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Aus: Ausgabe vom 12.08.2025, Seite 11 / Feuilleton
Museumslandschaft

Sanfte Rache

»Spring is Rebellious«: Eine Ausstellung in Kapstadt über die Biographie von Albie Sachs und den Befreiungskampf in Südafrika und Mosambik
Von Christian Selz
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Albie Sachs im Juli 1988 in London

Was ist Befreiung? Was bedeutet Rache? Und welche Rolle spielt die Kultur im Kampf gegen Unterdrückung? Albie Sachs – Anwalt, Veteran des Freiheitskampfes in Südafrika und Mosambik und nach dem Ende der Apartheid Richter am Verfassungsgericht in Johannesburg – hat diesen zentralen Fragen seines Lebens eine Ausstellung im Zeitz Museum of Contemporary Art Africa in Kapstadt gewidmet. Die Exponate stammen teils aus seiner eigenen Sammlung, teils hat er sie den Robben Island Mayibuye Archives der Kapstädter University of the Western Cape vermacht, teils kommen sie aus der von Sachs mitgeprägten Kunstausstellung des Verfassungsgerichts. Mit ihnen zeichnet die Ausstellung zugleich die Lebensgeschichte des nunmehr 90jährigen als auch die Geschichte der Befreiungskämpfe nach, mit denen er eng verbunden war. Visualisiert wird diese Verbindung durch drei miteinander verschlungene Zeitstranggrafiken im dritten Raum.

Auf dem Weg dorthin sind die Besucher bereits in die Aufbruchsstimmung und die Schwermut Mosambiks zwischen Unabhängigkeit und Krieg sowie in die Brutalität des Apartheid-Südafrikas eingetaucht. Während der Mosambik gewidmete Raum mit Skulpturen von Alberto Chissano und Govane sowie Bildern von Malangatana, Matias Ntundu oder Luís Soares vor allem das Leben der einfachen Bevölkerung, Klassengegensätze und Entbehrungen des Kampfes zeigt, herrscht im zweiten Raum fast vollständige Dunkelheit. Auf einer kleinen Plattform im ehemaligen Ansaugschacht – das Museum ist in einem umgebauten Getreidesilo untergebracht – erklingt von den Betonwänden hallend das leise Pfeifen einer Melodie. Antonín Dvořáks »Going Home« aus der »From the New World«-Sinfonie. Dieses Pfeifen eines anderen Insassen war das einzige Schöne, das Sachs während seiner Zeit in der Isolationshaft des Apartheidregimes hören konnte. Sachs war anschließend ins Exil nach Großbritannien gegangen, stellte dort seine Doktorarbeit fertig und ging 1977 als Juraprofessor nach Mosambik.

Wie sehr der Kampf gegen die rassistischen Unterdrücker, die auch in Mosambik maßgeblich den Terror der konterrevolutionären Renamo gegen die junge Frelimo-Regierung befeuerten, Sachs geprägt hat, ist schon physisch offensichtlich. Infolge eines Autobombenanschlags des südafrikanischen Geheimdienstes in Mosambik verlor er 1988 einen Arm und ein Auge. »Der beste Tag in meinem Leben war der, an dem ich in die Luft gesprengt wurde«, schleudert Sachs dem verdutzten Publikum bei der Ausstellungseröffnung entgegen. Denn dieser Moment habe ihm jede Sorge genommen, was passieren würde, wenn das Regime es auf ihn abgesehen hat. »Sie haben versucht, mich umzubringen, aber ich habe nur einen Arm verloren«, schreibt Sachs auch im Programmheft.

Der Aktivist und Jurist aus kommunistischem Elternhaus, der seinen Namen vom Gewerkschaftsführer Albert Nzula hat, zog aus der Freude über sein Überleben die Kraft für den Kampf um Gerechtigkeit. »Sanfte Rache« (Soft Vengeance) nennt er seinen Ansatz. Noch im Krankenhaus erhielt Sachs damals die Botschaft eines Genossen, der Vergeltung für sein Leid ankündigte. Sachs lehnte damals wie heute ab. »Wenn wir die Freiheit bekommen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit – dann wird das meine sanfte Rache sein«, habe er schon damals gesagt. »Wenn man seinem Gegner auch einen Arm abschneidet, nur weil man jetzt der Stärkere ist, dann bedeutet das, dass man auf sein Niveau gesunken ist.«

Sachs ist nicht gesunken. Sobald es ihm nach dem Attentat wieder möglich war, begann er an der Verfassung für ein demokratisches Südafrika zu arbeiten. Als mit der Aufhebung des Verbots des African National Congress (ANC) und der mit ihm verbündeten South African Communist Party (SACP) 1990 der Übergangsprozess zum Ende der Apartheid begann, kehrte Sachs umgehend in sein Geburtsland zurück. Er arbeitete im Nationalen Exekutivkomitee, dem höchsten Gremium des ANC, und wurde 1994 von Nelson Mandela als Richter ans Verfassungsgericht berufen, wo er bis 2009 diente. Dieser Zeit, dem Übergang zur Demokratie, ist der vierte Raum gewidmet, benannt nach seinem wohl berühmtesten Aufsatz: »Preparing Ourselves for Freedom«. Die Kritiken seines Papiers wurden damals in einem Buch zusammengefasst, dessen Titel nun auch Name der Ausstellung ist: »Spring is Rebellious«.

Sachs ist bis heute Visionär und Pragmatiker zugleich. Exemplarisch ist eine Anekdote, die er aus seiner Studienzeit erzählt. Er gehörte damals zur Modern Youth Society, deren Namen er heute wie folgt erklärt: »Wir konnten uns wegen des Gesetzes zur Unterdrückung des Kommunismus nicht ›sozialistisch‹ nennen, also haben wir uns modern genannt.« Die Revolution bleibt für ihn ein Prozess. In Südafrika sieht der ANC-Veteran nicht zuerst die Probleme, die er offen anspricht, sondern das Erreichte und die Chancen. Die Kunst ist für ihn nicht bloße Waffe des selbstredend anhaltenden Kampfes für eine gerechtere Gesellschaft, sondern die Künstler sind Teil davon. »Man kann die Frage stellen, warum man Geld für Kunst ausgibt, wenn es Hunger gibt«, erklärt Sachs zu Beginn des Rundgangs durch die Ausstellung. »Aber wollen Sie sagen, dass die Armen keine Schönheit wollen? Die Armen brauchen in ihrem Leben mehr Schönheit als die Reichen.«

»Spring is Rebellious: The Art & Life of Albie Sachs«, Zeitz Museum of Contemporary Art Africa, Kapstadt, bis 23. August

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