Ohne Vernunft
Von Arnold Schölzel
Die Lässigkeit, mit der Donald Trump am Freitag gegenüber Russland mit Atomwaffen drohte, ist symptomatisch. Für die USA war der Gebrauch von Atombomben nie ein Tabu, das hatten sie am 6. und 9. August 1945 demonstriert. Die Angriffe auf die Atomanlagen des Iran zeigten es soeben erneut. Für die übrige Welt unterliegt die Atomwaffe im Großen und Ganzen einem absoluten Verbot. Unter dem Eindruck von dessen tendenzieller Auflösung durch die NATO mehren sich allerdings auch in Russland ernstzunehmende Stimmen, die angesichts der Überlegenheit des westlichen Paktes bei zahlreichen konventionellen Waffengattungen den Griff zur Atomwaffe nicht erst in letzter Instanz in Erwägung ziehen. Ob die Rüpeleien Dmitri Medwedews dazuzuzählen sind, ist unklar. Vor allem sind sie aber kein Anlass, real so zu eskalieren, wie es Trump mit der Atom-U-Boot-Stationierung »in der Nähe Russlands« nun tat. Der Mann mit dem »größeren Atomknopf« (2018 gegenüber Kim Jong Un) haut gern auf die atomare Pauke. Vor allem aber: Nichts deutet bisher darauf hin, dass der letzte noch gültige atomare Rüstungskontrollvertrag zwischen USA und Russland über den Februar 2026 hinaus verlängert wird. Sein von Trump in der ersten Amtsperiode eingeleitetes Ende, das durch Biden um fünf Jahre hinausgezögert wurde, brächte das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens ins Wanken.
Die NATO arbeitet seit 76 Jahren immer wieder daran. Die NATO-Osterweiterung schloss die »atomare Garantie« für die neuen Mitgliedstaaten ein. Das Heranrücken an strategische militärische Einrichtungen Russlands war Kalkül.
Nun ziehen die europäischen Verbündeten, die zum atomaren Vormarsch der Allianz stets ja sagten, verstärkt mit. Einige Beispiele: Die Bundesregierung will neue US-Mittelstreckensysteme, die auch Atomsprengköpfe tragen können, ab 2026 stationieren, bestellt noch weiter reichende in den USA und plant mit eigenen Langstreckenraketen. Emmanuel Macron will eine eigene westeuropäische »nukleare Teilhabe« einrichten, Mitte Juli brachten US-Bomber erstmals seit vielen Jahren Wasserstoffbomben nach Britannien. Aus CDU/CSU und AfD wird schon mal nach deutschen Atomwaffen gerufen. An Beratungen zum Atomwaffenverbotsvertrag nimmt das Auswärtige Amt nicht mehr teil, und am Sonntag meldete TASS unter Berufung auf Estlands Verteidigungsministerium: Die NATO wird wahrscheinlich ein niederländisch-deutsches Korps in der estnischen Hafenstadt Pärnu stationieren, sozusagen kurz vor russischen Atomraketensilos.
John F. Kennedy soll 1960 als sein Credo für Krisen im Atomzeitalter bezeichnet haben: »Treibe den Gegner niemals in die Enge. Hilf ihm immer dabei, sein Gesicht zu wahren. Versetz dich in seine Lage.« Es sieht kurz vor den Jahrestagen der Atombombenabwürfe nicht so aus, als ob jemand in der NATO zur Vernunft fähig wäre.
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vom 04.08.2025
Es ist und wird die Frage bleiben, vermögen es realistisch denkende Kräfte der Welt den letzten Schritt aufzuhalten, vermögen es kapitalistisch-imperialistisch Kräfte, die kein Interesse am Weltkrieg haben mit einer starken Friedensbewegung zur Vernunft zu zwingen.