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Aus: Ausgabe vom 04.08.2025, Seite 8 / Ansichten

Ohne Vernunft

Jahrestag Atombombenabwürfe 1945
Von Arnold Schölzel
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Rauchschwaden über Nagasaki nach dem Abwurf der US-Atombombe »Fat Man« am 9. August 1945

Die Lässigkeit, mit der Donald Trump am Freitag gegenüber Russland mit Atomwaffen drohte, ist symptomatisch. Für die USA war der Gebrauch von Atombomben nie ein Tabu, das hatten sie am 6. und 9. August 1945 demonstriert. Die Angriffe auf die Atomanlagen des Iran zeigten es soeben erneut. Für die übrige Welt unterliegt die Atomwaffe im Großen und Ganzen einem absoluten Verbot. Unter dem Eindruck von dessen tendenzieller Auflösung durch die NATO mehren sich allerdings auch in Russland ernstzunehmende Stimmen, die angesichts der Überlegenheit des westlichen Paktes bei zahlreichen konventionellen Waffengattungen den Griff zur Atomwaffe nicht erst in letzter Instanz in Erwägung ziehen. Ob die Rüpeleien Dmitri Medwedews dazuzuzählen sind, ist unklar. Vor allem sind sie aber kein Anlass, real so zu eskalieren, wie es Trump mit der Atom-U-Boot-Stationierung »in der Nähe Russlands« nun tat. Der Mann mit dem »größeren Atomknopf« (2018 gegenüber Kim Jong Un) haut gern auf die atomare Pauke. Vor allem aber: Nichts deutet bisher darauf hin, dass der letzte noch gültige atomare Rüstungskontrollvertrag zwischen USA und Russland über den Februar 2026 hinaus verlängert wird. Sein von Trump in der ersten Amtsperiode eingeleitetes Ende, das durch Biden um fünf Jahre hinausgezögert wurde, brächte das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens ins Wanken.

Die NATO arbeitet seit 76 Jahren immer wieder daran. Die NATO-Osterweiterung schloss die »atomare Garantie« für die neuen Mitgliedstaaten ein. Das Heranrücken an strategische militärische Einrichtungen Russlands war Kalkül.

Nun ziehen die europäischen Verbündeten, die zum atomaren Vormarsch der Allianz stets ja sagten, verstärkt mit. Einige Beispiele: Die Bundesregierung will neue US-Mittelstreckensysteme, die auch Atomsprengköpfe tragen können, ab 2026 stationieren, bestellt noch weiter reichende in den USA und plant mit eigenen Langstreckenraketen. Emmanuel Macron will eine eigene westeuropäische »nukleare Teilhabe« einrichten, Mitte Juli brachten US-Bomber erstmals seit vielen Jahren Wasserstoffbomben nach Britannien. Aus CDU/CSU und AfD wird schon mal nach deutschen Atomwaffen gerufen. An Beratungen zum Atomwaffenverbotsvertrag nimmt das Auswärtige Amt nicht mehr teil, und am Sonntag meldete TASS unter Berufung auf Estlands Verteidigungsministerium: Die NATO wird wahrscheinlich ein niederländisch-deutsches Korps in der estnischen Hafenstadt Pärnu stationieren, sozusagen kurz vor russischen Atomraketensilos.

John F. Kennedy soll 1960 als sein Credo für Krisen im Atomzeitalter bezeichnet haben: »Treibe den Gegner niemals in die Enge. Hilf ihm immer dabei, sein Gesicht zu wahren. Versetz dich in seine Lage.« Es sieht kurz vor den Jahrestagen der Atombombenabwürfe nicht so aus, als ob jemand in der NATO zur Vernunft fähig wäre.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (6. August 2025 um 12:14 Uhr)
    Wenn wir unter Vernunft das Vermögen der Menschen verstehen, die objektive Welt mittels geistiger Tätigkeit in ihren Zusammenhängen, Gesetzmäßigkeiten und Widersprüchen zu erfassen, im Denken widerzuspiegeln, dann dürfen diese Fähigkeit keineswegs von denen erwarten, die sich heute als die Herrscher der Welt verstehen, die sich zu den Eliten dieser Gesellschaft zählen. Vernunft als dialektisches Denken, über dem Verstand, mit abstrakten Begriffen operierend, ist dem Denken der bürgerlichen Klasse fremd, ist ihr »Teufelszeug« wie Marx es nannte. Auf ein Denken und Handeln mit Vernunft zu vertrauen, zu glauben die Kriegstreiber könnten mit Vernunft und Verstand davon abgehalten werden vom Griff zur Aomwaffe, könnten mt Vernunft und Verstand überzeugt werden, das liegt nicht im Grundgesetz dieser Gesellschaft welches den eignen Untergang einschließt, wenn sie sich Sieg und Profit ausrechnen. Ihr Wahn und Risiskobereitschaft hat sie immer dazu getrieben.
    Es ist und wird die Frage bleiben, vermögen es realistisch denkende Kräfte der Welt den letzten Schritt aufzuhalten, vermögen es kapitalistisch-imperialistisch Kräfte, die kein Interesse am Weltkrieg haben mit einer starken Friedensbewegung zur Vernunft zu zwingen.
  • Leserbrief von E. Rasmus (5. August 2025 um 10:37 Uhr)
    Beim Lesen des Artikels, worin deutlich die Apokalypse zum Ausdruck kommt, vor der wir uns befinden, komm ich nicht umhin, an die verhängnisvoll größte »Dummheit« in der Menschheitsgeschichte mit dem Erfolg der Aufgabe des Sozialismus durch Opportunismus zu denken – federführend angefangen von Chruschtschow bis Gorbatschow und die meisten anderen Staats- und Parteiführer durch ideologisches Versagen – mit bodenloser Unterschätzung des Klassenfeindes. Im Kalten Krieg lag die Klassenkampfentscheidung, die 1989/90 den Sieg für die globale Reaktion brachte, die nun vor allem auf Grund des Niveaus von Technik und Wissenschaft in den verbrecherischen Pfoten des Imperialismus, für das Ende allen irdischen Lebens sorgen könnte. Darin findet sich auch die, wie folgt gemachte Aussage von Arnold Schölzel: »Es sieht kurz vor den Jahrestagen der Atombombenabwürfe nicht so aus, als ob jemand in der NATO zur Vernunft fähig wäre.« Apropos Vernunft. Der Theologe und unermüdliche Friedenskämpfer Eugen Drewermann zitierte dazu jüngst aus Goethes Faust den Mephisto: »Man nennt’s Vernunft und braucht’s allein, um tierischer als jedes Tier zu sein.« Das und nicht mehr ist zu erwarten vom Friedenswillen als Vernunftausdruck derer, denen wir uns »freiheitlich« seinerzeit ausgeliefert haben, dem Imperialismus. Und diese Wahrheit scheint in den Köpfen der meisten Menschen dank sozialdemokratischer wie individueller Borniertheit verschüttet.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (5. August 2025 um 11:49 Uhr)
      Hätten Sie den Absatz mit Drewermann weggelassen, wäre es ein sehr guter Leserbrief geworden. Diesen völlig überschätzten Theologen als »unermüdlichen Friedenskämpfer« zu bezeichnen, ist wirklich zu viel der Ehre. Drewermann war einer der Erstunterzeichner des »Neuen Krefelder Appells« in dem allerlei krude Theorien von Querdenkern enthalten sind: »Ein ›neuer Krefelder Appell‹ oder ein Versuch des Etikettenschwindels? (…) In ihm werden aktuelle Forderungen zur Verhinderung eines Krieges der NATO-Staaten gegen Russland verquickt mit abstrusen Behauptungen wie dieser: ›Eine noch größere Gefahr geht von der ›Impf‹-Kampagne aus – für Milliarden von Menschen. Dahinter steht die Strategie des ›Great Reset‹ des Forums der Superreichen, das sich ›Weltwirtschaftsforum‹ nennt, mit dem der Kapitalismus über einen gezielten Zusammenbruch und einen ›Neustart‹ auf eine noch perversere Stufe gehoben werden soll...‹. Einen ebenso großen Raum wie friedenspolitische Vorschläge, konkrete Forderungen sind kaum enthalten, nehmen Theorien über die Impfpolitik ein. Impfpolitik und Militärpolitik seien ›verschiedene Formen von Krieg‹« (https://www.dkp-rheinland-westfalen.de/index.php/frieden/abruesten/5088-ein-neuer-krefelder-appell-oder-ein-versuch-des-etikettenschwindels)
      • Leserbrief von E.Rasmus aus Berlin (5. August 2025 um 18:56 Uhr)
        Pardon! Ihrer Kritik an Drewermann als auch an meinem Leserbrief vermag ich nur sehr bedingt zustimmen. Ich dachte, es sei äußerst ernst, und da sollte es trotz Unterschieden, ja Gegensätzlichkeiten, wo es um Krieg oder Frieden und also Tod oder Leben geht, um eben Leben gehen. Das Trennende scheint mir hier demnach aktuell (!) völlig unangebracht in der Waagschale zu liegen. Das ist kontraproduktiv. Und wer den Theologen in letzter Zeit gehört hat, wo er geschichtlich klare Aussagen über das globale Interesse Washingtons emotional ehrlich darlegt, kann das nur beispielhaft nennen. Ja, wir haben keine entsprechend ausstrahlend marxistisch-leninistischen Führungspersönlichkeiten und sollten uns sektiererisch bei der Brisanz von Krieg oder Frieden nicht abkapseln. Im übrigen glaube ich, hat vor allem der Schluss von Arnold Schölzel zur Vernunftinfragestellung zu Drewermann geführt, weil er den Klassiker Goethe mit Mephisto im »Faust« anrief. Oder haben Sie auch etwas gegen Goethe?
        • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (8. August 2025 um 11:14 Uhr)
          »Und wer den Theologen in letzter Zeit gehört hat, wo er geschichtlich klare Aussagen über das globale Interesse Washingtons emotional ehrlich darlegt, kann das nur beispielhaft nennen«. Globale Interessen Washingtons? Wem nützt es, wenn man mit dem Finger auf Washington zeigt, während Berlin mit aller Kraft den dritten Anlauf zur Weltmacht plant? Wer vom aggressiven Kurs des deutschen Imperialismus ablenkt, ob aus Absicht oder Unwissenheit, stiftet nur Verwirrung und erweist dem Frieden einen Bärendienst. Dazu passt Drewermanns Geschichtsbetrachtung. Im Video »So treiben sie uns in den 3. Weltkrieg« spricht er »emotional ehrlich« Deutschland von der Kriegsschuld am 1. Weltkrieg (»alle haben Verbrechen begangen«) und sogar Nazideutschland praktisch von Schuld frei: »Der Versailler Vertrag war dafür schuld, dass Hitler überhaupt möglich wurde«. In diesem Video deutet der Friedenskämpfer auch an, welche Rolle er Russland zuweist, auch Großmachtträume scheinen durch: »Frieden zwischen Deutschland und Russland wäre der Anfang eines Wirtschaftsraumes, der von Lisboa bis Wladiwostok reichen würde, von Portugal bis zum Pazifik. Eurasien befriedet [!], mit den unglaublichen Bodenschätzen, die im russischen Boden liegen. Wenn das wäre, hätte Amerika endlich den Traum verloren, es wäre die einzig verbliebene Weltmacht … es wäre mit dem Dollar … es wäre der ganze Kapitalismus am Ende, das fürchtet Amerika«. Ähnlich hat sich auch Höcke in seiner berüchtigten »Geraer Rede« geäußert. Auch von ihm wird Russland die Rolle des billigen Rohstofflieferanten zugewiesen. Entlarvender Satz: »Der natürliche Partner für uns als Nation der Tüftler und Denker, der natürliche Partner unserer Arbeits- und Lebensweise wäre Russland, ein Land mit schier unerschöpflichen Rohstoffen.«
      • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (5. August 2025 um 17:46 Uhr)
        Nun, die Herren Trump und Milei demonstrieren doch recht anschaulich, dass durchaus »der Kapitalismus über einen gezielten Zusammenbruch und einen ›Neustart‹ auf eine noch perversere Stufe gehoben werden soll«. Diese klaren Aussagen von Eugen Drewermann u.v.a. erscheinen leider sehr realistisch. Das reflexhafte und rituelle Zurückweisen von potenziellen Bündnispartnern hilft niemandem.

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