Landlose fordern Agrarreform
Von Volker Hermsdorf
Mit landesweiten Mobilisierungen unter dem Motto »Para o Brasil alimentar, reforma agrária popular!« (Für ein Brasilien, das sich ernähren kann: Volksagrarreform jetzt!) übt die brasilianische Landlosenbewegung MST Druck auf die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva aus. Höhepunkt der Aktionen ist der »Tag des Landarbeiters« am Freitag. Für das »Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra« ist dieses Datum Anlass und Ansporn für eine Offensive gegen das vorherrschende neoliberale Agrarmodell und ein befürchtetes Einknicken Lulas vor dem Agrobusiness.
MST-Aktivisten machen in dieser Woche mit Protestaktionen, Besetzungen und Märschen in allen fünf Regionen des Landes auf die soziale Bedeutung der Agrarreform aufmerksam. Sie kritisieren, dass Großgrundbesitzer nach wie vor auf politische Rückendeckung zählen können, während rund 65.000 Familien in provisorischen Lagern leben und seit mehr als zehn Jahren auf eine rechtmäßige Ansiedlung warten. Die sogenannten »Assentamentos« (portugiesisch für Ansiedlungen) sind Teil des Versuchs, das große Ungleichgewicht in der Landverteilung zu verringern. »Das Versprechen, den Familien während dieser Legislatur Land zuzuteilen, stammt von Lula selbst, aber bisher bewegt sich die Regierung kaum«, klagt Jaime Amorim von der nationalen MST-Leitung. Doch ohne entschlossene Maßnahmen zur Enteignung von Großgrundbesitz werde es keine Agrarreform geben, warnt der Aktivist. In Brasilien besitzen wenige Eigentümer riesige Ländereien, während Millionen Menschen landlos sind. Aktuell vertritt die MST über 122.000 Familien, die in 1.250 Camps organisiert sind. Viele von ihnen leben unter prekären Bedingungen.
In einem »offenen Brief an die brasilianische Gesellschaft« versichert das MST zwar, Lula bei der Verteidigung der »durch den Imperialismus und Donald Trump bedrohten« nationalen Souveränität zu unterstützen, warnt zugleich aber davor, dass die Landwirtschaft zunehmend unter Kontrolle transnationaler Unternehmen gerate. Das Parlament, so ein weiterer Vorwurf, vertrete vor allem die Interessen des Agrobusiness und des Bergbausektors. MST-Sprecher João Paulo Rodrigues kritisiert, dass – trotz eines progressiven Diskurses der Regierung und einzelner Fortschritte – von einer politischen Wende noch keine Rede sein könne. »Wo bleibt die Agrarreform, Lula?«, fragt die MST in ihrem Schreiben. »Unsere Forderung ist klar: Entweder alle 65.000 Familien werden angesiedelt – oder Lula bricht sein Wort«, stellt Rodrigues fest.
Tatsächlich ist die bisherige Bilanz der Regierung mager. »Zweieinhalb Jahre nach Beginn von Lulas dritter Amtszeit bleiben die notwendigen Initiativen zur Förderung der Agrarreform weit hinter den Erwartungen zurück«, kritisiert auch die Brasilianische Vereinigung für Agrarreform (ABRA). Nach den Daten der Organisation wurden in der aktuellen Amtszeit lediglich rund 3.300 Familien neu angesiedelt. Zudem trickse die Regierung mit Zahlen, heißt es. So würden etwa auch alte Regularisierungen als »neue Ansiedlungen« ausgegeben. »Da der Regierung nur noch wenige Monate bleiben, ist es dringend notwendig, dass das politische Handeln von Präsident Lula und der zuständigen Institutionen an Tempo und Reichweite gewinnt«, fordert der Verband. Ein Blick auf den Haushalt bestätigt die Vorwürfe. Während das Agrobusiness für die kommende Erntesaison 557 Milliarden Real (etwa 86 Milliarden Euro) an Krediten erhält, sind für Landankäufe und Enteignungen 406 Millionen eingeplant – das reicht gerade einmal für die Ansiedlung von maximal 4.000 Familien im Jahr 2025.
Dabei könnte die Agrarreform laut Experten auch ein zentrales Instrument im Kampf gegen Armut, Hunger und ökologische Verwüstung sein. »Die Versorgung der Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln, Wiederaufforstung und Bekämpfung des Klimawandels – all das beginnt mit einer Bodenreform«, so Jaime Amorim. Die MST erinnert zum Tag des Landarbeiters jetzt daran, dass es die gesellschaftliche Basis – Arbeiter, indigene Völker, Schwarze Gemeinschaften, Jugendliche und die arme Bevölkerung – war, die Lula ins Amt gebracht hat. Wenn man durch die Straße gewählt wurde, muss man auch für die Straße regieren, fordern die Landlosen.
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