Unverdient
Von Niki Uhlmann
Geschieht ein beliebiges Ereignis, kann dieser Tage Gift darauf genommen werden, dass irgendein deutscher Elendsverwalter daraus die Notwendigkeit ableitet, das Bürgergeld rigoros zu kürzen oder gleich gänzlich abzuschaffen. Wird eine milliardenschwere Kriegsvorbereitung beschlossen, kräht tags drauf jemand nach Einsparungen im Sozialhaushalt. Wird bekannt, dass einige wenige Randgestalten schwarz dazuverdienen, um mit etwas Glück doch noch in das vom Bürgergeld keineswegs garantierte Existenzminimum zu gelangen, sollen sämtliche vermeintlichen Faulenzer dafür büßen. Und kommt letztlich wie am vergangenen Wochenende heraus, dass das Bürgergeld den Staat mehr kostet als ehedem, mobilisieren die Regierenden den pfleglich geschürten Hass gegen jene, die das deutsche Kapital gerade nicht benötigt, für eine noch rücksichtslosere Ausbeutung.
2024 schlug das Bürgergeld im Fiskus mit 47 Milliarden Euro zu Buche. Das waren rund vier Milliarden Euro mehr als im Vorjahr, die die Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) zur Aussage veranlassten, dass endlich alle, die geeignet seien, »einen Teil dessen, was sie zum Leben brauchen, eben auch verdienen« müssten. Wer wie viel verdient, ist freilich eine Frage der politökonomischen Zweckmäßigkeit. Als die BRD noch glaubte, das russische Vorrücken durch Sanktionen und Bewaffnung der Ukraine in Kürze zu brechen, waren die vor dem Krieg flüchtenden Ukrainer gern gesehene Gäste. Sie bekamen eine Vorzugsbehandlung, sprich sofortige Duldung samt Bürgergeld. Nur ist aus den Ambitionen erstens nichts geworden und die Vorzugsbehandlung zweitens auf Dauer ziemlich teuer. 6,3 Milliarden Euro kostete sie allein 2024, so dass Markus Söder (CSU), der bislang nicht im Verdacht der Kremlnähe stand, inzwischen ihr jähes Ende fordert.
Die bald drei Jahre andauernde Rezession der BRD haben indes weder ukrainische noch deutsche oder syrische Erwerbslose verzapft, sondern die Kappung billiger Energieimporte durch besagte Sanktionen, die Konkurrenz insbesondere Chinas auf Absatzmärkten und eine völlig planlose Industriepolitik. Diese Fehler werden durch die Drangsalierung einiger Habenichtse schlicht nicht gelöst. Maximal gelingt es, zeitweise davon abzulenken, etwa indem kolportiert wird, von rund 5,5 Millionen Bürgergeldbeziehern seien knapp vier Millionen erwerbsfähig. So wird klassifiziert, wer mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten könnte, darunter etwa Erkrankte, mit deren Genesung der Staat binnen sechs Monaten rechnet, oder Menschen, die Kinder erziehen oder Angehörige pflegen. Was sie verdienen und was ihnen zugemutet werden kann, werden Union und SPD im Rahmen der zwischen ihnen vereinbarten »neuen Grundsicherung« ausklügeln. Zur Erinnerung: Den Kernhaushalt des Verteidigungsministeriums wollen sie bis 2029 auf 152 Milliarden Euro erhöhen. Womit hat er das verdient?
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vom 05.08.2025
Zum Hohn und Spott auf Millionen Menschen reden reihenweise Jungpolitiker über und vom Arbeiten für den Lebensunterhalt, die in ihrer Biografie gerade einmal gelernt haben, Arbeit richtig zu schreiben. Sie reden von stundenweiser Arbeit bei eingeschränkter Erwerbsfähigkeit und tun so, als wüssten sie nicht, welche Perspektiven diese kapitalistische Wirtschaft für solche Menschen hat und bietet, was sie ihnen ggf. verpflichtend anbietet. Wo sind die wirklichen Schuldigen für das zu suchen, was täglich rund um die Uhr angeklagt wird? Wer und welche gesellschaftlichen Verhältnisse sind anzuklagen?
Mancher wird vielleicht in Erinnerung haben, wie ein anderer deutscher Staat in dem das Recht und die Pflicht auf Arbeit Gesetz waren, stets der Zwangsarbeit angeklagt wurde. Aus eigner Erfahrung in einem DDR-Arbeitsamt sind mir nicht annähernd Zustände und Diffamierungen von Menschen bekannt, wie PolitikerInnen sie gerade täglich von sich geben.
Es gab immer Menschen mit eingeschränkter Erwerbsfähigkeit, Millionen heute würden sich glücklich schätzen, einen Umgang wie in der DDR erfahren zu können. Im übrigen war die Zahl der wirklich Arbeitsunwilligen auch dort zu vernachlässigen, kein gesellschaftliches Problem, das heute scheinbar ist.