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Aus: Ausgabe vom 11.08.2025, Seite 10 / Feuilleton
Museumslandschaft

Die Stadt in Schwarz und Weiß

Eine Freiluftausstellung über Leben und Werk des Jahrhundertdesigners Otl Aicher
Von Florian Osuch
Pavillon Otl Aicher biografisches.jpg
Biographisches zu Otl Aicher auf der Freilichtausstellung »allgäu schwarzweiss« in Wangen im Allgäu

Auf dem Gelände der Landesgartenschau in Wangen im Allgäu erinnert ein Pavillon mit der Freilichtausstellung »allgäu schwarzweiß« an Otto Ludwig »Otl« Aicher. Der Künstler war einer der bedeutendsten deutschen Designer des 20. Jahrhunderts. Aicher war ein herausragender Grafikdesigner, der maßgeblich zur Entwicklung der visuellen Kommunikation beigetragen hat. Die Sportpiktogramme beispielsweise, die er für das Erscheinungsbild der Olympischen Spiele in München 1972 entwickelte, sind dank ihrer Abstraktion und Modernität bis heute prägend.

Am 13. Mai 1922 in Ulm geboren, begann Aicher seine Ausbildung unter schwierigen Bedingungen: Als Gegner des deutschen Faschismus verweigerte er den Beitritt zur Hitlerjugend und wurde deshalb mehrfach inhaftiert. Seine Freundschaft zur Familie Scholl, darunter auch zu Hans und Sophie Scholl von der Widerstandsgruppe »Weiße Rose«, prägte ihn tief.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs studierte er Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München, wandte sich aber bald dem Grafikdesign zu. Ein bedeutender Wendepunkt in Aichers Leben war 1953 die Gründung der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm, gemeinsam mit Max Bill und seiner späteren Ehefrau Inge Scholl, der älteren Schwester von Hans und Sophie Scholl. Die HfG Ulm setzte als eine der bedeutendsten Designhochschulen der Nachkriegszeit die Tradition des Bauhauses fort. Aicher prägte als Dozent und Gestalter das moderne Verständnis von Design als funktionale, soziale und kulturelle Aufgabe. Die Schule sollte mithelfen, ein neues, demokratisches Deutschland zu formen, in dem Bildung, Gestaltung und Aufklärung zentrale Rollen spielen. Aicher sah Design nicht als bloße Formgestaltung, sondern als gesellschaftliche Aufgabe – es solle orientieren, aufklären und das Leben der Menschen verbessern. An der HfG entwickelte er unter anderem visuelle Systeme und Piktogramme, die heute weltweit als Standard gelten. Besonders berühmt wurden die von ihm zusammen mit einem 40köpfigen Team entwickelten Piktogramme zur Orientierung auf dem Olympiagelände in München 1972, die bis heute weltweit als Vorbild für Leitsysteme dienen.

In den späten 1970er Jahren zog Aicher nach Rotis, einem kleinen Weiler in der Nähe von Leutkirch im Allgäu. In der »autonomen republik rotis« gründete er ein interdisziplinäres Gestaltungsbüro und zog weitere kreative Köpfe an. Als politischer Mensch war Aicher entschiedener Gegner der Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen in Europa. Er engagierte sich öffentlich gegen den NATO-Doppelbeschluss. Aicher war überzeugt, dass Frieden nur durch Verständigung, nicht durch Waffen erreicht werden könne. Seine pazifistische Überzeugung brachte er auch gestalterisch zum Ausdruck. Für die Friedensbewegung gestaltete er Plakate für Ostermärsche. Sein »Nein«-Motiv für einen Aktionstag mit einer Volksversammlung und einer Menschenkette vom Europäischen Kommando der US-Streitkräfte in Stuttgart (»Eucom«) bis zu einem US-Stützpunkt in Neu-Ulm im Oktober 1983 ist eine typografische und gestalterische Meisterleistung.

Aicher positionierte sich auch offen gegen Atomkraft und für eine nachhaltige, aufgeklärte Lebensweise. In den letzten Lebensjahren in Rotis arbeitete er bewusst zurückgezogen, aber nicht apolitisch. Am 1. September 1991 starb Otl Aicher an den Folgen eines Verkehrsunfalls.

Die Ausstellung »allgäu schwarzweiß« verbindet»« biografische Daten mit Aichers wegweisenden gestalterischen Arbeiten und seinem politischen Wirken. Der offene Pavillon ist einer der wenigen Bauten, die in Wangen nach dem Ende der Landesgartenschau 2024 erhalten geblieben sind.

»allgäu schwarzweiß« im aichermagazin, Auwiesengarten (Zugang über Schwester-Melania-Straße), Wangen im Allgäu, frei zugänglich

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