Architekt im Gehirn
Von Marc Hieronimus
Wenn es im Film, Roman oder Comic um eine Stadt in der Zukunft geht, ist das nie Meppen oder Memmingen. Hollywood zeigt auffallend häufig Los Angeles, von dem es ein Stadtteil ist, Comics spielen oft in Brüssel und vor allem Paris, man denke an die »Geheimnisvollen Städte« von Benoît/Peeters oder Enki Bilals »Geschäfte der Unsterblichen« (1980) und »Bug« (2018).
»Metropolia – Berlin 2099« spielt, man ahnt es, in der deutschen Hauptstadt, die in jenem fernen Jahre autofrei und völlig übervölkert ist. Distanz ist zur Währung geworden. Für einen gelatschten Fußkilometer gibt es drei Euro, eine Reisemeile sind 600 Euro oder gut sechs Tage Mindestgehalt. Das ist doch mal realistisch. Schon heute sind sechsmal acht Stunden gesetzlich garantierter Hungerlohn 615,36 Euro, aber die dürften in 74 Jahren inflationsbedingt nicht mehr viel wert sein.
Reisen sind jedenfalls Luxus. Die aufmerksame Leserin wird zwangsläufig an »Paris 2119« (Zep/Dominique Bertail, Schreiber & Leser 2019) erinnert, wo es um Teleportationen geht, die eigentlich keine sind; tatsächlich werden am Zielort Kopien der Gebeamten hergestellt und die Originale vernichtet.
In der zwanzig Jahre früheren deutschen Hauptstadt reist man noch analog bzw., weil es so teuer ist, gar nicht. Die Polizei trägt wieder Pickelhauben, Fernsehturm, Brandenburger Tor und Europa-Center stehen noch, sonst sieht man leider wenig von der Stadt. Der streifenweise grün tätowierte Protagonist Sascha möchte gerne zu seiner Freundin Alif, die es irgendwie nach Tennessee geschafft hat. Um die horrenden Kosten aufzubringen, übernimmt er gefährliche Aufträge. In diesem ersten Band soll er einen Mord aufklären, lädt sich die Existenz eines Architekten ins Gehirn und stößt auf das verselbständigte Bewusstsein eines KI-gesteuerten Hochhauses. Inhaltlich ein Krimi, optisch beste Science-Fiction: bis ins Mikroskopische ausgezeichnet, Wahnsinnsfarben.
Fred Duval und Ingo Römling: Metropolia – Berlin 2099. Band 1. Splitter-Verlag, Bielefeld 2025, 56 Seiten, 18 Euro
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