»Das ist eine digitale Hausdurchsuchung«
Interview: Kristian Stemmler
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, GFF, hat gemeinsam mit dem Journalisten Hendrik Torner Verfassungsbeschwerde gegen das Auslesen seines Handys erhoben. Worum geht es konkret?
Hendrik Torner ist Mitglied der GEW, schreibt für die Zeitschrift der Gewerkschaft und begleitet gelegentlich Demos in und um Bamberg journalistisch. Im Jahr 2023 war er mit zwei Kollegen bei einer Demo der »Letzten Generation«. Nach der Demo beobachteten sie in der Stadt eine Maßnahme von Polizisten gegen drei Personen, die daran teilgenommen hatten. Torner fertigte dabei eine Sprachnotiz auf seinem Handy an, woraufhin ein Beamter ihn aufforderte, dieses herauszugeben und den Sperrcode zu nennen. Der Journalist gab das Mobiltelefon heraus, nannte aber den Code nicht. Daher wurde das Telefon beschlagnahmt.
Vor dem Bundesverfassungsgericht soll es um das Auslesen der persönlichen Daten gehen.
Richtig. In den ersten drei Monaten war das Mobiltelefon entsperrt und der gesamte Datenbestand ausgelesen worden. Wenn aber die Polizei bei einem beschlagnahmten Handy alle Daten auslesen darf, kann sie die gesamte Persönlichkeit und das Privatleben der Betroffenen erfassen – und das, obwohl bislang nur ein strafrechtlicher Anfangsverdacht besteht. Das ist eine digitale Hausdurchsuchung, ein massiver Eingriff in die Privatsphäre.
Wir kritisieren, dass es dafür keine klare Rechtsgrundlage gibt, dass die Vorschriften, auf die sich Polizei, Staatsanwaltschaft und auch Fachgerichte stützen, nicht ausreichend sind. So wird Paragraph 94 der Strafprozessordnung herangezogen. Dort steht aber nur, dass Gegenstände, die als Beweismittel von Bedeutung sein könnten, beschlagnahmt werden können – aber nichts über einen anschließenden Datenzugriff, zu einer Auswertung und den Modalitäten.
Fehlt es also an gesetzlichen Regelungen für Fälle wie den vorliegenden?
Ja. Es bleibt in der Regel der Polizei und Staatsanwaltschaft überlassen, wie sie konkret das Handy entsperren und in welchem Umfang sie es auslesen. Aus unserer Sicht verstößt das gegen den Gesetzesvorbehalt, das Gebot der Normbestimmtheit und die Wesentlichkeitstheorie, ein Begriff aus dem deutschen Staatsrecht. Dieser besagt, dass der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen, insbesondere solche mit Bezug zu Grundrechten, selbst treffen muss und es nicht der Exekutive überlassen kann, das zu regeln. Und wir haben es hier ja mit einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff zu tun. Zudem auch mit einem Eingriff in die Pressefreiheit, was hier nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Ein Journalist muss sich darauf verlassen können, dass vertrauliche Daten geschützt sind.
Der GFF geht es um eine verfassungsrechtliche Klärung.
Es gibt Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu dem Thema von 2005 und 2006. Seitdem haben sich die technischen Möglichkeiten stark verändert, ebenso das Nutzungsverhalten. Inzwischen sind ja viel mehr Daten auf Mobiltelefonen gespeichert, Fotos, Chatverläufe etc. Die Daten zeigen ein komplettes Persönlichkeitsbild. Wir wollen eine Entscheidung des Verfassungsgerichts erreichen, die diesen neuen Gefahren Rechnung trägt.
Was streben Sie konkret an?
Zum Schutz der Pressefreiheit und der Privatsphäre muss klar geregelt werden, in welchen Fällen die Polizei auf welche Daten zugreifen und wie sie diese nutzen darf. Intime persönliche Daten müssen für die Erfassung und Auswertung tabu sein. Bei Bagatelldelikten oder Ordnungswidrigkeiten sollte die Polizei Handys grundsätzlich nicht auslesen dürfen. Mut macht uns eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Oktober 2024. Das Gericht hat klare Anforderungen aufgestellt, an die sich auch deutsche Gerichte halten müssen. Demnach kann ein derart schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen u. a. nur gerechtfertigt werden, wenn der Gesetzgeber zumindest die Art der Straftaten gesetzlich festlegt, bei denen so ein Datenzugriff erlaubt ist.
Davy Wang ist Jurist und Verfahrenskoordinator bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF)
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