»Beißreflex« gegen Hotz
Von Kristian Stemmler
In seiner Geschichte habe Deutschland viele Fehler begangen, aber ja immerhin gelernt – »wir begehen keine Völkermorde mehr, sondern unterstützen sie nur noch«. So wie dieser Tweet zum Thema Gaza beim Kurznachrichtendienst X sind die meisten Posts des Satirikers »El Hotzo«, bürgerlich Sebastian Hotz, in den sozialen Medien. Sarkastisch, drastisch, links. Vermutlich wegen dieser politischen Ausrichtung verfolgt die Berliner Staatsanwaltschaft Hotz unnachgiebig. Am Dienstag veranlasste dieses Vorgehen den Deutschen Journalistenverband (DJV) zu einem dringenden Appell an die Justizbehörden, »der Satirefreiheit Geltung zu verschaffen«.
Auf Zinne gebracht hatte die Gewerkschaft die Ankündigung der Staatsanwaltschaft in der vergangenen Woche, gegen einen Freispruch des Satirikers Rechtsmittel einlegen zu wollen. Das Amtsgericht Tiergarten hatte »El Hotzo« zuvor vom Vorwurf der Billigung von Straftaten freigesprochen. Das Gericht wertete zwei Tweets von Hotz bei X zum Attentat auf US-Präsident Donald Trump als »straflose Satire«. Dass die Staatsanwaltschaft schon vor Bekanntgabe der schriftlichen Urteilsbegründung »laut über Rechtsmittel nachdenkt«, das sei »mehr ein Beißreflex als ein juristisch wohlbegründetes Vorgehen«, kritisierte der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster.
Der Anlass des Vorgangs liegt ein Jahr zurück. Mitte Juli 2024 hatte in Pennsylvania ein Attentäter bei einer Veranstaltung auf Trump geschossen und ihn am rechten Ohr getroffen. Ein Besucher kam ums Leben, zwei weitere wurden verletzt. Der Täter wurde von Sicherheitskräften getötet. Kurz nach dem Anschlag fragte Hotz bei X rhetorisch, was Trump und »der letzte Bus« gemeinsam hätten – Antwort: »Leider knapp verpasst«. In einem zweiten Tweet legte er nach: »Ich finde es absolut phantastisch, wenn Faschisten sterben.«
Die Beiträge löschte Hotz relativ schnell, doch ersparte ihm das nicht den Shitstorm im Internet. Der Techmilliardär Elon Musk, der zu der Zeit Trump noch unterstützte, beschwerte sich über seine Plattform X beim damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki rief bei X nach dem Staatsanwalt. Der öffentlich-rechtliche RBB beendete die Zusammenarbeit mit dem Satiriker beim Jugendradiosender Fritz. Und es gab etliche Strafanzeigen gegen Hotz.
Die Berliner Staatsanwaltschaft erhob Anklage, doch das Amtsgericht Tiergarten lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens »mangels strafbaren Verhaltens« ab. Dagegen wiederum legte die Anklagebehörde mit Erfolg Beschwerde beim Landgericht Berlin ein. So kam es zur Hauptverhandlung, in der die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von 6.000 Euro forderte. Die Posts fielen unter die »Hasskriminalität« und seien wegen ihrer Breitenwirkung – Hotz hat rund 740.000 Follower auf X – geeignet, »den öffentlichen Frieden zu stören«. Es werde ein Klima geschaffen, »in dem Attentate auf Politiker gedeihen können«, so die Strafverfolger.
Die Vorsitzende Richterin Andrea Wilms sah das anders. Bei den Posts von Hotz handele es sich um eindeutig erkennbare und straflose Satire, auch wenn die Äußerungen »geschmacklos« seien, erklärte Wilms in der mündlichen Urteilsbegründung. Man müsse »sich streiten können über gute und schlechte Meinungen«, so die Richterin weiter. Um »Belohnung und Billigung von Straftaten« handele es sich bei den Tweets jedenfalls nicht. Der öffentliche Friede sei nicht gestört worden.
Dass die Berliner Staatsanwaltschaft den Freispruch des Satirikers nicht akzeptiert, ist für den DJV-Vorsitzenden Mika Beuster nicht nachvollziehbar. Es sei »paradox«, kritisierte er am Dienstag. Einerseits herrsche über Postings von »El Hotzo« und Äußerungen des Satirikers Jan Böhmermann im TV große Aufregung. »Andererseits bleiben Schmähungen, Beleidigungen und Hasskommentare auf Social Media im großen und ganzen folgenlos«, so Beuster. Das passe nicht zusammen. Die Justiz solle »sich stärker mit den gesellschaftlichen Auswirkungen öffentlicher Äußerungen« auseinandersetzen: Das gelte insbesondere für politisch motivierte Posts von Influencern.
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