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Entschlossen gegen Unterdrückung

100 Jahre Frantz Fanon: Eine Würdigung des Vordenkers der Dekolonialisierung
Von Mumia Abu Jamal
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Für Mumia sind Fanons Schriften eine wichtige Quelle für die eigenen Kämpfe

Frantz Fanons Lebensspanne auf dieser Erde war relativ kurz, doch er prägte seine Zeit mit einer revolutionären Entschlossenheit, die bis heute nachhallt. Der Student der Künste und Wissenschaften der gesellschaftlichen Transformation hatte seine Lektionen gut gelernt und leistete die schwerste Arbeit, die man sich vorstellen kann: Er wandte das Gelernte auf die Zukunft an und kam zu dem Schluss, dass die nationalen Bourgeoisien Afrikas scheitern würden, wenn sie seine drastischen Warnungen nicht beherzigten. Fanon sagte voraus, dass die afrikanischen Nationen, wenn sie nicht auch ihre politischen Führungen dekolonialisieren würden, einem falschen bürgerlichen Nationalismus erliegen würden. Statt sich um die Bedürfnisse des Volkes zu kümmern, würden sie der Gier, der Korruption und sinnlosen symbolischen Handlungen anheimfallen und eher Straßen umbenennen, als die Lebensbedingungen der Menschen in ihren Ländern zu verbessern.

Fanon war zu seinen radikalen Schlussfolgerungen gekommen, als er die postkolonialen Nationalstaaten Lateinamerikas analysierte. Er erkannte die Mängel dort und verstand, dass vergleichbare Phänomene auch im postkolonialen Afrika auftreten würden, sofern in den ehemaligen europäischen Kolonien nicht eine echte, tiefgreifende Bewegung der Dekolonialisierung stattfände, die die politischen und ­militärischen Staatsführungen strikt daran hindern würde, sich an den Bedürfnissen, Rechten und der Würde der Völker zu vergehen.

In seinem Meisterwerk »Die Verdammten dieser Erde« untersucht Fanon, wie der postkoloniale Staat seine Armee und Polizei gegen die Massen einsetzt: Demnach würden »vereinfachende Geister, die übrigens der entstehenden Bourgeoisie angehören, immer wieder behaupten, in einem unterentwickelten Land sei die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten durch eine starke Regierungsgewalt, sprich: Diktatur, eine Notwendigkeit. Zu diesem Zweck vertraut man der Partei die Aufgabe an, die Massen zu überwachen. Die Partei verdoppelt die Verwaltung und die Polizei und kontrolliert die Massen – nicht, um sich ihrer wirklichen Teilnahme an den Angelegenheiten der Nation zu versichern, sondern um ihnen ständig zu wiederholen, dass die Regierungsgewalt Gehorsam und Disziplin von ihnen erwarte. Diese Diktatur, die sich von der Geschichte getragen glaubt und für die Zeit nach der Erreichung der Unabhängigkeit für unentbehrlich hält, symbolisiert in Wirklichkeit die Entschlossenheit der bürgerlichen Kaste, das unterentwickelte Land erst mit der Unterstützung des Volkes, aber bald gegen es zu regieren.«

Folglich widmete Fanon seinen scharfen Verstand, seine Stärke, seine Unerschrockenheit und seinen eisernen Willen der Dekolonialisierung als Programm, das den afrikanischen Völkern echte Unabhängigkeit bringen sollte, nicht das, was er als »Flaggenunabhängigkeit« – eine Form scheinbarer Unabhängigkeit – bezeichnete.

Er kämpfte, als gäbe es kein Morgen, und hinterließ uns seine wertvolle Orientierungshilfe, die uns den Weg weist zu wahrer, authentischer Unabhängigkeit, frei vom immer enger werdenden Griff des Neo-/Postkolonialismus. Er wusste, dass der Kampf auf vielen Ebenen geführt werden musste, denn Kolonialismus und Imperialismus waren ihm zufolge »polydimensional«, wie er in seinem Werk »Für eine afrikanische Revolution« schrieb. Wenn Kolonialismus und Imperialismus polydimensional seien, müsse es auch der antikoloniale Widerstand sein. Dementsprechend setzte Fanon ihm nur wenige Grenzen, denn im Kampf für alle müsse auch alles dafür getan werden, um das Staatswesen von diesem pathologischen Zustand zu befreien.

Das war Fanons Art, die antikoloniale Bewegung nicht nur in Algerien, sondern auf dem gesamten afrikanischen Kontinent voranzutreiben. Wir alle stehen tief in seiner Schuld.

Übersetzung: Jürgen Heiser

»Mumia Abu-Jamal, politischer Gefangener und Doktorand mit dem Thema Frantz Fanon«, so die in Paris ansässige Fanon-Stiftung, verfasste diesen hier leicht gekürzten Text für sie zu Fanons 100. Geburtstag am 20. Juli 2025

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