Das heilige Getränk
Von Marc Hieronimus
Ein Buch über Bier. Noch dazu ein Comic, also mehr Bilder als Text. Das ideale Geschenk für den einen Onkel, der im Buchregal nur VHS-Kassetten und den Shell-Atlas, in der Garage aber immer ein kleines Vermögen an Leergut stehen hat? Dafür ist das Buch zu gut und der Onkel zu tot. Der Zeichner Lucas Landais leistet auf den 200 Seiten (zuzüglich Glossar und Literaturverzeichnis) hervorragende Arbeit.
Es ist keine kleine Aufgabe, handwerkliches Handeln und Gerät, Kleidung, Haarmoden, Behausung usw. aus der gesamten jüngeren Menschheitsgeschichte auf allen Kontinenten darzustellen, immer wieder auflockernd illustriert durch Karten, Grafiken, Ornamente, Nahaufnahmen und andere Brüche in der Seitengestaltung. Die verhältnismäßig großen, sehr atmosphärisch kolorierten Panels machen mit ihrem Bildwitz und Detailreichtum die Lektüre auch ohne begleitende Hopfenkaltschale zum Vergnügen.
Der Szenarist Benoist Simmat hat die zwar nicht »unglaubliche«, aber sehr erstaunliche und spannende Geschichte des Biers für Landais comicförmig aufbereitet und gründlich recherchiert. Um große Worte ist er nicht verlegen. Das Bier, schreibt er in der Einleitung, habe »der Menschheit einen Quantensprung ermöglicht«, sei ein »heiliges Getränk«. Da wird ihm kaum ein Suffkopp widersprechen. Die ältesten Spuren des Brauhandwerks stammen aus dem Jahr 15.000 v. u. Z. Damit ist Bier älter als Wein, dessen Geschichte Simmat in einem anderen Comic nachgeht.
Einige der ältesten Schriftzeugnisse überhaupt sind Bierrezepte. In Uruk, südöstlich von und älter als Babylon, wurde Sikaru (wörtlich für »flüssiges Brot«) vorwiegend von Frauen hergestellt und mit Honig und Früchten versetzt. Sogar eigene Trinkgefäße gab es schon. Egal ob später in Ägypten, Japan, Nordeuropa oder im präkolumbianischen Amerika: Überall, wo es Brot gab, wurde auch Bier hergestellt und mit allerlei Kräutern und Früchten verfeinert.
Halbgebildete Trinker fachsimpeln gerne, dass das Pils aus Plzeň früher Bilsenkraut enthalten habe. Tatsächlich hat der Name des Nachtschattengewächses nichts mit der tschechischen Großstadt zu tun, es wurde aber und wird zum Teil wieder zum Brauen verwendet. Der »Verlag für die Getränkeindustrie« Birkner schreibt auf seiner Seite über dessen Wirkung: »In geringer Dosis berauscht ein mit Bilsenkraut gebrautes Bier; in mittleren Dosen aphrodisiert es. In höheren Dosen kommt es zu Verwirrung und Gedächtnisstörungen und in Überdosierungen wirkt Bilsenkraut tödlich.« Soweit wie Alkohol also. »Bilsenkraut hat jedoch noch eine, für den Schankwirt sehr profitable Nebenwirkung: Die Alkaloide (Scopolamin, Atropin) bewirken nämlich eine starke Austrocknung der Schleimhäute. Bilsenkrautbier ist also das einzige Getränk, von dem man immer durstiger wird, je mehr man davon trinkt …«
Einige Fassungen des Reinheitsgebots verbieten es ausdrücklich, dabei mischte man früher noch vieles andere und zum Teil Gefährlicheres ins Bier wie Sumpfporst, Tollkirschen, Wermut und Schlafmohn. Mit der Beschränkung auf Gerste, Hopfen und Wasser wurden aber vor allem die wertvolleren Getreidesorten Roggen und Weizen ausgeschlossen, die also den Bäckern vorbehalten blieben. Es mag auch um Wettbewerbsvorteile gegangen sein.
Andere Biere wurden mit sogenannten Grutkräutern gebraut, die in Bayern nicht wachsen, darunter neben besagtem Porst vor allem Gagel, aber auch Schafgarbe, Heidekraut, Beifuß, Rosmarin, Thymian, Salbei, Lorbeer, Mädesüß, Anis, Kümmel, Wacholder, Koriander und Fichtensprossen. Hopfen wurde erst recht spät dem Gerstensaft beigesetzt und diente als bescheidener Ersatz für die beliebten Kräutermischungen. Über deren Zusammensetzung würde man im Comic gerne mehr erfahren. Denn wo Braulehrlinge heute im wesentlichen im Umgang mit Maschinen geschult werden, lernten sie früher Geheimrezepturen und Alchemie. Der aus den Symbolen für Feuer, Wasser, Luft und Erde gebildete sechszackige Brauerstern war über Jahrhunderte das Wahrzeichen der deutschen Brauzunft, bevor er 1897 auf dem Zionistenkongress in Basel zum Erkennungszeichen der jüdischen Gemeinschaft erklärt wurde.
Die Autoren zeichnen weniger die Drogen- als die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der Cervisia nach, die meist kühl, aber nicht immer blond genossen wird, und das in tausend Formen: Stout, Porter, Tripel, Geuze, IPA, Lager, Bock-, Weiß-, Weihnachtsbier, obergärig, untergärig … Die Vielfalt muss vor dem Reinheitsgebot und der Industrialisierung des Brauhandwerks noch viel größer gewesen sein. Seit dem Spätmittelalter ist der Gerstensaft Motor der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung. Zwar dominieren heute Imperien wie Anheuser-Busch, Heineken und Carlsberg mit ihren vergleichsweise faden Markenbieren den globalen Markt, aber viele kleine Brauereien haben überlebt, mehr noch sind neu gegründet worden, und das nicht nur in den bekannten Bierländern Deutschland, England und Belgien, sondern auch zum Beispiel in Frankreich und den USA.
Um sich durch die mit Sorgfalt hergestellten Biere der Kleinbrauer zu trinken, reicht ein Leben bzw. eine Leber nicht aus. Einen Versuch ist es trotzdem wert. Der Rezensent hat zum Beispiel neulich einfach mal mit den Bieren der Brasserie Artisanale du Bosquet (Großraum Amiens) angefangen. Mmm …! Und wer das schöne Hobby zum Beruf machen möchte, kann sich zum Biersommelier oder »Zythologen« ausbilden lassen, mit Diplom und Anstecknadel. Und den Comic als Lehrmaterial von der Steuer absetzen.
Lucas Landais (Zeichner), Benoist Simmat (Szenarist): Die unglaubliche Geschichte des Biers. Von der Urzeit bis heute, 15.000 Jahre Abenteuer. Bahoe Books, Wien 2025, 224 Seiten, 29 Euro
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