Gegründet 1947 Mittwoch, 13. August 2025, Nr. 186
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 04.08.2025, Seite 8 / Ansichten

Umsiedler des Tages: Wasilij Moskaljonow

Von Reinhard Lauterbach
8 port.png

Wahrscheinlich hätte nie jemand etwas von Wasilij Moskaljonow gehört, wenn ihn nicht die lettischen Behörden genötigt hätten, auf seine alten Tage (98 Jahre) noch eine politische Entscheidung zu treffen. Nämlich die, mit seinem früheren Leben zu brechen. Schließlich hatte er auf einer Basis in Lettland 30 Jahre in der sowjetischen Marine gedient und war nach der Unabhängigkeit des Landes dort hängengeblieben – wie Zehntausende anderer Russen, die während der Zugehörigkeit Lettlands zur UdSSR dorthin abkommandiert wurden, ohne dass man sie gefragt hätte. In einer Ausstellung in einer früheren Küstenartilleriebatterie an der lettischen Ostseeküste bei Kolka ist davon die Rede, dass die Soldaten gern zu Erntearbeiten ausgeliehen wurden, dabei lettische Mädchen kennenlernten, den Rest der Geschichten schrieb dann »das Leben«.

Jetzt aber machte sich Moskaljonow verdächtig. Am 19. Juli lief seine Aufenthaltsgenehmigung als »Nichtbürger« für Lettland aus, weil er weder die offizielle Landessprache hinreichend erlernt noch die von ihm verlangte politische Loyalitätserklärung unterschrieben hatte. Im Gegenteil: Wie russische Medien meldeten, hatte der alte Mann das Formular, in dessen Text »Russland geschmäht« worden sei, nicht nur nicht unterschrieben, sondern es sogar noch in der Luft zerrissen und die Schnipsel der Kommission vor die Füße geworfen.

Da gab es nur noch kurzen Prozess: tschemodan – woksal – Rossija: Koffer – Bahnhof – Russland. Moskaljonow wurde ausgewiesen und landete in Russland, das ihn zum Helden und Märtyrer der nationalen Sache erklärte. Den russischen Pass erhielt er als Begrüßungsgeschenk und einen Orden noch dazu. Was wieder einmal die Richtigkeit der Brechtschen Beobachtung zeigt, dass »der Pass der edelste Teil am Menschen« ist.

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Henry Freyer-Steyer aus Berlin (4. August 2025 um 08:31 Uhr)
    Typisch für die heutige Zeit: Die baltischen und andere EU-Altnazis dürfen marschieren, bekommen von der BRD Rentenzahlungen, währenddessen werden Nazigegner ausgewiesen, ihrer Heimat beraubt, Rentenzahlung gestrichen etc.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (3. August 2025 um 20:50 Uhr)
    Und die EU schweigt! Grenzen und Bürgerschicksale sind keine Naturgesetze, sondern Ergebnisse menschlicher Gesetzgebung – und sollten auch als solche behandelt werden: mit Augenmaß, Gerechtigkeit und historischer Verantwortung. Gerade im Fall des 98jährigen Wasilij Moskaljonow hätten die lettischen Behörden Größe zeigen und eine humane Ausnahme machen können. Es hätte ihrem Nationalstolz keinen Abbruch getan – im Gegenteil: Menschlichkeit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Souveränität. Stattdessen zeigt der Umgang mit Moskaljonow, dass es offenbar weniger um Recht und Ordnung ging als um Prinzipienreiterei und politische Symbolik. Wer auf solch unnötige Schikanen angewiesen ist, um seine nationale Identität zu behaupten, der hat offenbar keine stabile Grundlage – und beschädigt gerade dadurch die Glaubwürdigkeit eines demokratischen Staates.

Mehr aus: Ansichten

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro