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Den Eiderenten auf der Spur Wirtschaft als das Leben selbst. Von Helmut Höge

Von Helmut Höge
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Vor zwei Jahren schrieb ich an dieser Stelle über den englischen »Finanzanalysten« Edward Posnett, der ein »Naturanalyst« wurde, also quasi die Seiten wechselte, indem er der Frage nachging: Gibt es auch eine Kommerzialisierung der Natur ohne Ausbeutung? 2020 veröffentlichte er darüber ein Buch mit dem Titel »Die Kunst der Ernte«. Er studierte dazu in Asien die Warenproduktion von essbaren Vogelnestern und Katzenkaffee, auf Sardinien Muschelseide, in Südamerika die Vikunjafaser, die Taguanüsse, den Guanodünger auf einer Vogelinsel und auf Island die Eiderdaunen. Das alles in kulturhistorischer Absicht, aber auch mit Sympathie für seine sieben »Gegenstände«, die bis auf die Früchte der Taguapalme alle von Tieren stammen. Bei den Eiderdaunen kam Posnett der nichtausbeuterischen Verwertung am nächsten.

Die Eiderenten brüten auf den Ländereien der Eiderbauern und manchmal sogar in ihren Häusern. Die Bauern warten, bis die Eiderentenjungen ihre Nester verlassen haben. Dann sammeln sie die Daunen darin ein. Für ein Kilo müssen sie 60 Nester leeren, die Daunen werden von ihnen getrocknet und gereinigt, um Schmutz und Seetang zu entfernen – und dann an einen Zwischenhändler verkauft. »Die Beziehung zwischen den Menschen, die die Daunen ernten, und den Eiderenten ist von unwiderstehlicher Schlichtheit: Kümmert sich ein Mensch um diese Tauchenten, kommen immer mehr zum Nisten und erhöhen somit die Daunenmenge, die ihr menschlicher Beschützer einsammeln kann.«

Diese schöne Wirtschaftsweise hat nur einen unschönen Aspekt: Die Eiderbauern müssen Füchse von den brütenden Enten fernhalten und veranstalten Treibjagden auf sie. Posnett erfuhr von einem Bauern, dass die Norweger einst ebenfalls entlang ihrer Küste Eiderdaunen »geerntet« hätten, »aber mit der Entdeckung des Erdöls in der Nordsee begannen die Menschen sich aus abgelegenen Küstengebieten zurückzuziehen. Die Eiderenten wollten mit, weil sie sich von den Menschen beschützt fühlten. Sie wollten lieber mit Katzen und Hunden zusammenleben als mit Seemöwen.«

Posnett glaubte ihm und recherchierte nicht auch noch in Norwegen. Dort gibt es jedoch noch immer einige Eiderbauern oder vielmehr Eiderbäuerinnen – auf den kleinen Inseln eines Archipels auf halber Höhe der Küste in der Region Helgeland, gleich unterhalb des Polarkreises. Jede Insel gehört einer Familie von Fischern und Eiderbäuerinnen. Auf der Hauptinsel Vega erfuhr der englische Schäfer James Rebanks davon. Er lebt im Lake District im Nordwesten Englands. Die Kargheit der Landschaft hat diese vor der Privatisierung gerettet, denn heute ist sie die wahrscheinlich größte Allmende Westeuropas. 2016 veröffentlichte er ein Buch: »Mein Leben als Schäfer«. Auch die Inseln der norwegischen »Entenfrauen« sind eine Weltkulturerbestätte. Eine besuchte er, Anna. »Sie führte mich durch das Gras zu den von ihr gezähmten Eiderenten, die in einer Reihe wackeliger Hühnerställe, Scheunen und ehemaliger Kuhställe in weichen, grauen Nestern saßen.« Auf ihrer Insel gab es nur einen Baum.

Er hat über sie ein Buch geschrieben, das Ende des Monats auf deutsch erscheint: »Insel am Rand der Welt«. Darin schreibt er: »Auf der Insel hatte ich das Gefühl, einer Person begegnet zu sein, die ihr Leben nach eigenen Bedingungen gestaltet hatte. Im Gegensatz zu mir, wie ich allmählich begriff. (…) Die Verzweiflung verfolgte mich, kam mir nach Hause hinterher. Ringsumher ging alles zuschanden.« Aber in der alten Anna »war etwas lebendig gewesen, das in mir erstorben war. Ich hatte es ihren Augen angesehen. Ihr Leben war eine einzige Rebellion gegen alles Moderne gewesen.« Sieben Jahre verstrichen, dann schrieb er ihr, ob er »sie besuchen, ihre Arbeit kennenlernen, eventuell über sie schreiben dürfe«.

Während Posnett die isländischen Eiderentenbauern interviewte und in Vergangenheit und Gegenwart beschrieb, sicherte sich Rebanks seinen Lebensunterhalt bei Anna, indem er ihr half: Die alten Nester mussten weggeräumt und dann neue gebaut werden. Über 300 mit getrocknetem Seetang in etwa 100 Behausungen oder »Hütten«, die bei den Enten beliebt waren: »Das Dunkel darin schenke ihnen ein Gefühl von Geborgenheit und das Meer sei in erreichbarer Nähe«, erfuhr Rebanks. Wenn dann die Eiderentenweibchen auf die Insel kamen, um zu brüten, musste man sie beschützen: Zwar gab es dort keine Füchse, aber Nerze, Adler, Raubmöwen, Raben und Otter. Und man musste wie die Enten den Stürmen und dem Regen trotzen.

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