Wellenbruch mit Ansage
Von Norman Philippen
Einen weiten Weg nahm ab 2008 Nathan Williams mit seinen Wavves. Seit er im »Hideaway« getauften Kabüffchen hinterm elterlichen Hause in San Diego im Duo (Gitarre/Gesang plus Schlagzeug) die scharf übersteuerten und schäbig unterproduzierten Alben »Wavves« (2008) und »Wavvves« (2009) und schließlich als Trio »King of the Beach« (2010) bastelte, verzeichneten die Wellen tendenziell steigenden, wenn auch nicht kometenhaften Tidenhub – weil das erstens nicht geht und zweitens zu mehr wohl auch das Wasser immer mal wieder zu hoch am Halse stand. Wegen anderer Flüssigkeiten bzw. vieler bunter Smarties und so. Aber, immerhin, vierundzwanzigstbestes Album 2010 laut dem Onlinemusikmagazin Spin, fünfzigstbestes für Pitchfork. Da hatte Williams einen live performten Zusammenbruch schon hinter sich. Fans wie Fortüne und offenbar auch Familie blieben ihm und den Wavves aber treu, deren nun neuntes Album »Spun« abermals im »Hideaway« hinterm Elternhause produziert wurde. Und doch so ganz anders klingt als der Wavves Lo-Fi-Low-Life-Sommerpartys der Saisons 2008 ff.
Hätte ich eine Tochter, die fragen würde: »Duhu, unpeinlichster Daddy der Wehelt, der X^6-Alpha_B aus der 6 c, und der ist super [unverständliches Wort], meiheint, die Music zwischen Nirvanana und dem Break von Bling-821, die war [unverständlich], nur hat das keiner von euch gecheckt, weil ihr hattet ja kein Tik Tok ja, und ja, genau, wie war denn die am Ende des Tages? Die Music, mein ich?« Könnte ich meinen: »Hör mal rein in die Neunte vonnen Wavves, die kommt da ziemlich nah ran. Also, wenn man jetzt den ganzen Pop-Punk, Grunge/Indierock der 90er und 0er nähme und in eine Musik-KI gösse mit dem Befehl ›Smoothe Melange daraus mixen, KI, aber bitte nicht so inspiriert‹ – dann käme in etwa ›Spun‹ von den Wavves raus. Wobei ich bezüglich der hallend prätentiösen Patina, die über dem Ganzen liegt, schon auch eine gewisse Ironie …« – »Schon gut, Diggen, ich küsse deine Augen, Old Man«, würde Mia-Hannah dann sagen, ins Kinderzimmer hüpfen und ihrer Besti schreiben, dass sie sich die Wavves nicht anhören soll – »Baba findet die gut, die sind bestimmt kacke cringe.«
Dabei stimmt das gar nicht. Hätte das Gör mich ausreden lassen, wüsste es das. Aber was reg ich mich auf. Habe ja gar keine Tochter, dafür aber Zeit, »Spun« ein zweites Mal zu hören und wieder zu denken, dass an diesem Album eigentlich nur der Titel für mich stimmt. Denn was hier an schon damals musikalisch meist unspannendem versponnen wurde, übertrifft dessen Neuaufguss noch in Sachen unambitionierter Glätte.
Statt frischer Impulse oder seit damals transformierter Songstrukturen bekommt man hier einen Sound serviert, der sich wie ein todmüder Abklatsch des Pop-Punks/Indierocks der 1990er und 2000er Jahre und ungefähr so aufregend wie Weezer damals anhört. Die Melodien vorhersehbar, die Akkorde ausgelutscht, die – vom Blink-182-Drummer Travis Barker besorgte – Produktion so gebügelt, dass jeder Rest von Lo-Fi-Charme, den Wavves einst auszeich-nete, passe ist. Eine Entwick-lung, die sich seit der Band Wellenkamm »Afraid of Heights« (2013) fortsetzte.
»Wavves’ ›Spun‹ feels like a half-hearted attempt to cash in on nostalgia, offering little more than recycled riffs and tired hooks«, meint Pitchfork dazu heuer und bringt es gut auf den Punkt. Das tut allerdings auch Nathan Williams selbst im Song »Wasted on You« – »Nothing ever changes, I keep making the same mistakes.« Eine Zeile, die nicht nur auf den Protagonisten des Songs, sondern auf das gesamte Album zutrifft, dem es an allem fehlt, was Wavves einst interessant machte.
Nicht, dass nicht schon die ersten Zeilen des Openers eines der Grundprobleme benennt: »There’s no scene, now the party is over / And the kids are up with more burden to shoulder«, kumpelt Williams da die Kids an, deren Bürden er zu teilen scheint. Songs über Teenage Angst, FOMO und die teenagertypische ewige Kapitulation vor der eigenen Trägheit sollte der 37jährige Gleichaltrige zukünftig vielleicht einfach den Kids selbst überlassen. Es ist das Vorrecht der Jugendlichen, dass sie nicht wissen müssen, dass Wavves’ »Spun« der musikalische Beweis dafür ist, dass Nostalgie alleine keine guten Songs schreibt – und dass uninspirierter Pop-Punk auch 2025 noch genauso langweilig klingen kann wie seine schwächeren Vorbilder von einst.
Wavves: »Spun« (Many Hats Dist)
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