Von Mussolini zu Meloni
Von Gerhard Feldbauer
Die faschistische Partei Brüder Italiens (FdI) Giorgia Melonis hat ihre Wurzeln in dem im Dezember 1946 gegründeten Movimento Sociale Italiano (MSI), der in der Tradition Mussolinis stand und dessen Aktivisten diese Gründung bereits im August 1945 mit der Sammlungsbewegung »Uomo Qualunque« (Jedermann) vorbereiteten. Sich vom Faschismus »ein konkretes Bild zu machen«, erfordere, seine »spezifischen Wurzeln« in der Geschichte samt ihrer Auswirkungen zu betrachten, schrieb der kommunistische Historiker Luciano Canfora in seinem 2025 auf deutsch erschienenen Buch »Der untote Faschismus«. Die Erben des italienischen Faschismus, die Meloni versammelt hat, sind, wie einst die Aktivisten der »Jedermann«-Bewegung, stolz darauf, »nicht abzuschwören« – und sind unter und mit ihr »an der Spitze der italienischen Republik angekommen«, so Canfora.
Mit alliierter Duldung
Seit dem Ende des Krieges und der Hinrichtung Mussolinis waren kaum mehr als drei Monate vergangen, als am 8. August 1945 die als »Organisation des einfachen Mannes« gegründete Bewegung »Uomo Qualunque« entstand. Obwohl sie sich zunächst nicht offen faschistisch zeigte, setzte sie sich praktisch das Ziel, wieder eine faschistische Herrschaft zu errichten und die Wiedergründung der verbotenen Mussolini-Partei vorzubereiten. Um die Bewegung nicht durch offene Bekenntnisse zum »Duce« zu kompromittieren, traten die aktiven alten Faschisten in ihr zunächst nicht in Erscheinung. »Uomo Qualunque« stellte sich als Antipartei und unpolitische Organisation vor, wandte sich gegen die »Parteienherrschaft« und »Parteienaristokratie«, rief zum Kampf gegen die Verwaltungsbürokratie sowie gegen das bürgerlich-parlamentarische System und seine Institutionen – denen es Unfähigkeit und Korruption vorwarf – auf und trat für eine Monarchie ein.
Am Beispiel des formell als Parteichef auftretenden Schriftstellers Guglielmo Giannini wurde deutlich, dass die USA in den besetzten Gebieten 1944 die Weichen für die Gründung der »Jedermann«-Bewegung gestellt hatten – und damit auch für die Fortexistenz faschistischer Strukturen nach Ende des Krieges. Giannini war unter der Mussolini-Diktatur als Dramatiker und Theaterregisseur tätig gewesen und vom Regime unbehelligt geblieben. Nach dem Einmarsch der anglo-amerikanischen Truppen am 4. Juni 1944 in Rom ließen ihn die Alliierten die politisch-satirische Wochenzeitschrift L’Uomo qualunque gründen, die sich gegen alle politischen Ideologien und Parteien wandte und als Sprachrohr der verunsicherten Mittelschichten und des Kleinbürgertums wirkte, vor allem im Süden, wo die alten Machtstrukturen von den Besatzungsmächten kaum angetastet wurden.
Während die »Jedermann«-Bewegung erklärte, gegen »links und rechts« zu sein, bekämpfte sie offen die linken Parteien, diffamierte Antifaschisten als »Vaterlandsverräter« und schürte einen aggressiven Revanchismus und Antikommunismus. Unter dem Deckmantel von »Uomo Qualunque« formierten sich zahlreiche halblegale, größtenteils paramilitärisch aufgebaute faschistische Gruppen. Manche Verbände nannten sich Sturmabteilungen Mussolinis, revolutionäre Aktionsbünde, Nationale Arbeiterpartei oder führten ähnliche Bezeichnungen.
Die Zersplitterung in eine Vielzahl zumeist regional agierender Gruppen war eine zwangsläufige Folge der Nachkriegssituation, in der die Kommunikationsmöglichkeiten aufgrund der zerstörten Infrastruktur noch beeinträchtigt waren. Zugleich erreichte ihre Propaganda dadurch auch breite Bevölkerungsschichten. Der alte Mussolini-Anhänger Mario Tedeschi – der spätere Chefredakteur der faschistischen Wochenschrift Il Borghese – schrieb: »Wir waren in eine Reihe von Gruppen versprengt, die theoretisch im Namen der alten Gefühlsbindungen mobilisiert wurden und die alle den Gesetzen des unvergleichlichen Durcheinanders gehorchten.«
Vorläufer der Partei
Gründer des MSI war der ehemalige Staatssekretär des »Duce«, Giorgio Almirante, ein führender Mussolini-Ideologe, unter anderem Mitherausgeber der faschistischen Tageszeitung Tevere und des rassistischen Hetzblattes La difesa della razza. Almirante, der noch kurz vor Kriegsende die Ermordung von Partisanen angeordnet hatte, wurde auf dem Gründungskongress des MSI zu dessen Nationalsekretär gewählt. Nachdem die Partei am 26. Dezember 1946 gegründet worden war, bekannten ihre Gründer sich offen zu ihrer Vorreiterrolle.
Der Altfaschist Pino Romualdi, ein nichtehelicher Sohn Mussolinis, beschrieb die Rolle von »Jedermann« bei der Vorbereitung der Wiedergründung der faschistischen Partei anlässlich des 25. Jahrestages der MSI-Gründung rückblickend wie folgt: »›Uomo Qualunque‹, dessen Aktionen zum größten Teil von unseren Leuten unterstützt wurden, und oft auch unter ihrer direkten Teilnahme und Anleitung stattfanden, deckte einmal die Vorbereitung unserer wirklichen Partei, in die die Kräfte von ›Uomo Qualunque‹ dann eingingen, und erprobte zum anderen, wie die Italiener auf eine hämmernde und intelligente Propaganda reagierten, die bereits damals die kleinmütigen Bestrebungen, das niedrige moralische und politische Niveau der Parteien, ihrer Führer und der anderen wichtigen Männer der kurzatmigen, alten und falschen italienischen Demokratie entlarvten.«
Am 28. Oktober 1992 trat die 1977 geborene Giorgia Meloni anlässlich des 70. Jahrestages des »Marschs auf Rom«, der Machtergreifung Mussolinis, in die Jugendfront des MSI ein. Gianfranco Fini, der Nachfolger des am 22. Mai 1988 verstorbenen MSI-Gründers Almirante, stieß auf einer Festveranstaltung an der Seite von Almirantes Witwe Assunta Lobeshymnen auf den Faschismus aus und sagte, es sei »notwendig, es auszusprechen: Nur dank Mussolinis ist Italien 1922 nicht kommunistisch geworden«. Von Anfang an machte Meloni an der Seite des Chefs der rechten Partei Forza Italia (FI), Silvio Berlusconi, der 1994 mit dem MSI eine rechte Regierung bildete, diese Politik mit.
Die FdI-Führerin Meloni, die sich heute gerne mit ihrem sozialen Engagement und ihrem angeblichen Eintreten für Gerechtigkeit schmückt, trug nicht nur Berlusconis Politik der Korruption mit, die laut der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera vom 18. August 2010 »zum Bankrott des Landes« und einer »beispiellosen Staatskrise« führte, sondern hatte auch nichts dagegen, dass etwa für Mussolinis Kriegsminister Rodolfo Graziani in dessen Geburtsort in der Gemeinde Affile bei Rom eine Gedenkstätte errichtet wurde. Während Meloni sich heute als Verfechterin der Würde der Frauen darstellt, schaute sie als Ministerin Berlusconis tatenlos zu, wie dieser mit minderjährigen Prostituierten Sexparties feierte.
Als am 26. April 2022 die unter Rechten als Gralshüterin des unverfälschten Erbes Mussolinis geltende Assunta Almirante starb, nahm Meloni an ihrer Beerdigung in der Basilika Santa Maria in Montesanto auf der Piazza del Popolo in Rom teil. Zahlreiche Rechte zeigten dort am Sarg den »römischen Gruß«. Laut dem Corriere della Sera würdigte Meloni die Frau des MSI-Gründers als »eine Säule des historischen Gedächtnisses der italienischen Rechten« und fügte hinzu: »Ich habe ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus.« Meloni tritt offen in die Fußstapfen der Erben des »Duce«, beispielsweise indem sie sich bei ihrer Ankündigung, für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren, auf die zwölf Jahre unter Berlusconi – die von Persönlichkeiten wie dem Nobelpreisträger Dario Fo, Umberto Eco oder Antonio Tabucchi als eine Zeit tyrannischer Herrschaft charakterisiert wurden – bezog. Unverblümt erklärte Meloni, dass »die Identität, die Ziele von Mitte-Rechts bekannt sind, und es darum geht, sie zu wiederholen«.
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