Volkszeitung titelte, »Eine Bande von Agenten und Terroristen«, die im Zeitraum Herbst 1951 bis Juni 1953 für die KgU im Bezirk Leipzig tätig war, unter anderem auch in der Staatlichen sowjetischen Aktiengesellschaft (SAG) Brikett-Kombinat Espenhain. Die Verhaftungen erfolgten Ende Juni 1953. Das Gerichtsverfahren für eine Frau und sechs Männer aus Leipzig und Umgebung endete nach nur zwei Verhandlungstagen am 1. Oktober 1953.

Eine Einsicht in die Akten zeigt, trotz der Schwärzung personenbezogener Daten, wie die KgU gearbeitet hat. Überführt wurden die Angeklagten laut Gerichtsakten aus Westberlin durch etwa 3.000 »Hetzschriften« sowie 800 KgU-Klebezettel. Des Weiteren erstellten sie Namenslisten von Funktionären der SED und der Blockparteien. Sie verfassten Berichte über Betriebsstrukturen, die Versorgungslage der Bevölkerung, die Volkspolizei und die in der Region stationierten Truppenteile der Sowjetarmee. Es wurden Nummerierungen von Panzern sowie Kfz-Kennungen weitergegeben. Ebenso wurden Skizzen über die Zufahrtsstraßen zu Betriebsstätten und deren Bewachung angefertigt. Die Berichte an die KgU wurden mit »Geheimtinte« geschrieben. Ausspioniert wurden auch die Kapazitäten von Getreidemühlen. Daneben wurden auch Drohbriefe verschickt: Zu deren Frankierung nutzten die Angeklagten gefälschte Briefmarken mit dem Konterfei des Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck. Die Fälschung zeigte ihn mit einem Henkerstrick um den Hals.

Aus den Gerichtsakten geht hervor, dass die KgU die Spionagetätigkeit nur bescheiden honoriert hat. So gab es beim ersten Besuch in Westberlin zehn DM, später dreißig DM auf die Hand. Für die mehrjährige Zusammenarbeit waren dies bei einem der Angeklagten insgesamt 280 DM. Oft gab es aber auch Bohnenkaffee, Kakao oder Zigaretten als »Entschädigung«.

Die genannten Tätigkeiten wurden vom Gericht als schwere Verbrechen gegen die DDR, die Sowjetunion und den Weltfrieden gewertet. Dementsprechend hart fiel die Bestrafung aus: Alle Angeklagten wurden zu Zuchthausstrafen verurteilt. Der vermeintliche Kopf der Gruppe, ein Autoelektriker, Deckname »Tempo« bzw. »Triebe«, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Für seine Ehefrau lautete das Urteil zehn Jahre. Ein Lagerleiter einer Konsumgenossenschaft bekam eine Strafe von 15 Jahren. Das niedrigste Strafmaß mit acht Jahren erhielt ein Autoschlosser.

Drei weitere Mitangeklagte, die als Alleintäter gehandelt haben sollen, erhielten ebenfalls Haftstrafen: ein Zahnarzt, Deckname »Weißmann« bzw. »Theißmann«, lebenslänglich, der damalige Student der Veterinärmedizin Walter Schöbe, Deckname »Träger«, 15 Jahre, und ein ehemaliger Angehöriger der Abteilung Feuerwehr der Volkspolizei, Deckname »Ammer«, zwölf Jahre. Die ihnen zur Last gelegten Straftaten ähnelten denen der anderen Angeklagten. Hinzu kamen der Versuch, das Finanzsystem der DDR durch Fehlüberweisungen zu stören, sowie die Belästigung von Cafébesuchern in Leipzig durch das Werfen von »Stinkbomben«.

Der später vom Angeklagten Walter Schöbe unter anderem öffentlich in einem WDR-Dokumentarfilm von 1996² eingeräumte Besitz des tödlichen Giftes Kantharidin spielte seltsamerweise in der Urteilsbegründung keine Rolle. Das Gift sollte im »Ernstfall« sowjetische Soldaten »kampfunfähig« machen. Das bei ihm gefundene Gift kam zwar nicht zur Anwendung, es wurde aber vom MfS und der DDR-Propaganda wiederholt als Beweis für das terroristische Handeln der KgU verwendet.

1958 wurden die Strafen der Verurteilten des Leipziger Prozesses durch einen Gnadenerlass auf 15 Jahre Zuchthaus begrenzt bzw. um acht und sechs Jahre herabgesetzt. Wenig später fielen alle unter eine Amnestie. Walter Schöbe konnte sein Studium beenden und danach als promovierter Tierarzt in einer Leipziger Praxis arbeiten. Nach einem 1970 missglückten Fluchtversuch aus der DDR wurde er erneut verurteilt. Im Dezember 1974 kaufte die BRD ihn und seine Familie frei. Er studierte gemeinsam mit seinen Söhnen Humanmedizin und leitete später ein heilpraktisches Institut. Als aktives CDU-Mitglied trat er auf Veranstaltungen der Konrad-Adenauer-Stiftung als Zeitzeuge auf. Als der SED- und Staatsratsvorsitzende Erich Honecker 1987 zum Staatsbesuch in der BRD weilte, ließ Schöbe propagandistische Flugblätter drucken.

Im Jahre 1959 wurde die KgU wegen ihrer zunehmend negativen Wahrnehmung in der westdeutschen Öffentlichkeit, wie etwa nach dem beschriebenen Ballonunfall vom 15. Juli 1958 sowie kritischen Veröffentlichungen in Stern und Spiegel, nach einer Entscheidung ihrer amerikanischen und westdeutschen Unterstützer aufgelöst. Seitdem hält sich das Gerücht, dass sich CIA und BND die Aktensammlung und die noch nicht enttarnten V-Leute »brüderlich« geteilt hätten.

Freiheitliche Juristen

Im Oktober 1949 entstand eine weitere Organisation, die sich um das Sammeln von »Informationen aus der Ostzone« bemühte. Sie trug den harmlos klingenden Namen »Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen« (UfJ), wurde ebenfalls in Westberlin gegründet und in den ersten Jahren ausschließlich von der CIA finanziert. Ab 1960 war der alleinige Geldgeber das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. Mit Horst Erdmann (Deckname Dr. Theo Friedenau) stand bis 1958 eine schillernde Figur an der Spitze. Erdmann hatte eine NS-Vergangenheit und wurde vom MfS als Lügner und Hochstapler enttarnt.

Auch beim UfJ begann alles unter humanitären Vorzeichen: Unrechtshandlungen an Bürgern der DDR wurden erfasst, und in der UfJ-Zentrale in der Berliner Limastraße bot man Besuchern aus der DDR kostenlose Rechtsberatung an. Ferner führte der UfJ im Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde systematisch die Befragung von Tausenden DDR-Flüchtlingen nach ihren Fluchtgründen und Fluchtrouten durch. Wie auch von den Aktivisten der KgU wurden Listen mit den Namen mutmaßlicher Spitzel der DDR-Sicherheitsdienste erstellt und im Anschluss öffentlich über den Sender RIAS verbreitet. Auch Drohbriefe wurden verschickt. Damit begnügte sich der »Untersuchungsausschuss« aber nicht. Man interessierte sich auch für Großbaustellen, Flughäfen, Truppenübungsplätze und Informationen aus der DDR-Industrie.

Die CIA schätzte Ende 1954 die Zahl der aktiven V-Leute des UfJ auf rund 2.000. Allein in den ersten zehn Jahren erfasste der UfJ in einer sogenannten Belasteten- bzw. Beurteilungsdatei rund 100.000 DDR-Bürger mit gesellschaftlichen Funktionen. Westdeutsche Behörden beauftragten auf dieser Grundlage den UfJ tausendfach mit der Erarbeitung von sogenannten Personalgutachten – eine Art »Überprüfung« von DDR-Flüchtlingen, die sich für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst beworben hatten. Der UfJ war, wohlgemerkt, eine private und keine staatliche Organisation.

Das MfS stufte den UfJ als Diversions- und Spionageorganisation ein und bekämpfte ihn mit aller Härte. Einer der bekanntesten Fälle ist Walter Linse. Er wurde am 8. Juli 1952 vom MfS nach Ostberlin entführt, an den KGB übergeben und schließlich im Dezember 1953 in Moskau hingerichtet. In der Jelzin-Ära wurde er am 8. Mai 1996 als politisches Opfer rehabilitiert. Im Juli 2007 schrieb der Förderverein der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen einen mit 5.000 Euro ausgelobten »Walter-Linse-Preis« aus. Gleichzeitig wurde seine NS-Vergangenheit als Beauftragter für die Arisierung jüdischer Unternehmen bei der IHK Chemnitz bekannt. Nach einer kontroversen und seine Verantwortung bei der Ausplünderung der Chemnitzer Juden verharmlosenden Diskussion wurde der Preis Ende 2007 in »Hohenschönhausen-Preis zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur« umbenannt.

Der eigenständige Status des UfJ endete erst am 25. Juni 1969. Es erfolgte die Übernahme in das neugegründete »Gesamtdeutsche Institut« der Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (BfgA). Unterstellt war es dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. Auch nach dieser Verstaatlichung der Informationsbeschaffung hielt das MfS die Einordnung als »Agenten- und Diversionszentrale« aufrecht. Die nun unter dem Dach einer Anstalt des öffentlichen Rechts gesammelten Informationen wurden bis zur Auflösung des Instituts im Dezember 1991 von westlichen Geheimdiensten angefragt. In dieser Zeit hatten kritische Veröffentlichungen des Spiegel, der etwa dem Verdacht der politischen Säuberung in den Reihen des Instituts nachging, längst nicht mehr die Wirkung wie in den 1950er Jahren in Bezug auf den KgU.

Die Aktivitäten der KgU und des UfJ sind im Kontext der US-amerikanischen und britischen »Liberation Policy«, später »Rollback«-Politik genannt, zu sehen. Sie hatte das Ziel, die unter dem Einfluss der Sowjetunion stehenden osteuropäischen Länder durch dort zu organisierende bewaffnete Widerstandsbewegungen zu »befreien«. Der UfJ, der offiziell als eine deutsche Menschenrechtsorganisation agierte, war in diesem Getriebewerk ein Teil der Informationsbeschaffung, einschließlich der Rekrutierung und Führung von »Mitarbeitern«.³

Anmerkungen

1 Vgl. Enrico Heitzer: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948–1959. Köln 2015, S. 421

2 Der 1996 von Erika Fehse für den WDR gedrehte Dokumentarfilm »Mit Bomben, Gift und Reifentötern – Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« zeigt nicht nur die ganze Bandbreite und Problematik des Wirkens dieser Organisation. In ihm kommen auch damals noch lebende ehemalige KgU-V-Leute zu Wort. Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=EGxz_CCabsA

3 In den von Ronny Heidenreich 2023 herausgegebenen drei Bänden über den 17. Juni 1953 finden sich zahlreiche Berichte von V-Leuten des UfJ. Dort ist auch zu lesen: »Gesichert ist, dass 1955 die Kartei der beim UfJ registrierten V-Leute als Sicherungskopie an die CIA abgegeben wurde und dort möglicherweise noch vorhanden ist.« Ronny Heidenreich (Hg.): Der 17. Juni 1953. Berichte über den Volksaufstand aus Ostberlin und Bonn, Bundesarchiv 2023, https://kurzlinks.de/17Juni

Werner Fritz Winkler schrieb an dieser Stelle zuletzt am 10. Juni 2025 über die Geschichte des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes: »Über den Betriebsrand hinaus«

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralph D. aus Gotha (9. August 2025 um 21:04 Uhr)
    Die KgU und der UfJ stellten eine ernsthafte Bedrohung für die junge DDR dar. Die Tätigkeit beider Organisationen zielte darauf ab, den Arbeiter- und Bauernstaat zu schwächen und in seiner Existenz zu gefährden. Dabei nahm man auch billigend in Kauf, dass bei geplanten Terroraktionen Menschen zu Schaden kommen. Das darauf mit Konsequenz, auch auf juristischer Ebene, reagiert wurde, ist mehr als nachvollziehbar. Die Klassenauseinandersetzung während des Kalten Krieges war nicht ohne Grund ein hart umkämpftes Feld. Ralph Dobrawa, Gotha

Ähnliche:

  • Bloß nicht die falschen Sender hören. Warnschild vor dem sowjeti...
    05.08.2023

    Auftrag: Antikommunismus

    Serie. Klassenkampf im Äther – 100 Jahre Rundfunk in Deutschland. Teil 8: Im Kalten Krieg funkten die Westsender in die »Zone«. Die DDR sendete zurück
  • Nicht aus der Übung gekommen: Auf der Westberliner Seite des Bra...
    21.06.2023

    Alter Hirsch im Blauhemd

    Der harte Kern der Antikommunisten: Anmerkungen zu einem »Volksaufstand«. Zur Junikrise 1953 in der DDR (Teil 2)

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro